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Over the Top (1987) – Filmkritik

„Grenzenlose Naivität“

Manchmal gelingt der Sprung in die Jugend mit einem 80er-Jahre-Film perfekt. Aber manchmal fragt man sich, was früher mit einem losgewesen sein muss, um die schmalzigen, klischeehaften und schwülstigen Szenen völlig auszublenden. OVER THE TOP ist so ein Film. Düster erinnerte man sich noch an Sylvester Stallone, der in seinem Truck durch die weite Freiheit der USA fährt, mit einem selbstgebauten Fitnessgerät in der Fahrerkabine trainiert und im großen finalen Kampf den Bizeps an seine Belastungsgrenze bringt. Wie bitte, da war noch ein Kind dabei? Ein verzogener Sohn von der Militärschule, den sein Großvater dem rechtmäßigen Vater wegnehmen will? So viel Familiengeschichte hat man sich als junger Bengel wohl nicht gemerkt. Exakte 35 Jahre später, ist es heute nicht zu übersehen, dass der Filmgenuss mit zwei Drittel Filmfrust zu tun hat. Jetzt muss man definitiv die Nostalgiebrille mit den dicken Gläsern aus der Schublade nehmen, wenn man sich dem neu erschienen Mediabook von Capelight widmet. OVER THE TOP vom testosteronen 80er-Kultfilmstudio Cannon ist „endlich“ wieder auf Blu-ray verfügbar.

Handlung

Lincoln Hawk (Sylvester Stallone), LKW-Fahrer aus Überzeugung, holt seinen Sohn Michael (David Mendenhall) von dessen Abschlussfeier bei der Militärschule ab. Michael hat aber seinen Vater noch nie gesehen und der fährt auch noch mit seinem rostigen Koloss vor. Peinlich! Eigentlich sollte er mit der Limousine seines Großvaters nach Hause gefahren werden. Vater Hawk fängt ihn ab und sagt, dass Michaels Mutter sich wünscht, endlich seinen echten Vater kennenzulernen. Christina Hawk (Susan Blakely) kann nicht da sein. Sie verbringt ihre letzten Tage im Krankenhaus. Vater Hawk soll seinen Sohn dort hinbringen. Das passt dem superreichen Großvater Jason Cutler (Robert Loggia) gar nicht in den Kram. Sein Enkel wird sein Erbe antreten und nichts mit diesem „unzuverlässigen“ Schwiegersohn zu tun haben. Doch Michael findet Gefallen am Leben auf der Straße und vor allem am Sport seines alten Herren, nämlich Profi-Armdrücken.

© capelight pictures

Männerdefinitionen

OVER THE TOP ist ein Film von und für Männer. Genauer gesagt Männer in Amerika. Jedoch kratzen Regisseur Menaham Golan, Drehbuchautor Stirling Silliphant (IN DER HITZE DER NACHT, FLAMMENDES INFERNO) und Sylvester Stallone am Mythos des unabhängigen Mannes, der in seinem Truck durch die Weiten der USA donnert, gebrochene Frauenherzen und zertrümmerte Kneipen hinter sich lässt. In diesem Film hat der Mann namens Lincoln Hawk zwar die physische Präsenz, den unabhängigen Vogelnamen und ein paar Soldaten-Sprüche, aber das war es bereits. Hawk stellt sich seiner egoistischen Vergangenheit und versucht eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen. Er pflegt sein Ego nur noch im Sport, Kneipenschlägereien gehören der Vergangenheit an und den frechen Sprüchen des Sohnemanns begegnet er mit buddhistischem Lächeln.

© capelight pictures

Die unbezwingbare Männlichkeit, die in den 80ern gefeiert wurde und in den 90ern noch ein paar Muskel-Upgrades erhielt, wird hier durch Stallone aufgebrochen. Die Rocky-Filmreihe entwickelt sich zu leeren Wiederholungen (Rocky IV kam 1985 in die Kinos) und die RAMBO-Reihe wird 1988 mit dem dritten Teil ihr vorerst langweiliges Ende finden. OVER THE TOP liegt also genau dazwischen und wenn man von der maskulinen Blaupause DIE CITY-COBRA (1986) absieht, scheint Stallone mit OVER THE TOP eine familientaugliche Seite zu suchen. Filmgeschichtlich und Sly-biografisch macht das Freude, jedoch ist die erste Stunde so schmalzig geraten, dass man gar nicht anders kann, als sich das armstarke Finale herbeizusehnen.

© capelight pictures

Vater und Sohn

David Mendenhall als junger Michael zählt jetzt nicht unbedingt zu den talentiertesten Kinderstars und es fällt ihm offensichtlich schwer seinem Unbehagen im Fahrerhaus gegenüber dem Vater Ausdruck zu verleihen. Das Drehbuch versucht es mit herablassenden Aussagen, die am tiefenentspannten Stallone abprallen. Die erste Nacht wird auch direkt sitzend im Truck geschlafen, auch wenn Hawk seine Schulter als Kopfkissen anbietet, kann man sich nicht vorstellen, dass so eine Nacht einem Jungen gefällt. Doch er kommt von der Militärschule, muss also hart im Nehmen sein. Am Morgen darauf, gibt es Sportübungen am und im Truck. Dank cheesy Sequenz mit Country-Popmusik scheint auf einmal das Eis gebrochen. Vater und Sohn trainieren zusammen und werden beste Freunde. Liegestütze helfen also auch hier und nicht nur gegen Nackenprobleme nach einer ungemütlichen Nacht. Doch dann als beide zusammenfinden, tritt der Großvater als Bösewicht auf, das Drehbuch spult bekannte Menüpunkte ab und die Harmonie liegt in Scherben. Für Hawk wird es Zeit sich seinen Traum zu erfüllen und für uns, das zu sehen, was wir wollen: schwitzende Männer, die ihre Muskeln spielen lassen.

© capelight pictures

Sportfilm

Bevor OVER THE TOP im Kinoprogramm landete, wussten die Wenigsten, dass Armdrücken ein Sport ist und es sogar, wie hier im letzten Akt, über eine Weltmeisterschaft verfügt. Das sogenannte Armwrestling wird im Drehbuch direkt in die amerikanische Uniformität verschoben. International aufgestellt sind die Athleten nicht und der Hauptpreis – der neuste Truck mit bequemer Schlafkabine, siehe Nackenprobleme oben – deutet an, dass alle ein Leben auf den Böcken der amerikanischen Speditionen verbringen. Dem Film gelingt es dennoch ein paar schräge Charaktere und Gegner für unseren Hawk aufzutreiben: der haarigen Hinterwäldler, der athletische Afroamerikaner und der Endgegner mit Null-Nacken Bob „Bull“ Hurley (Rick Zumwalt, tatsächlich fünffacher Weltmeister im Armwrestling). Die Stimmung ist gut und der Kampf bekommt Sportfilmqualitäten. Gute Sportfilme leben aber von der Dynamik und der unerwarteten Strategie im Wettstreit. Bei OVER THE TOP reicht es im gesamten Film nur für ein seltsames Umgreifen von Stallone und schon geht der Gegner in die Knie. Für Lacher sorgt die dokumentarische Interview-Situation beim Wettkampf, wenn die Sportler ihre Taktiken und Ziele verraten. Unser Held dreht nämlich einfach sein Basecap um und dadurch wird er zum fokussierten Truck. Side Fact: Für die Filmproduktion zog der damalige Champion Rick Zumwalt tatsächlich ein Turnier auf, für das man sich national qualifizieren konnte, um in Las Vegas dabei zu sein. OVER THE TOP wurde in diesem Finale gedreht. Mehr dazu findet man in folgendem Booklettext.

© capelight pictures

Mediabook feat. Blu-ray

Das Mediabook (BD+DVD)

Sylvester-Stallone-Fans mussten die letzten Jahre tief ins Portemonnaie greifen, um sich OVER THE TOP mit HD-Qualität ins Regal zu stellen. Die Erstauflage von 2013 ist bereits vergriffen. Capelight Pictures sah hier eine Chance den Markt wieder zu befüllen und brachte die Kampfmaschine im Mediabook (Blu-ray + DVD) auf den Markt. Die mittelprächtigen Kritiken und das merkliche Alter der klischeehaften Geschichte haben das Label wohl zu einer kleinen Auflage verleitet. Doch die Mediabook-Sammler und Sly-Fans haben sich nicht von einem fehlenden neuen Master und Null-Bonusmaterial abschrecken lassen. Das gute Stück war nach ein paar Tagen vergriffen. Doch Capelight legt mit einer Einzel-Blu-ray nach. Somit gibt es auch hier ein Happy End, wobei darin der schöne Essay von Jochen Werner fehlt.

Fazit

Für Sylvester-Stallone-Fans, Pflege der Kindheitserinnerung und Cannon-Ultras ein Baustein im großen Ganzen. Für alle anderen eine qualmende Rostlaube von Familienfilm, der mit einem kuriosen Sportartfinale punktet. Der Slogan auf dem LKW-Anhänger ist Programm: „Smells like man.“

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewOver the Top (1987)
Poster
Releaseseit dem 30.09.2022 im Mediabook (Blu-ray + DVD) und auf DVD erhältlich.
ab dem 28.10.2022 auf Blu-ray erhältlich.

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RegisseurMenahem Golan
Trailer
BesetzungSylvester Stallone (Lincoln Hawk)
Robert Loggia (Jason Cutler)
Susan Blakely (Christina Hawk)
Rick Zumwalt (Bob 'Bull' Hurley)
David Mendenhall (Michael Cutler)
Terry Funk (Ruker)
Allan Graf (Collins)
Sam Scarber (Bosco)
Michael Fox (Jim Olson)
DrehbuchStirling Silliphant
Sylvester Stallone
KameraDavid Gurfinkel
MusikGiorgio Moroder
SchnittJames R. Symons
Don Zimmerman
Filmlänge94 Minuten
FSKab 12 Jahren

3 Gedanken zu „Over the Top (1987) – Filmkritik“

  1. wenn man die 80 und sly liebt findet man den Film auch 30 Jahre später noch gut….
    wenn man sich mit dem Sport und dem persönlichen Charakter den Sylvester in fast jedem seiner Charaktere versucht hat einzuhauchen, spielen Klischees auch keine Rolle….
    anders ist es mit Leuten,die Kritiken schreiben, über Filme die sie persönlich nicht gut finden, das macht überhaupt keinen Sinn, wenn man nicht neutral bleibt….
    der Film ist reiner 80 und sly Kult….

    1. Hey Daniel,
      Danke für Deinen Kommentar. Ich bin verwirrt: soll ich jetzt neutral bleiben oder nur über Filme schreiben, die ich gut finde?
      Ich freue mich natürlich für jeden, dem OVER THE TOP gefällt und kann es nachvollziehen, wenn man den Film einfach zum richtigen Zeitpunkt im eigenen Leben gesehen hat und ihn deswegen liebt.
      Gruß
      Christoph

  2. Ich mag den Film wirklich sehr, vielleicht weil ich ihm die Story irgendwie abkaufe. Aber ich habe auch aus dem Titanic Film mit Dicaprio viel für mich gezogen, die Lebensgeschichte, dass man sich treu sein soll und seinen ganz eigenen Weg zu gehen hat über alle Hindernisse hinaus. Das Vater und Sohn sich finden gefällt mir natürlich auch sehr.

    Einfach man selber bleiben und zu sich stehen. Selbstzweifel überwinden und sich den Herausforderungen dennoch stellen und nicht käuflich sein.

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