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One from the Heart (1982) – Filmkritik

„Las Vegas als Musical“

Wer gern ins Theater und Musical geht, aber sein Zuhause nicht verlassen will, hat eine Vielzahl von Filmen, die das Flair der großen Bühne nach Hause bringen zur Auswahl: zum Beispiel MOULIN ROUGE!, SINGIN‘ IN THE RAIN oder AN AMERICAN IN PARIS. Jetzt wollen wir jedoch einen Film in diese Liste aufnehmen, der gar nicht so bekannt ist, aber umso mehr überrascht mit seiner fabelhaften Umsetzung, seinen großartigen Darstellern und seinem herausragenden Soundtrack: ONE FROM THE HEART von Francis Ford Coppola. Vielleicht liegt es an der Liebe zum damalige Szenenbild, der filigranen Kameraführung und der geschickten Montage, dass einem der melodische Liebesfilm geradezu ans Herz wächst. Umso überraschender sind die damaligen Pressemeinungen. Hab sie denselben Film gesehen oder traf ONE FROM THE HEART nicht den damaligen Zeitgeist der 1980er Jahre? Denn der Film ist weder ein „Vampir“ der „seinen Figuren alle Lebendigkeit“ entzieht (DIE ZEIT, 1993), noch hat „er keinen Rhythmus.“ (Roger Ebert).

© 1982 Zoetrope Studios. All rights reserved.

Handlung

Las Vegas, es ist die Nacht vor dem amerikanischen Unabhängigkeitstag. Frannie (Teri Garr) und Hank (Frederic Forrest) feiern ihren fünften Jahrestag. Nach großzügigen Geschenkten werden sie sich nicht einig, wie der Abend laufen soll. Frannie will ausgehen, Hank will daheimbleiben. Wort um Wort wird aus einem schönen Abend ein ernster Streit voller Vorwürfe und dem Aufdecken gegenseitiger Untreue. Es eskaliert und beide verlassen das Haus und suchen Verständnis bei ihren Freunden: Maggie (Lainie Kazan) und Moe (Harry Dean Stanton). Die haben jedoch wenig Zeit und somit streifen Frannie und Hank auf getrennten Wegen durch die Stadt der vielen Lichtern und suchen Trost in neuen Bekanntschaften. Frannie trifft auf den Pianospieler Ray (Raúl Juliá) und Hank ist von der Akrobatin Leila (Nastassja Kinski) ganz angetan. Gibt es noch eine Chance für eine Rückkehr zur alten Beziehung?

© 1982 Zoetrope Studios. All rights reserved.

Beziehungskrach

Wenn die ersten Jahre in einer Beziehung vorbei sind, zeigt sich nach der Verliebtheit, was man aneinander wirklich liebt oder eben nicht. ONE FROM THE HEART startet mit einen großen Beziehungskrach und wenn dann noch beide verraten, dass sie untreu waren, bleibt nur noch der Sturm aus dem gemeinsamen Heim. Nichts bietet mehr Ablenkung als die Stadt der Sünden: Las Vegas. Glückspiel wird nicht zum Thema und auch Geld steht nicht im Mittelpunkt. Es ist die Suche nach einer aufregenden Liebe, die einen aus dem alltäglichen Trott befreit. Frannie sieht in Ray den Musiker, mit dem man an exotische Orte fliegen kann und Hank sieht in der jungen Leila eine schöne und junge Partnerin, in der er vor allem körperliche Befriedigung findet.

© 1982 Zoetrope Studios. All rights reserved.

Die Hauptfiguren zeigen in ihren Ansichten, verstärkt durch ihr Äußeres, vor allem durch die Kleidung, keine Gemeinsamkeiten. Hank ist eher ein Stubenhocker und macht dennoch wenig an dem Haus, was beide renovieren wollen. Seine körperlich attraktiven Zeiten hat er hinter sich gelassen und will das Leben genießen, ohne viel dafür zu tun. Frannie zeigt durch ihren bewussten Modestil, dass die besten Jahre noch vor ihr liegen und sie es leid ist, Reisen für andere im Schaufenster zu illusionieren, anstatt sie selbst zu erleben. Die Beziehung mag vielleicht der Auftakt und die Handlung des Films darstellen, aber ONE FROM THE HEART begeistert vor allem wegen zwei besonders kreativen Aspekten: Die Kamera von Ronald Víctor García und Vittorio Storaro und der Soundtrack von Tom Waits zusammen mit der Sängerin Crystal Gayle.

© 1982 Zoetrope Studios. All rights reserved.

Bühne frei

Der Film wurde komplett in den Zoetrope Studios von Francis Ford Coppola gedreht. Aufwändige Sets wurden erstellt, wie das Flughafengelände zum Ende des Films. Es wird nie verschleiert, dass die Hintergründe nur gemalt sind oder in den Autoszenen eine Rückwandprojektion stattfindet. Es bleibt offensichtlich eine Bühne, wie zum Beispiel in ASTEROID CITY. Wohingegen Wes Anderson nur statische Kameraperspektiven nutzt, ist die Kamera hier in ONE FROM THE HEART völlig mobil. Sie schwebt durch die Räume ohne sichtbare Schnitte, durchdringt Wände oder zeigt sogar die Gedanken der Figuren. Das ist zum Beispiel sehr schön in der ikonischen Szene zu erkennen, die es auf eines der Filmposter geschafft hat. Hank sitzt an der Bar und denkt an Leila in einem übergroßem Martiniglas im Neonlicht.

© 1982 Zoetrope Studios. All rights reserved.

Das ganze Set ist allein wegen der Lichtgestaltung beeindruckend. Die Häuserzeilen und Innenräume wurden vom Entwurf bis zum Filmdreh komplett im Studio selbstgebaut. Coppola wollte nach seinem stressigen Dreh von APOCALYPSE NOW in Asien, jetzt kontrolliert in einem Studio in den USA drehen. Sie nutzen sogar eine Art audiovisuelles Storyboard, einen Schnittplatz, an dem alle Sequenzen inklusive Rohentwurf der Musik noch vor dem Filmdreh zusammengefügt werden konnten. Skizzen und Aufnahmen von den Proben dienten als Platzhalter. Dadurch wollte Coppola den Dreh innerhalb eines Monats schaffen und das Produktionsbudget geringhalten. Doch die Produktionskosten ging mit 25 Mio. Dollar weit über die Planung von 2 Mio. Dollar hinaus und nach den schlechten Einspielergebnissen blieb Coppola nichts anderes übrig als Insolvenz anzumelden.

2024 veröffentlichte Coppola, nicht unüblich für seine Filme, eine neue Version des Films. ONE FROM THE HEART – REPRISE erschien in ausgewählten Kinos und ist ebenfalls auf Ultra HD Blu-ray und Blu-ray erhältlich. Dazu später mehr im Heimkinoabsatz.

© 1982 Zoetrope Studios. All rights reserved.

Without You, I’m just a Scarecrow.

Neben den bunten Kulissen und Neonlichtern prägt den Film vor allem der Soundtrack von Tom Waits. Waits wollte Anfang der 1980er Jahre den Alkohol und das gesundheitsaufzehrende Leben eines Musikers hinter sich lassen. In dieser Zeit trat Coppola an ihn heran und fragte nach einem bluesigen Soundtrack für ein Filmprojekt. Für Waits ein künstlerischer Rückschritt, aber er wollte schon immer einmal, wenn auch nur indirekt, für den Broadway arbeiten. ONE FROM THE HEART ist in diesem Sinne auch ein Musical ohne, dass die Figuren selbst viel singen. Das übernimmt Waits, den man auch kurz als Statist mit einer Trompete im Film sieht, und die Country-Sängerin Crystal Gayle. Tom Waits war mit dem Auftrag sehr zufrieden und konnte sich komplett austoben mit Songs und Begleitmusik ohne jegliche Einschränkungen von Coppola. Die Lieder entstanden auch vor dem Dreh und so konnten Szenen direkt an Textpassagen angepasst werden. Eine Oscar-Nominierung dankt es ihm und danach stellten Finanzierungen der nächsten Alben kein Problem mehr dar. Aber für Waits geschah während der Aufnahmen noch etwas viel Lebenswichtigeres: Er lernte auf dem Studiogelände seine zukünftige Frau Kathleen Brennan kennen. Der Soundtrack gehört in jede Filmmusik-Sammlung und der Titelsong ist so wunderbar nicht schmalzig, wie es nur ein Tom Waits schreiben kann.

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Reprise fürs Heimkino

Im Zuge der geänderten Filmfassung veröffentlicht Arthaus/Studiocanal ONE FROM THE HEART zum ersten Mal auf Ultra HD Blu-ray. Es gibt entweder die neue Restaurierung mit Doppel-Ultra-HD-Blu-ray oder Doppel-Blu-ray. Bei beiden ist die Reprise Fassung (96 Min.) und die Kinofassung (103 Min.) enthalten. Die Abtastung vom Originalnegativ bietet jetzt ein beeindruckendes Bild, voller brillanter Farben und Schärfe. Der Film ist in 4:3 also nicht wundern, aber dennoch hat man permanent das Gefühl ein cineastisches Musical zu sehen. Leider fehlt bei den Veröffentlichungen ein Booklet, aber dafür sind beide Disks randvoll mit Extras. An dieser Stelle sei der Clip „Tom Waits und die Musik aus ONE FROM THE HEART“ und das Featurette „Das Musical neu erfinden – Baz Luhrmann über ONE FROM THE HEART“ empfohlen. Vor allem Baz Luhrmann gelingt ein tolles Portrait von Coppolas als Opern-Regisseur.

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Fazit

ONE FROM THE HEART ist originell und voller Künste, ohne seine Leichtigkeit zu verlieren. Auch wenn es im Mittelpunkt um einen Beziehungsstreit geht, ist der Film voller Temperament und Leben. Coppola tänzelt hier wunderbar zwischen Fantasie und Liebe. Schade, dass er damals für sein Werk nur auf wenig Gegenliebe gestoßen ist. Dafür ist es aber nie zu spät und wir können jetzt damit anfangen.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewOne From The Heart (1982)
Alternativ: Einer mit Herz
Poster
Releaseseit dem 07.03.2024 auf UHD/Blu-ray, Einzel-Blu-ray und DVD erhältlich.

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RegieFrancis Ford Coppola
Trailer
BesetzungTeri Garr (Frannie)
Frederic Forrest (Hank)
Raúl Juliá (Ray)
Nastassja Kinski (Leila)
Lainie Kazan (Maggie)
Harry Dean Stanton (Moe)
Allen Garfield (Restaurantbesitzer)
DrehbuchFrancis Ford Coppola
Armyan Bernstein
KameraRonald Víctor García
Vittorio Storaro
MusikTom Waits
SchnittAnne Goursaud
Randy Roberts
Rudi Fehr
Filmlänge108 Minuten (Kinofassung, 1982)
96 Minuten (Reprise, 2024)
FSKab 12 Jahren

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