Kunst wiederholt sich gern. Genauer gesagt, sie interpretiert ihre vorherigen Phasen gern neu, spielt mit ihnen, verdreht sie oder nutzt sie maßlos aus. Für Regisseur Robert Eggers war es an der Zeit sich einem der wichtigsten Horrorfilme des vergangenen Jahrhunderts zu stellen und ins 21. Jahrhundert zu überführen: NOSFERATU. Nach seinem Hollywooderfolg THE NORTHMAN (2022) stand dem Projekt, abgesehen von kleineren Besetzungsvariationen, nichts mehr im Wege. Keine Sorge, inhaltlich bleibt Eggers, der auch für das Drehbuch verantwortlich ist, den historischen Grundlagen treu. Im Abspann werden Bram Stokers „Dracula“ wie auch die Murnau-Verfilmung NOSFERATU (1922) als Vorlagen genannt. Die Handlung lebt in einer Zeit der langwierigen Kommunikation, Wege werden per Pferd oder Schiff zurückgelegt, Urkunden mit Wachssiegeln beglaubigt und der Biss eine Ratte kann tödlich enden. Brauchen wir im heutigen Kino aber einen neuen NOSFERATU, wenn sich viele Menschen nach neuen, originellen Geschichten sehnen? Schnell wird die Antwort beim Betrachten dieser düsteren, Vampirgeschichte klar: dringender denn je und nicht nur wegen ihre Interpretationsmöglichkeiten für unsere Gesellschaft der Gegenwart.
Handlung
Das Leben zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist kein Leichtes, selbst für das gut situierte junge Ehepaar Hutter nicht. Ellen Hutter (Lily-Rose Depp) liebt ihren Ehemann Thomas (Nicholas Hoult) von ganzem Herzen, wird aber von dunklen Träumen heimgesucht. In denen wird sie gegen ihren Willen von einer düsteren, übermächtigen Gestalt aus dem sicheren Zuhause gelockt und missbraucht. Thomas muss, um in seinem Beruf des Immobilienmaklers aufzusteigen, ins weit entfernte Transsylvanien reisen. Dort will Graf Orlok (Bill Skarsgård) den Kaufvertrag über die Villa Grunewald in der Heimatstadt der Hutters erwerben. Der mehrtägige Ritt ist anstrengend und lässt ihn auf ein abergläubisches Volk stoßen, das ihn vor dem Grafen bereits warnt. Der Vertrag wird von Orlok unterschrieben. Thomas befällt im Schloss ein Fieberwahn, der auf seltsame Bissspuren auf seiner Brust zurückzuführen ist. Der Graf ist auf einmal verschwunden und reist per Schiff zu seiner frisch erworbenen Villa, Thomas nimmt die Verfolgung auf. Wird er rechtzeitig zu seiner Ellen zurückkehren, bevor das Böse die Stadtbewohner heimsuchen wird?
Von wegen eine staubige Geschichte
Regisseur Eggers hat bekanntlich ein Herz für dunkle Stoffe (DER LEUCHTTURM, THE WITCH). Mit Nosferatu kennt er sich bestens aus – literarisch wie auch filmisch. Das wird vor allem in der Liebe zur Inszenierung deutlich. Besonders sobald Thomas am Schloss des Grafen erscheint, wird das Publikum in dieses düstere Märchen hineingezogen. Symmetrie ist ein wichtiges visuelles Grundgerüst und untermauert die Bilder, die an Gemälde der Romantik erinnern. Das Szenenbild ist ungemein authentisch. Das Schloss wirkt wie eine verfallene Ruine, man spürt die Kälte aus jedem Loch im Gemäuer. Kameramann Jarin Blaschke nutzt weitestgehend die wenigen natürlichen Lichtquellen. Die Farbe Rot ist kaum zu finden, außer natürlich in Form von Blut. Requisiten und Kostüm sitzen bis in die letzten Spitzen und laut Pressemeldung fanden sogar 5000 trainierte Ratten ihren Auftritt. Beim Handwerk ist es aber nicht verwunderlich, dass Eggers authentisch und künstlerisch umzugehen weiß. Das hat er bereits mehrfach bewiesen. Was ist aber mit der Geschichte für die Gesellschaft im 21. Jahrhundert?
Die Frau als Blutkonserve
Der Dracula-Mythos hat vielerlei Thematiken. Dunkle übersinnige Fähigkeiten versetzen die Menschen in Angst. Unbegreifliche Mächte jagen ihnen Angst ein. Wesen, die sich vom Blut anderer ernähren, dadurch unsterblich werden, aber nie wieder im Sonnenlicht wandeln können. Besonders das Blut junger, schöner Frauen ist den Untoten am liebsten. Hier erkennt man den patriarchalen Blick auf den Körper der Frau, der durch ihre monatliche Menstruation einen anscheinend unermesslichen Vorrat an Blut zur Verfügung stellt. Für Männer als Machtinhaber war der weibliche Körper ein Geheimnis und so findet diese Unwissenheit Eingang in solche Mythen. Aber auch die Emotionen und Sexualität der Frau machte ihnen Angst – Frauen werden gesellschaftlich zur Sittsamkeit gezwungen.
NOSFERATU hat nun endlich wieder eine Protagonistin und nicht einen Vampir oder einen Vampirjäger – hier ist es Prof. Albin Eberhart von Franz, gespielt von Willem Dafoe – in den Mittelpunkt gerückt. Ehemann Thomas Hutter kann in dieser Geschichte auch nur hinterherlaufen und vermag es nicht seine Frau zu unterstützen. Sie emanzipiert sich von allem, schlägt mit ihren Emotionen die Alarmglocken bei der feinen Gesellschaft. Frauen werden hier weder Instinkt noch Verstand zugeschrieben. Ein Alptraum scheint gleich die Nervenheilanstalt auf den Plan zu rufen, wohingegen Männer, am Beispiel von Albin, sich gut mit ihrem andersartigen Denken gesellschaftlich arrangieren können. NOSFERATU ist vor allem eine emanzipatorische Vampirgeschichte aus der Opferrolle – natürlich nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit diesem fast rein maskulinen Filmteam.
NOSFERATU deutet aber auch auf die Vermögenskluft hin. Der reiche Adel, verkörpert durch einen Grafen in einem alten Schloss, dem es nach einer jungen Frau gelüstet und durch die er unsterblich bzw. die Erbfolge sicherstellt. Im 19. Jahrhundert wurde dem einfachen Volk durch Abgaben, Steuer und die Abstinenz von Besitz keine Aufstiegsmöglichkeiten geboten. Ist das heute anders? Das obere 1%, dem ein Drittel des Gesamtvermögens gehört, ist kaum anders. Sie zahlen kaum Steuern, ihr Kapital bewegt sich ausschließlich in Kreisen der Vermögenssteigerung und hat mit dem Alltag der Normalbevölkerung nichts zu tun. Vielleicht ist es an der Zeit, sie mehr ins Licht zu führen.
Fazit
Vordergründig mag NOSFERATU „nur“ eine aufwändige Neuauflage eines Horrorklassikers sein. Eggers gelingt es jedoch mit seinem hervorragenden Ensemble jede Menge Interpretationsspielraum für das Leben in der Gegenwart darzustellen. Für alle audiophilen Cineasten da draußen sei vor allem das hervorragende Sound-Design empfohlen. Wo hat man schon gehört, dass ein Kaminfeuer im Takt eines Dialogs erklingt?
Titel, Cast und Crew | Nosferatu – Der Untote (2024) OT: Nosferatu |
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Poster | |
Release | Kinostart: 02.01.2025 |
Regie | Robert Eggers |
Trailer | |
Besetzung | Bill Skarsgård (Graf Orlok / Nosferatu) Lily-Rose Depp (Ellen Hutter) Nicholas Hoult (Thomas Hutter) Willem Dafoe (Prof. Albin Eberhart von Franz) Aaron Taylor-Johnson (Friedrich Harding) Emma Corrin (Anna Harding) Simon McBurney (Herr Knock) Ralph Ineson (Dr. Wilhelm Sievers) |
Drehbuch | Robert Eggers |
Kamera | Jarin Blaschke |
Musik | Robin Carolan |
Schnitt | Louise Ford |
Filmlänge | 132 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter