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Nobody’s Fool (1994) – Filmkritik

„Held der Kleinstadt“

Ende der 90er, als alle in meinem Alter versuchten sich in Discos reinzuschmuggeln, habe ich am Wochenende vor der Glotze gehangen. An guten TV-Abenden konnte man bis zu drei Filme hintereinander schauen. Keine Ahnung wie ich die damaligen Werbepausen ausgehalten habe, aber eines Abends blieb ich im werbefreien öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei NOBODY‘S FOOL hängen. Paul Newman war mir vom Gesicht her vertraut, aber keineswegs so bewusst, dass eine Legende in seinen späten Jahren hier mitspielte. Paul Newmans Sully war von Anfang an sympathisch: Immer mit einem lockeren Spruch auf den Lippen, stets sein eigener Herr und im hohen Alter noch verdammt gut aussehend. In einem amerikanischen Kaff wühlt er sich durch den Schnee sowie durch seine langjährige Pechsträhne. Als der Abspann flimmerte, lief mir eine Träne des Unverständnisses über die Wange. Warum hatte Sully nicht das Angebot, mit der schönen Toby nach Hawaii durchzubrennen, angenommen?

Ein paar Jahre später wanderte die DVD in die zarten Anfänge meiner Filmsammlung und ich sah den Film ein zweites Mal. Ich war wieder völlig von Sinnen, welch clevere Dialoge sich hier gegenseitig die Klinke in die Hand gaben, aber das Ende war nun völlig anders. Warum auch sollte Sully diesen Ort verlassen? Freunde, Familie und ein Zuhause zu haben ist etwas, das man nicht so leicht im Leben bekommt. In unserer heutigen Welt der räumlichen Distanzen, wo einem die Illusion gegeben wird über digitale Kommunikationswege immer zusammen zu sein, ist so ein herzliches Geflecht aus Persönlichkeiten in einer gemütlichen Kleinstadt eine unglaublich schöne Version für den Lebensabend. NOBODY’S FOOL war für mich der erste Beweis, dass es sich nicht nur lohnt manche Filme mehr als einmal zu sehen, sondern auch dafür, dass sich die eigene Sicht auf das Leben ändert, wie auch bei dieser Hauptfigur.

Nobodys Fool (1994)

Inhalt

Sully (Paul Newman) lebt in dem kleinen Ort namens North Bath im Osten der USA von einem Job zum nächsten. Vor allem die Wintermonate sind für den Handwerker schwer. Die meisten Aufträge für Schwarzarbeit bekommt er von Carl (Bruce Willis) und seinem Tiptop-Bauunternehmen. Mit ihm liegt er auch noch im juristischen Streit für einen Arbeitsunfall, der sein Knie ruinierte. Mit seinem Freund Rub (Pruitt Taylor Vince) versucht er dennoch über die Runden zu kommen. Mehr und mehr erkennt man, welch stark verzweigtes Geflecht von Beziehungen die Einwohner dieser Stadt durchdringt. In der Mitte ist Sully, der etwas mürrisch aber immer mit dem Herzen am rechten Fleck die Gemeinde zusammenhält. Als sein Sohn zu Thanksgiving in die Stadt kommt, wird ihm eine weitere Rolle bewusst: Großvater. Das passt aber so gar nicht zu seinen Aufwartungen bei Toby (Melanie Griffith), der schönsten Frau im Ort und Noch-Ehefrau von Carl.

Nobodys Fool (1994)

Ganz anders

Oft habe ich erwähnt, wie sehr ich es schätze, wenn Regisseure eine Geschichte mit Bildern vorantreiben, anstatt durch Erzähler oder Dialoge. NOBODY`S FOOL bildet hier eine Ausnahme, weil die Dialoge so raffiniert geschrieben sind, dass man nur noch grinsend vor dem Fernseher sitzt und erkennt wie clever Informationen über die Figuren vermittelt werden. Wenn man bedenkt, dass die Handlung problemlos mit gut einem Dutzend Persönlichkeiten hantiert, die alle interessant wie auch lebensecht wirken, ist es erstaunlich wie schnell wir als Zuschauer in den Schneematsch der Kleinstadt hineingezogen werden. Die Handlung erstreckt sich über mehrere Wochen und es gibt kaum eine Szene, in der nicht Paul Newman mitspielt. Man folgt dem grummeligen Mann mit seinen dreckigen Klamotten nur zu gern im Dunst seiner Zigarillos. Keine Tür scheint ihm verschlossen zu sein. Sully hat immer einen Plan, nimmt sich hier und dort eine Tasse Kaffee und wird stets mit Respekt in Empfang genommen. Durch das Begleiten von ihm durch Wohnzimmer, Diner und Baubüros bekommt man Stück für Stück die Menschen näher gebracht ohne angestrengt über Namen nachzudenken zu müssen.

Die Figuren

Sully ist die charismatischste Figur. Trotz seines Stolzes und trotzigen Alters macht er die größte persönliche Veränderung durch und erkennt am Ende seinen Platz. Die Entwicklung wird ausgelöst durch seinen niedlichen Enkel Will, mit dem er die erste Zeit als Opa verbringt und dadurch erst wieder eine Beziehung zu seinem Sohn Peter (Dylan Walsh) aufbaut. Sully ist ein Mann wie es keine mehr gibt und dank ihm kommen wir jeder Person anders näher als erwartet. Vor allem die erste Begegnung mit Toby ist traumhaft von Regisseur Robert Benton ins Drehbuch geschrieben.

Sully poltert in ihre Küche, schnappt sich einen Kaffee und ruft zu ihr auf die Treppe, ob sie denn gerade nackt wäre. Ganz im Augenwinkel erkennt man einen älteren Herrn, der an der Haustür schraubt und trocken meint, er wäre nicht nackt. Sully klärt kurz am Telefon, dass sein Truck abgeschleppt werden muss – ach, die Zeit ohne Mobiltelefon – und macht Toby mit jeder Menge Komplimenten den Hof. Beide scheinen in ihrem Mix aus Sticheleien geübt zu sein. Toby wirft während der ganzen Szene Klamotten aus der Haustür. Langsam geht dem Zuschauer ein Licht auf, dass sie ihren Mann Carl wegen seiner Affäre zur Sekretärin vor die Tür setzt und gerade das Schloss austauschen lässt. Aber das Gespräch vermittelt uns, dass es nicht die erste Trennung zwischen den beiden ist.

Nobodys Fool (1994)

Sully hat wenig Zeit, er muss weiter, denn die Einwohner des Städtchens warten nur darauf vorgestellt zu werden: Sein einbeiniger Anwalt Wirf (Gene Saks), der Sheriff mit seinem versessenen Idiotenkollegen Raymer (Philip Seymour Hoffman), der Tabletten verschenkende Apotheker Jocko (Jay Patterson), seine liebenswerte Vermieterin Miss Beryl (Jessica Tandy) und viele mehr. Wenn man den ersten Tag mit einem Gerichtsprozess, Ehekrach und einer Familienzusammenführung hinter sich gebracht hat, merkt man welche Spannungen es im Ort gibt. Aber das Ganze wird in einer Runde Poker in der Ortskneipe zusammengeführt. Vor allem die großen Konkurrenten Carl und Sully finden doch harmonisch zusammen, als Carl bei ihm einfach ungefragt auf der Couch schläft. Ja, in Bath verschließt niemand seine Tür.

Noch viel mehr

Die besten Figuren bringen nichts, wenn die Geschichte nicht auch ein Milieu wiederspiegelt. In diesem Fall ist es das Leben in einer amerikanischen Kleinstadt Mitte der 1990er-Jahre. Wer jetzt denkt, dass nur zwischenmenschliches Gezanke zur Schau gestellt wird, irrt sich. Zuallererst gibt es kaum junge Menschen im Ort. Sie scheinen alle, wie auch Sohn Peter, in die Städte gezogen zu sein und wer ein bisschen in die Räume hineinschaut, entdeckt kleine Hinweise auf eine nicht gerade wohlhabende Bevölkerung. Sogar bei der Vermieterin Miss Beryl, einer wohlhabenderen Frau im Ort, blättert die Farbe von der Hausfassade. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Sully‘s Suche nach dem nächsten Auftrag ist allgegenwärtig und zeigt die Arbeitslosigkeit im hohen Alter.

Nobodys Fool (1994)

Auch das Gesundheitssystem, was jeden Amerikaner ohne Versicherung in tiefe Schulden wirft, wird durch Carls Bypass-Operation und Sully‘s Knie-OP in die Kritik genommen. Polizeigewalt bekommt durch Officer Raymer auch ein paar Momente, die vom Ortsrichter, in einer der besten Szenen von NOBODY’S FOOL, wieder auf den Boden der Kleinstadt gebracht wird:

„Du weißt, was ich von der Bewaffnung von Idioten halte. Gibt man einem eine Waffe, muss man allen eine geben, sonst wird es unsportlich.“

In Bath einen Vergnügungspark zu bauen, hat der Bankier des Orts Clive Peoples (Josef Sommer) eingerührt, welcher in seinen Country-Club-Gefilden in einer völlig anderen Welt lebt. Der Deal mit Investoren kommt nicht zustande, die Kapitalisten ziehen weiter und Clive verlässt den Ort. Der Themenpark heißt „The Ultimate Escape“: die Hauptmotivation von Sully und am Ende das Verschwinden von Clive. Für Anwohner bleibt alles wie beim Alten, zum Glück. Das Städtchen Bath ist auch ohne Rummel eine Reise wert.

Hintergrund

Der unter Dyslexie leidende Regisseur und Drehbuchautor Robert Benton (geb. 1932) hat eine kleine, aber feine Filmografie, bei der er meist beide Handwerke innehatte. Mit gerade einmal 16 Einträgen in der Filmdatenbank gehören seine Filme wie BONNY UND CLYDE (1967), KRAMER GEGEN KRAMER (1979) oder EIN PLATZ IM HERZEN (1994) fest zur Filmgeschichte. Schauspielerin Jessica Tandy (MISS DAISY UND IHR CHAUFFEUR, COCOON) verstarb leider kurz nach den Dreharbeiten. Ihr wurde auch der Film gewidmet.

Paul Newman gewann 1995 für diese Hauptrolle den Silbernen Bären bei der Berlinale. Unglaublich, dass die stets so politisch aufmüpfige Berlinale einem so handzahmen Film einen Preis verliehen hat. Eine Oscarnominierung erhielt NOBODY’S FOOL ebenfalls, konnte sich aber gegen das Meisterwerk FORREST GUMP und Tom Hanks nicht behaupten. Es ist schade, dass der Film hierzulande in Vergessenheit geraten ist, vor allem weil es wohl eine der besten Rollen in Paul Newmans Karriere darstellt. Es gibt ihn tatsächlich nur noch gebraucht zu Sammlerpreisen auf DVD zu kaufen. Hoffentlich macht sich ein Label auf die Suche nach der Lizenz im Wirrwarr von Paramount, Universum Film und Ufa. Eine Blu-ray-Neuauflage wäre allemal gerechtfertigt.

Nobodys Fool (1994)

Fazit

NOBODY’S FOOL ist ein Film, wie es ihn nicht mehr gibt. Man möchte nicht immer auf die Abgründe der menschlichen Seele oder auf potenzielle Weltuntergänge aufmerksam gemacht werden. Es dürfen auch gern ein paar Wochen in einer amerikanischen Kleinstadt sein, voller Witz, Lebensfreude und liebenswerter Menschen. Mit dem guten alten Sully durch den Ort zu streifen, kann man immer wieder und die Hoffnung ist groß, dass es in jeder Kleinstadt einen wie ihn gibt.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewNobody's Fool (1994)
Poster
ReleaseKinostart: 23.11.1995

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RegisseurRobert Benton
Trailer
BesetzungPaul Newman (Sully)
Jessica Tandy (Miss Beryl)
Bruce Willis (Carl Roebuck)
Melanie Griffith (Toby Roebuck)
Dylan Walsh (Peter)
Pruitt Taylor Vince (Rub Squeers)
Gene Saks (Wirf)
Josef Sommer (Clive Peoples, Jr.)
Philip Seymour (Officer Raymer)
Philip Bosco (Judge Flatt)
Catherine Dent (Charlotte)
Alexander Goodwin (Will)
Jay Patterson (Jocko)
Jerry Mayer (Ollie Quinn)
DrehbuchRobert Benton
DrehbuchNOBODY'S FOOL von Richard Russo
MusikHoward Shore
KameraJohn Bailey
SchnittJohn Bloom
Filmlänge105 Minuten
FSKab 6 Jahren

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