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Nina Wu (2019) – Filmkritik

Was steckt hinter einem Film? Als Zuschauer begibt man sich für zwei Stunden in eine andere Welt und sitzt dann wieder in der eigenen. Aber wie ist diese Illusion entstanden? Kamera, Schnitt und Effekte  kann man sich als Laie noch vorstellen. Bei der Schauspielerei wird es da schon schwieriger hinter das Handwerk zu blicken: Mehrseitige Dialoge auswendig lernen, Maske und Kostüme anlegen, zu wissen was die Kamera will und nicht weniger als sich die emotionale Seele aus dem Leib spielen. Darsteller, die völlig in eine fremde Persönlichkeit eintauchen, verlieren auch ein bisschen den Bezug zu sich selbst. Was ist aber, wenn man die Chance gar nicht bekommt, sein Inneres nach außen zu spielen. Wie weit würde man gehen, um sich endlich zum ersten Mal wie eine Puppe an Fäden bewegen zu dürfen? In NINA WU will die titelgebende Hauptfigur ihre erste große Filmrolle, doch dafür muss sie sich bis an den Rand ihres Verstandes und darüber hinaus begeben. Oder hat sie es bereits getan?

© Rapid Eye Movies

Handlung

In der Metropole Taipeh schlägt sich die Schauspielerin Nina Wu (Wu Ke-Xi) mit kleineren Werbespots und Komparsenauftritten durch. Das reicht nicht einmal für die Miete in der taiwanesischen Millionenstadt, so dass sie sich leicht bekleidet in Live-Chats noch etwas Geld erbetteln muss. Endlich ist die erste Hauptrolle dank ihres Agenten in Aussicht. Jedoch sind auch explizite Sexszenen im Drehbuch enthalten. Es ist aber ihre erste große Chance in der Branche Aufmerksamkeit zu erhalten und mit den Erfolgswünschen der Familie im Nacken beginnt sie einen moralisch fragwürdigen Hürdenlauf durch die Produktion. Noch zu Beginn ist es der Leistungsdruck und die emotionalen Ansprüche des Regisseurs, die sie an den Rand der Erschöpfung treiben. Doch ihr Verstand beginnt sich langsam aufzulösen. Immer wieder taucht eine mysteriöse Frau (Kimi Hsia) auf, die sie bedroht. Nina sucht Zuflucht in ihrer Heimat auf dem Land und bei ihrer einzigen großen Liebe Kikki (Vivian Sung).

© Rapid Eye Movies

Der andere Blick

Mit viel Gefühl für den stimmigen Bildausschnitt und einer Hauptdarstellerin, die althergebrachte Sehgewohnheiten sprengt, zieht NINA WU gleich die gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Ein Gesicht wie aus Marmor geschliffen und Augen voller Dunkelheit fesseln den Betrachter. Geschickt wird so die Figur frühzeitig zum Betrachtungsobjekt und stets umgibt sie eine einsame, traurige Aura. Wer weiß, welche Erfahrungen sie gesammelt hat, um sich ihrem Schauspieltraum zu nähern. Nach ein paar alltäglichen Ritualen zeigt sie gleich zu Beginn, welche Variationen ihr Gesicht annehmen kann. Von einer Sekunde auf die andere schaltet Nina von tristem Einzelgänger-Dasein auf junges Girlie um und chattet mit lüsternen Namenlosen für ein paar Taler Extrageld. Ein erster Hinweis darauf, dass es ihr scheinbar mühelos gelingt eine andere Person mit anderen Emotionen zu werden. Aus ihrer Berufung werden zugleich eine Flucht, eine Verteidigung und eine Sinnsuche.

© Rapid Eye Movies

Das Objekt

Die Stimmung von NINA WU zeigt frühzeitig in eine grausame Richtung des Ausnutzens von Schauspielerinnen in einer von Männern dominierten Filmwelt. In sterilen Räumen aus Glas und Beton wird im Casting Verzweiflung und Trauer auf Knopfdruck abverlangt. Wie ein Roboter soll sie das tun, was im Drehbuch steht. Doch das Casting ist nur ein Vorgeschmack auf die Arbeit am Set, mit einem Regisseur, der sofort fünf Dinge verlangt, die Nina in einer Szene dem Zuschauer vermitteln soll. Hier beginnt die Welt des Filmens mit der Welt von Nina zu verschwimmen. Wird noch gedreht oder ist es Realität? Der Regisseur schreckt nicht vor Ohrfeigen zurück, um das zu bekommen was er will. Regie-Despoten wie Stanley Kubrick oder David Fincher fallen einem ein und es entsteht ein Gefühl dafür wie unmenschlich ein Dreh sein kann. Die zu drehenden Sexszenen wischen dann jeglichen oberflächlichen Kunstanspruch hinfort. Nina dreht ein Hochglanzporno, entsprungen aus Testosteron-Fantasien. Der unfähige Agent, mit seinem Zuhälter-Verhalten, ist der letzte Verweis auf eine Branche ohne Mitgefühl und fokussiert auf die körperliche Ausbeutung.

© Rapid Eye Movies

Wer ist Nina?

Das ist die erste Hälfte des Films von Midi Z. Zum Glück gibt es auch etwas Positives in diesem gut ausgeleuchteten Blick hinter die Kulissen der Filmindustrie. Nina kehrt zu ihrer Familie zurück und will ihre Liebe Kikiki treffen. Aber auch hier gibt es keine Freiheiten, sondern nur Zwänge, die sie dort hingebracht haben, wo sie ist. Beide wollen ihre gleichgeschlechtliche Liebe nicht preisgeben, die Familie braucht Geld, die Mutter muss am Herzen operiert werden und der Vater ist psychisch krank. Die Frauen bedienen die Männer immer noch beim Ma-Jongg spielen und selbst die Traditionen treten Nina vom Motorroller. Es ist eine Welt, in der sich jeder gut vorstellen kann, dass der Wunsch nach der glänzenden Filmwelt wie bei Nina zur Obsession wachsen kann. Sie wechselt jedoch nur ihre Mauern und Wächter. Eine Persönlichkeitsstörung ist unausweichlich, so dass sich NINA WU in einen Thriller verwandelt, in dem sie ihrem Geist des Gewissens folgt, der sie bis zum unwürdigen Erlangen der Hauptrolle führt.

© Rapid Eye Movies

Fazit

Es erinnert viel an Filme wie THE NEON DEMON (2016) oder den Anime PAPRIKA (2006). NINA WU führt in die heuchlerische Scheinwelt der Unterhaltungsbranche, die Frauen in Ketten eines chauvinistischen Apparats legt. Ein starkes Statement zur #meToo-Bewegung deutet auf Erfahrungswerte der Drehbuchautoren (Regisseur und Hauptdarstellerin) hin. Der emotionale Mystery-Thriller im noch recht unbekannten Taiwan, wirkt daneben nur noch wie ein Bonus.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewNina Wu (2019)
OT: Zhuo Ren Mi Mi
Poster
RegisseurMidi Z
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Trailer
BesetzungWu Ke-Xi (Nina Wu)
Sung Yu-Hua (Kiki)
Hsia Yu-Chiao (Gril Nr. 3)
Shih Ming-Shuai (Regisseur)
DrehbuchWu Ke-Xi
Midi Z
FilmmusikLim Giong
KameraFlorian J. E. Zinke
SchnittMatthieu Laclau
Tsai Yann-Shan
Filmlänge103 Minuten
FSKAb 16 Jahren

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