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Nightmare – Mörderische Träume (1984) | Filmkritik

„Ich könnte in eine Nussschale eingesperrt sein und mich für einen König von unermesslichem Gebiete halten, wenn nur meine bösen Träume nicht wären.“

– William Shakespeare, Hamlet –

Die Vergangenheit kann in Erinnerungen nostalgisch verklärt, schreckliche Ereignisse und negative Erfahrungen hingegen verdrängt werden. Diesen Kontrast behandelt Wes Craven in NIGHTMARE – MÖRDERISCHE TRÄUME (A NIGHTMARE ON ELM STREET, 1984). Teenager erinnern sich an die beängstigende Figur aus einem Kinderlied, die ihnen jetzt in der Realität begegnet. Oder doch nicht?

© Warner Bros.

Handlung

Die Jugendliche Tina (Amanda Wyss) träumt, dass sie ein unheimlicher, mit Brandnarben entstellter Mann (Robert Englund) durch einen röhrenartigen Heizungskeller verfolgt. Beim Erwachen ist ihr Nachthemd zerschnitten. Ihre Schulfreunde sind mit ähnlichen Erfahrungen konfrontiert. In der nächsten Nacht wird Tina erneut von dem mit einem Klingenhandschuh bewaffneten Wesen angegriffen und im Schlaf getötet. Tinas mit im Zimmer anwesender Freund Rod Lane (Nick Corri) gerät unter Tatverdacht, kann zunächst fliehen, wird schließlich von Lt. Thompson (John Saxon) gestellt und bald darauf in der Zelle erhängt aufgefunden. Thompsons Tochter Nancy (Heather Langenkamp) erfährt von ihrer getrenntlebenden, alkoholkranken Mutter Marge (Ronee Blakley), bei der sie wohnt, dass die Anwohner der Elm Street vor Jahren einen Mann namens Fred Krueger, der mehrere grausame Morde verübte und wegen eines Verfahrensfehlers freigesprochen wurde, in einem Keller verbrannten. Nancy fasst einen Plan, wie sie Krueger aus der Traumwelt in die Realität holen könnte. Ihr Freund Glen (Johnny Depp in seiner ersten Filmrolle) soll ihr dabei helfen.

© Warner Bros.

Interpretation

Der Literaturwissenschaftler Wes Craven hat die Geschichte mit zahlreichen Film- und Buchzitaten unterlegt. Freddys dämonische Darstellung als riesige Schatten werfendes Wesen mit dem Messerhandschuh erinnert an den Vampir Nosferatu[1] mit seinen großen, klauenartigen Nägeln: Tina wird von ihrer Mutter beschuldigt, selbst das Nachthemd mit ihren Fingernägeln zerrissen zu haben und sie selbst spricht Nancy gegenüber, als sie das Klirren der Messerklingen beschreibt, zunächst vom „Geräusch seiner Fingernägel“. Ähnlich wie Nosferatu durch Lucy wird auch Freddy von Nancy in eine tödliche Falle gelockt.

© Warner Bros.

Wie HALLOWEEN – DIE NACHT DES GRAUENS (Halloween, 1978) ist auch NIGHTMARE ein Film, der Traumata der amerikanischen Geschichte reflektiert: John Carpenters Meisterwerk beginnt am 31. Oktober 1963, historisch verordnet drei Wochen vor dem Attentat auf John F. Kennedy in der Elm Street! Bevor Nancy im Klassenzimmer einschläft und ihr im Traum Tinas Geist erscheint,[2] liest ein Schüler aus Shakespeares Hamlet die Stelle vor, worin die bevorstehende Ermordung Caesars mit Spukerscheinungen verknüpft wird. Damit wird auch eine Analogie zwischen dem antiken Rom und dem zeitgenössischen Amerika angedeutet:

„Im höchsten palmenreichsten Stande Roms,
Kurz vor dem Fall des großen Julius, standen
Die Gräber leer, verhüllte Tote schrien
Und wimmerten durch alle römischen Gassen; (…)

Wie feuergeschweifte Sterne, blutiger Tau,
Die Sonne fleckig; und der feuchte Stern,
Des Einfluss waltet in Neptuns‘ Reich.“

Die Erzählung der Mutter ähnelt in einzelnen Aspekten auffällig an historische Fälle von Lynchmord und an die Handlung von BLINDE WUT (FURY, 1936), den ersten Film, den Fritz Lang nach seiner Emigration in die USA drehte und der ursprünglich den Titel „Mob Rules“ tragen sollte: ein Mann wird beschuldigt, ein Kind entführt zu haben und inhaftiert. Eine wütende Menge setzt daraufhin das Gefängnis in Brand. Da der Verdächtigte für tot gehalten wird, werden einzelne Beteiligte – angesehene Bürger der Kleinstadt – wegen Mordes angeklagt. Für den Zuschauer entsteht durchaus auch die Frage, ob Fred Krueger die ihm geworfenen Taten wirklich begangen hat, ein Konflikt, der im Remake A NIGHTMARE ON ELM STREET (2010, Regie: Samuel Bayer) auch fokussiert wird.[3] Dort wird der Lynchmord an Krueger gezeigt, während im Original bewusst auf eine Rückblende verzichtet wird.

© Warner Bros.

Wie in den Vorgängerfilmen DAS LETZTE HAUS LINKS (LAST HOUSE ON THE LEFT, 1972) und HÜGEL DER BLUTIGEN AUGEN (THE HILLS HAVE EYES, 1977) übt Craven auch hier heftige Kritik an Institutionen wie der Kernfamilie, der Schule oder den Ordnungskräften: Rod stirbt im Polizeigewahrsam und Nancy erleidet während des Unterrichts Verbrennungen. Craven soll für die Figur Fred Krueger bewusst den Namen eines früheren Mitschülers gewählt haben, vom dem er als Kind gequält und tyrannisiert wurde. Die reale Welt in NIGHTMARE – insbesondere der von Misstrauen und Gehässigkeit geprägte nachbarschaftliche Kosmos des vordergründig beschaulichen Vororts – wirkt teilweise beklemmend eng: ein überfüllter Klassenraum, eine Gefängniszelle, das Krankenhausbett oder das vergitterte Haus in der Elm Street. Im merkwürdigen Kontrast dazu gibt es in den Träumen lange, tunnelartige Flure.

© Warner Bros.

War bereits DAS LETZTE HAUS LINKS, worin der Antagonist den Namen Krug Stillo trägt, eine deutliche Hommage an Ingmar Bergmans JUNGFRAUENQUELLE (JUNGFRUKÄLLAN, 1960) zitiert Craven auch in NIGHTMARE ausführlich den schwedischen Regisseur: kurz vor ihrer Ermordung reißt Tina Freddys Gesicht wie eine Maske ab – in Bermans DIE STUNDE DES WOLFS (VARGTIMMEN, 1968) nimmt eine der Figuren gemeinsam mit dem Hut auch ihre Gesichtshaut ab. Wie bei Bergman ist es auch bei Craven im Laufe der Handlung immer schwerer zu beurteilen, was ist Traum, Einbildung oder Realität. Was können wir der labilen Nancy, die selbst sagt, „das geschieht nicht wirklich!“ glauben?

© Warner Bros.

Das seltsame Ende der Films mit seinen poetisch anmutenden Bildern, die zunächst Harmonie und eine wiederhergestellte Ordnung suggerieren, könnte auch darauf verweisen, dass die gesamte Handlung ausschließlich Nancys Phantasie entsprungen ist. Vielleicht trauert sie über den Verlust der ersten Liebe, ihre Freunde, mit denen sie einst so viel Zeit verbrachte, sind nicht mehr da, sie sind vielleicht in eine andere Stadt gezogen, der Kontakt zu ihnen sowie zu den Eltern ist abgerissen und vielleicht auch nicht erwünscht. NIGHTMARE ist auch ein Film über das Verschwinden der Kindheit und dem schmerzhaften Prozess des Erwachsen-Werdens.

© Stefan Preis

Verwendete Literatur

  • Köhne, Julia und Tilo Renz (2003): And the Roads Lead to Nowhere. Die Jungfrauenquelle und Last House on the Left als Transformationen. In: F. LM. Texte zum Film. S. 41-49.
  • Rein, Katharina (2012): Gestörter Film. Wes Cravens „A Nightmare on Elm Street“. Darmstadt.
  • Westphal, Sascha und Christian Lukas (2000): Die Scream Trilogie … und die Geschichte des Teen-Horrorfilms. München.

Quellen:

  • [1]NOSFERATU –  EINE SINFONIE DES GRAUENS (1922, Regie: Friedrich Wilhelm Murnau) und NOSFERATU – PHANTOM DER NACHT (1979, Regie: Werner Herzog).
  • [2]Ulmen, nach den denen die Elm Street benannt ist, galten in der Antike als Todes- und Trauersymbol. Georg Trakl schreibt in seinem expressionistischen Gedicht An einen Frühverstorbenen: „In einsamer Kammer / Lädst du öfter den Toten zu Gast, / Wandelst in trautem Gespräch unter Ulmen den grünen Fluss hinab.“
  • [3]Die weiteren Teile der NIGHTMARE-ON-ELM-STREET-Reihe, die sich teils stärker mit Freddys Biografie auseinandersetzen, werden in der Interpretation ignoriert.

 

Titel, Cast und CrewNightmare - Mörderische Träume (1984)
OT: A Nightmare on Elm Street
Poster
RegieWes Craven
Releaseseit dem 07.05.2010 auf Blu-ray erhältlich.

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Trailer
BesetzungRonee Blakley (Marge Thompson)
John Saxon (Lt. Thompson)
Heather Langenkamp (Nancy Thompson)
Amanda Wyss (Tina Gray)
Jsu Garcia (Rod Lane)
Johnny Depp (Glen Lantz)
Charles Fleischer (Dr. King)
Joseph Whipp (Sgt. Parker)
Robert Englund (Fred Krueger)
DrehbuchWes Craven
KameraJacques Haitkin
MusikCharles Bernstein
SchnittPatrick McMahon
Rick Shaine
Filmlänge91 Minuten
FSKAb 16 Jahren

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