„Bestatter der Gerechtigkeit“
Wieder ein Western, bei dem sich die Spreu vom Weizen trennt. Nicht etwa im Hinblick auf die technischen Qualitäten, vor wie auch hinter der Kamera, sondern in Bezug auf die Ansprüche des Zuschauers. Wer rauchende Colts, von Dächern fallende Statisten und handfestes Gekloppe im Saloon sehen möchte, sollte sich nicht für NEVER GROW OLD entscheiden. Wer aber ein realitätsnahes Gefühl für den Mittleren Westen bekommen will, den langwierigen, harten Alltag erleben und verstehen lernen möchte wie lange es dauert bis jemand seinen moralischen Werten den Rücken kehrt, der ist bei NEVER GROW OLD genau richtig. Hinzu kommt noch das eigenwillige Verhalten der Kirche und die Träume des kleinen Mannes, in diesem Fall, die eines Bestatters. Leichenbestatter werden zu oft bei klassischen Western als Warnung im Hintergrund verbraucht oder als humoristische Einlage, wenn sie bereits den neuen Revolverschützen der Stadt für den Sarg vermessen. Bei diesem neuen Vertreter des Westerngenre wird der Beruf nicht nur zu einem fleißigen Tischlerhandwerk, sondern auch zu einer Petrischale des moralischen Zwiespalts.
Handlung
1849, ein kleines Kaff, welches nur einen gefühlten Steinwurf vom Schönwetter-Klima der kalifornischen Küste entfernt liegt: Es scheint aber dennoch den dauerhaften Herbst gepachtet zu haben. Der irische Einwanderer Patrick Tate (Emile Hirsch) bewohnt mit seiner Frau, dem Dialekt nach eine französische Einwanderin, Audrey Tate (Déborah François) eine Hütte am Dorfesrand. Der jungen Familie Tate mit zwei Kindern, steht ein weiterer Zuwachs ins Haus. Patrick träumt davon, den schlammigen Hof hinter sich zu lassen und mit seinen Liebsten nach San Francisco weiterzuziehen. Seine Meinung wird von dem zwielichtigem Banditen Dutch Albert (John Cusack) und seinen sprachschwachen Kumpanen geändert. Nicht etwa durch ihre bedrohliche Aura, die von dem Trio ausgeht, sondern vom Aufleben seines Berufes als Bestatter. Dutch Albert kauft nämlich den Saloon im Ort auf und lässt das Glücksspiel, die Alkoholsucht, die Prostitution und das Gesetz des schnellen Schützen wieder aufleben. Gute Zeiten für einen Leichenbestatter.
Altes mit etwas Neuem
Es ist eine Geschichte, die im Western schon oft erzählt wurde: Der einfache Mann gegen den gesetzlosen Revolverhelden. NEVER GROW OLD verweigert sich aber einer reißerischen Erzählperspektive. Als Zuschauer bleiben wir immer ganz nah bei der Figur des „heiligen“ Patrick. Er ist nicht gerade der Gesprächigste und auch sein Handeln vermittelt eher etwas meditativ Ruhiges. Durch sein neu florierendes Geschäft, er wird gut von beiden Seiten des Gesetzes für seine Dienste entlohnt, scheint er auf einmal in seinen Ansichten verändert und will nicht mehr die Freiheit am Pazifischen Ozean suchen. Das wirkt auf uns Zuschauer erst einmal etwas seltsam, da Patrick für ein paar Silbermünzen, die er gemäß der Bestatter-Ehre in seiner Scheune vergräbt, dann doch lieber an diesem feuchten, zugigen Ort bleiben möchte. NEVER GROW OLD soll aber mehr den Kampf mit den eigenen Werten verdeutlichen: Lieber den Mund halten und die Taler einstreichen als Gerechtigkeit walten zu lassen, wozu der Sheriff nicht mehr in der Lage zu sein scheint. Dieses moralische Wechselspiel bekommt leider kaum richtig gut geschriebene Szenen im Drehbuch, die Patricks Abwägen sichtbar machen. Eine Untat nach der anderen müssen wir mit ansehen, den passiven Patrick anstarren und beiwohnen wie sich der Rest der Gemeinde am Bösewicht aufreibt. Patrick ist eben ein einfacher Mann, der nicht sofort als Held zur Rettung reiten wird.
Solide Schauspieler mit unsicherer Führung
Es ist das erste „große“ Spielfilm-Projekt des irischen Regisseurs Ivan Kavanagh. Auch das Drehbuch stammt aus seiner Feder. Einen Bestatter zur Hauptfigur zu machen, stellt im Western gewiss etwas Ungewöhnliches dar, aber sonst weiß NEVER GROW OLD nichts Neues zu erzählen. Das ist aber auch nicht verkehrt, denn Western schaut man auch immer gern wegen der bekannten Genrekonventionen. Bei einem Thriller oder Drama weiß man, dass auch mal die Erzählperspektive verändert werden kann. Nicht so hier, es ist gleich von Anfang an klar: Gut gegen Böse. Die Frage nach dem Zeitpunkt, wann es zum Kampf kommen wird und welche unschuldigen Opfer das „Maß voll machen“, hält das Interesse trotz fehlender Spannung.
Das Filmteam
John Cusack (HIGH FIDELITY, ZIMMER 1408) und Emile Hirsch (INTO THE WILD, SPEED RACER) spielen charakterstark auf, wissen aber nur in kleinen Nuancen dem Film etwas mehr zu geben. Das Drehbuch lässt beide Talente leider am langsamen Erzähltempo und dem Dialog-Mangel fast verhungern. Dafür versteht Kameramann Piers McGrail sein Handwerk auf hohem Niveau. McGrail scheint im Lichtschein des Feuers aufgewachsen zu sein, denn hier werden züngelnde Flammen zum heimlichen Protagonisten. Das Feuer wird zum keimenden Symbol der Rache und kämpft sich immer mehr durch das kalte, dunkle Nichts der Umgebung. Einzig, die zu oft künstlerisch-kreativ wirkenden Nahaufnahmen scheinen Fehl am Platz. Zu gewollt, um der Symmetrie willen, sind die Gesichter der Sprechenden in die Bildmitte verlagert, um von ihrer Umgebung, welche das Weitwinkel-Objektiv extrem betont, definiert zu werden. Im Hintergrund ist jedoch nichts Interessantes zu finden als Geweihe und von Hand geschlagene Holzbalken. Die Filmmusik von Aza Hand, Will Slattery und Gast Waltzing kann sich auch ohne Film hören lassen und der Abspannsong mit dem kernigen und sehr melodisch traurigen „Vanzandt“, gesungen von Will Slattery, ist das emotionale Rückgrat des Films.
Die Kirche
Als geradezu langweilig und hoffnungslos wird der Glaube der Gemeinde in NEVER GROW OLD dargestellt. Priester Pike (Danny Webb) weiß seine Gemeinde gut anzuführen, aber seine starke Präsenz wird zu schnell unter den Tisch gekehrt. Der stetige Verlust seiner Gesundheit wird ihm durchs Drehbuch angedichtet, dabei hätte gerade er mit seiner „kindlichen“ Ehefrau (Antonia Cambell-Hughes) einen perfekten Angriffspunkt für den diabolischen Dutch, welcher Cusack maßgeschneidert mit Leben erfüllt, hergegeben. Leider spielt Glaube in dieser Geschichte ein stark untergeordnete Rolle. Filme wie BRIMSTONE konnten da bereits inszenatorisch biblische Sagen heraufbeschwören lassen und THERE WILL BE BLOOD wirft mit dem Konflikt von Kapitalismus und Kirche ein viel zu großen Schatten in diese Themenwelt.
Die Blu-ray
Koch Films hat NEVER GROW OLD in Deutschland veröffentlicht. Die deutsche Synchronisation kann mit den bekannten Sprechern der Hauptdarsteller aufwarten, aber so richtig will der Funke nicht überspringen. Erst nach einem Wechsel zum Originalton, kann man gänzlich in das Schauspiel und die Dialekte eintauchen. Die Bildqualität ist makellos und überzeugt mit satten Schwarzwerten. Die Extras sind umfangreich ausgefallen, neben einem Making-Of kann man ein kurzes B-Roll vom Dreh sehen und noch einem einstündigen Interview mit Regisseur und Cast beiwohnen.
Fazit
Frischer Glanz wird dem Westerngenre nur durch die Perspektive eines Leichenbestatters verliehen. Technisch hochwertig inszeniert, fehlt es NEVER GROW OLD jedoch am richtig emotionalen Anpacken seiner Zuschauer. Die Dramen sind ohne Zweifel vorhanden, jedoch bleibt viel Potential im moralischen Zwiespalt auf der Strecke. Dennoch kein unnützer Filmabend für Genre-Fans.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter