„Liberte, Fraternite, EGALite“
Das Faszinosum des Kinos mit dem Mann aus Korsika ist schnell ergründet: Eine Biographie, in die der Icarus Stoff schon direkt mit eingebaut ist; ein wahnsinniger Aufstieg und ein explosiver Endpunkt im nicht erst seit ABBA sprichwörtlichen Waterloo. Doch steht Napoleon im Kino auch immer fürs Scheitern: Abel Gances visionäres, aber unfertiges Stummfilmepos oder Stanley Kubricks nie gedrehter Film. Diejenigen, die sich im Irrenhaus nicht selbst für Napoleon halten, denken, einen Film über ihn drehen zu können. Vielleicht ist Ridely Scott genau der Richtige für solch ein Unterfangen.
Einfach gemacht, hat er es uns zumindest nie und das letzte, was irgendjemand sehen möchte, wäre wohl ein braves by the numbers Historienwerk, in dem die Musik brav zum Oscarmonolog anschwillt. Zwar nahm sich Scott immer wieder solchen Stoffen an, subversierte sie aber verlässlich auf interessante Weise.
NAPOLEON setzt mit seiner Digitaloptik interessante Verfremdungseffekte (und zeigt, wie weit Michael Mann mit seinem PUBLIC ENEMIES der Zeit voraus war), überrascht angenehm ob des immer wieder auftretenden Pennälerhumors, gemischt mit den grimmig-brutalen Schlachtsequenzen. Aber so richtig will sich das nicht zu einem großen Ganzen fügen.
„Are you not entertained?“, lautete das Credo von GLADIATOR. Vielleicht ist dies auch die Leitfrage von Ridley Scott. HANNIBAL, HOUSE OF GUCCI oder THE COUNSELOR, so merkwürdig sie teilweise in sich waren, sind wir am Ende nicht doch entertained gewesen? Ist das in einer Kinolandschaft der Gleichgültigkeit und Langeweile nicht schon mehr, als man verlangen könnte? Das da überhaupt noch ein Regisseur ist, der verlässlich neue Ästhetiken ausprobiert, Sehgewohnheiten und Stoffe unterwandert und auch einfach mal kräftig daneben langt? Sicherlich, aber die Präsenz des Namen Ridley Scott alleine kann NAPOLEON nicht tragen. Auch nicht die erwartbaren Leistungen der Darsteller:innen vor und hinter der Kamera. Denn NAPOLEON ist völlig ziellos, der Film hat keinen Zwang, keinen Biss, keine Aussage, will nichts mehr beweisen.
Springen wir, um diesen Gedanken zu veranschaulichen, nochmal zurück zu GLADIATOR: Hier musste Scott tatsächlich etwas beweisen, nämlich, dass ein Sandalenfilm im neuen Millennium funktionieren kann. Der Film musste „entertainen“, ipso facto: Zuschauer:innen in die Lichtspielhäuser locken. Fast ein Vierteljahrhundert später sieht das anders aus. NAPOLEON ist eine AppleTV+ Produktion, ein Streaming-Film, vielmehr noch ein Portfolio Film. „Es lohnt sich, uns zu abonnieren, Ridley Scott hat auch einen Film bei uns“. Schauen muss das aber niemand, es reicht, dass der Film da ist. Die Kinoauswertung ist ein Prestigeumweg, auf dass der Film bei der Oscar-Verleihung berücksichtigt werde.
Und so egal wie die Tatsache, ob man auf das Icon im Streamingfenster klickt, ist das auch dieser aufgeblasene Film, der sich trotz in der Kinofassung amtlichen 158 Minuten selten Ruhe zum Innehalten gönnt, aufdringlich malereiinspirierte Totalen hinstellt, um sie sofort wieder zu zerschneiden und uns mit der spannenden Beobachtung zu entlassen, das die Geschichte am Ende von den Siegern geschrieben wird. NAPOLEON ist kein per se schlechter Film, sondern, umso tragischer, ein vollkommen belangloser.
Titel, Cast und Crew | Napoleon (2023) |
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Poster | |
Release | Kinostart: 23.11.2023 |
Regie | Ridley Scott |
Trailer | |
Besetzung | Joaquin Phoenix (Napoleon Bonaparte) Vanessa Kirby (Kaiserin Joséphine) Ludivine Sagnier (Theresa Cabarrus) Tahar Rahim (Paul Barras) Ian McNeice (König Ludwig XVIII.) John Hollingworth (Marschall Ney) Youssef Kerkour (Marschall Davout) Matthew Needham (Lucien Bonaparte) Edouard Philipponnat (Zar Alexander I.) Erin Ainsworth (Königin Hortense de Beauharnais) Ben Miles (General Armand de Caulaincourt) Phil Cornwell (Henker Charles Henri Sanson) Rupert Everett (Feldmarschall Arthur Wellesley, 1. Duke of Wellington) Paul Rhys (Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord) Catherine Walker (Königin Marie-Antoinette von Österreich-Lothringen) Gavin Spokes (Offizier Jean-François Moulin) Mark Bonnar (Adjutant Jean Andoche Junot) Anna Mawn (Marie-Louise von Österreich) Davide Tucci (General Lazare Hoche) Sam Crane (Maler Jacques-Louis David) Scott Handy (Marschall Louis-Alexandre Berthier) |
Drehbuch | David Scarpa |
Kamera | Dariusz Wolski |
Musik | Martin Phipps |
Schnitt | Sam Restivo Claire Simpson |
Filmlänge | 158 Minuten (Kinofassung) |
FSK | ab 12 Jahren |