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Mr. Smith geht nach Washington (1939) – Filmkritik

Die von der Regierung haben schon lange den kleinen Mann vergessen. Sie interessieren sich nur dann für die Themen der Bevölkerung, wenn die Wiederwahl ansteht. Heute wirken solche Betrachtungen doch etwas altbacken. Man kann es aber nicht abstreiten, dass bei stetig sinkender Wahlbeteiligung das Vertrauen in die Politik weiter schwindet. Abgeordneter im Heute zu sein ist eine Mammutaufgabe, die bei ähnlichen Arbeitszeiten in der Wirtschaft besser vergütet wird. Wer heute noch in die Politik geht, möchte etwas verändern, zum Guten wenden und dem „kleinen Mann“ ein besseres Leben ermöglichen. „Ein bisschen naiv das Ganze.“ Bei solchen Gedanken ertappt man sich, wenn man den bereits über 80 Jahre alten MR. SMITH GEHT NACH WASHINGTON sieht. Jefferson Smith wollte eigentlich gar nicht nach Washington. Er hat sich überreden lassen im Senat zu arbeiten, trotz Ehrfurcht vor der Verfassung und deren historischen Idolen. Er dachte, er könnte etwas erreichen, doch sein Vorhaben wird auf eine harte Probe gestellt. Gerade im aktuellen politisch-despotischen Klima eines gewissen US-Präsidenten wirkt Senator Smith wie ein naiver Junge. Aber wer will schon den Hundeaugen von James Stewart etwas abschlagen?

© Sony Pictures Home Entertainment

Handlung

Flott geht es ins politische Geschehen: Senator Foley ist verstorben und es muss Ersatz her. Jedoch ist Gouverneur Hubert Hopper (Guy Kibbee), der für die Ernennung verantwortlich ist, in ein Staudammprojekt verwickelt. In diesem hat der Wirtschaftsmogul und Groß-Lobbyist Jim Taylor (Edward Arnold) zusammen mit Senator Joseph Paine (Claude Rains) seine korrupten Finger im Spiel. Viele Ländereien im zukünftigen Bauprojekt gehören ihnen, welche sie unter verdeckten Namen der Regierung teuer verkaufen werden. Senator Paine hat das Projekt geschickt als Punkt 40 in einem Haushaltsnachtrag versteckt.

Der neue Senator ist am besten ein naiver Grünschnabel, der bei der Bevölkerung beliebt ist, von Politik keine Ahnung hat und tut was man ihm sagt. Das Schicksal zeigt auf Jefferson Smith (James Stewart), der eine Pfadfinderzeitung betreibt und bei den Jungen ein beliebtes Vorbild ist. Das sind nicht nur die Wähler von morgen, sondern sie haben erstaunlich viel bei der politischen Orientierung der Eltern mitzureden. Wollen wir es mal glauben.

© Sony Pictures Home Entertainment

Smith landet in Washington und verschwindet erstmal auf ehrfürchtiger Sightseeing-Tour. Seine Sekretärin Clarissa Saunders (Jean Arthur), eine alteingesessene Vorzimmer-Dame, die schon lange weiß auf welch moralisch fragwürdigen Wegen die Gesetzeslage läuft, macht sich kaum Hoffnung für den jungen Senator. Nachdem Smith aber einen Gesetzesentwurf vorstellt, der ein nationales Pfadfinderlager an besagter Staudamm-Bauprojekt vorgibt, gerät er ins Visier seiner Kollegen und des Strippenziehers Taylor.

Immer noch aktuell?

Völlig ungewohnt verraten die Schurken gleich zu Beginn, was sie vorhaben. Jeder Drehbuchautor hätte heute erst kurz vor Ende verraten, dass der freundschaftliche Senator Paine ebenfalls in die Korruption verstrickt ist. Aber hier weiß man Bescheid und sieht Smith zu, der wie ein Schaf den Wölfen vorgeworfen wird. Wie er da wieder rauskommt, mit einer 24-stündigen Dauerrede, ist heute völlig abwegig. Nur wenn man lang genug redet, heißt es noch nicht, dass einem Gehör geschenkt wird. Aber als metaphorisches Durchhaltevermögen wollen wir es ihm gern gutschreiben.

© Sony Pictures Home Entertainment

Was die Filme von Regisseur Frank Capra (MR. DEEDS GEHT IN DIE STADT, ES GESCHAH IN EINER NACHT) immer noch sehenswert machen, ist das dynamische Erzähltempo. Es wird nie alles zu detailliert ausgeführt. Der Zuschauer wird stets zum Mitdenken aufgefordert. Zum Beispiel tritt Gouverneur Hopper zu Beginn nur kurz in das Haus von Mr. Smith ein, es gibt einen Zeitsprung und es wird verkündet, dass er sich als Senator ernennen lässt. Hauptdarsteller James Stewart (VERTIGO, IST DAS LEBEN NICHT SCHÖN?) wurde für diese Rolle 1939 zum Star, aber in MR. SMITH GEHT NACH WASHINGTON braucht es 12 Minuten bis er zu sehen ist. Das lässt ihn nicht nur zurückhaltend erscheinen, sondern weckt auch die Neugier des Zuschauers. Außerdem ist es endlich an der Zeit einen schlanken Mann in der wohlgenährten Männerwelt zu sehen.

Vor allem durch die Serie HOUSE OF CARDS wird jedem klar sein, wie komplex so ein Gesetzeserlass ist. Selbst 1939 geben Senatoren zu, nur die Hälfte vom juristischen Text zu verstehen. Da kommt die einfache Idee von Jefferson Smith, der Vorname ist nicht durch Zufall auf Thomas Jefferson zurückzuführen, angenehm übersichtlich daher. Auch der Prozess der Gesetzgebung wird durch einen jungen Pagen im Senat und Assistentin Saunders verständlich erklärt. Der Film kann ohne Probleme in den amerikanischen Lehrplan aufgenommen werden.

© Sony Pictures Home Entertainment

„Ich werde hier nur sitzen und zuhören.“ „Ja, so wird man wiedergewählt“

Auch wenn für europäische Sehgewohnheiten das Thema Pfadfinder einen Deut zu nationalistisch klingen mag, wird jeder zustimmen, dass Kinder auch einmal in die Natur gehören und der Zusammenhalt ihresgleichen ihnen neue Freundschaften eröffnet. Man muss bedenken, dass 1939 ein geschichtsträchtiges Jahr ist und MR. SMITH GEHT NACH WASHINGTON gekonnt an den Themen Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg vorbeizieht (Der Film kam in den USA in die Kinos, ein paar Wochen nach dem Einmarsch des Deutschen Reichs in Polen). Ein Zusammenhang dazu lässt sich nicht herstellen, es geht vor allem um den korrupten Einfluss der Wirtschaft auf die Politik. In heutigen Zeiten, wo Multi-Milliardäre gleichzeitig Präsidentschaftskandidaten sind, scheint das moralische Happy End von diesem Film nicht recht angekommen zu sein. Vielleicht dachte man, es gibt bestimmt noch einige vom Schlage Smiths in der Politik. Aber die Wirtschaft verfügte in den letzten Jahrzehnten über den längeren Atem bzw. die besseren Ressourcen. Ob kein positives Ende, die Menschen mehr zum Nachdenken und politischem Handeln inspiriert hätte, steht nicht zur Frage, denn eine Welt im Krieg klopfte bereits an die Tür der Kinozuschauer.

© Sony Pictures Home Entertainment

Es lässt sich zusammenfassen, dass MR. SMITH GEHT NACH WASHINGTON heute zu naiv und einseitig wirkt. Wer könnte heutzutage noch der Boulevard-Presse eins aus Kinn geben, wenn er sich ungerecht in den Medien behandelt fühlt. Smith teilt hier noch kräftig aus.

Aber was macht diesen hochgelobten Klassiker im 21. Jahrhundert immer noch so sehenswert?

Der Blick von heute

Ganz einfach, eine der taffsten und besten weiblichen Rollen aus der Zeit des Schwarz-Weiß-Films: Jean Arthur als Clarissa Saunders. Vor allem in der deutschen Synchronisation mit der deutlich tieferen Stimme von Maddalena Kerrh ausgestattet, ist sie der cleverste Geist im ganzen Film. Eine so starke Frauenrolle ist hier eine Überraschung – Frauen haben erst 1920 in den USA ihr vollumfängliches Wahlrecht erhalten. Saunders wandelt sich nicht nur von der passiven Zuarbeiterin zur kompetenten Beraterin ihres Chefs, sondern ist in ihrem moralischen Dilemma liebreizend und spannend zu gleich. Wenn man filmanalytisch an die Geschichte herangeht, ist sie die eigentliche Hauptfigur. Sie verändert ihre eigenen Ansichten, überdenkt ihr Handeln und bringt die Bösen zu Fall. Vor allem ihre Freundschaft zum zynischen Journalisten Diz Moore (Thomas Mitchell) macht sie zur sympathischen Whistleblowerin. Beste Szene ist, wenn Diz und Saunders betrunken beim Abendessen beschließen zu heiraten, man merkt, dass die Chemie zwischen beiden Schauspielern einfach stimmt.

© Sony Pictures Home Entertainment

Fazit

Zum Filmende stellt die Hauptfigur gegenüber, in welcher Welt man lieber leben möchte, in einer Jungen- oder Männerwelt. Die heutige Rezeption von MR. SMITH GEHT NACH WASHINGTON ist eine ähnliche Fragestellung. Capras Film verströmt eine junge, aber ehrliche Naivität, die im heutigen politischen Diskurs zerfleischt werden würde. Man denke nur einmal an den hochpulsierenden DIE ERFINDUNG DER WAHRHEIT (MISS SLOANE, 2016) mit Jessica Chastain. Vor allem durch die lebhafte und effektive Inszenierung ist dieser Klassiker immer noch gern gesehen und wenn es nur für die begeisterte Erklärung des Lincoln Monuments von Smith ist: „Man kommt die Treppe hoch und Lincoln schaut einem direkt in die Augen“, MR. SMITH GEHT NACH WASHINGTON tut dies auch mit seinen Zuschauern. Politik bleibt hier auf Augenhöhe, wo sie hingehört.

© Christoph Müller

Gesehen im Zuge meiner Filmchallenge FLUXScorseseMasterclass.

Titel, Cast und CrewMr. Smith geht nach Washington (1939)
OT: Mr. Smith Goes To Washington
Poster
ReleaseKinostart: 19.10.1939 (USA)
ab dem 04.12.2014 auf Blu-ray

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RegisseurFrank Capra
Trailer
BesetzungJean Arthur (Saunders)
James Stewart (Jefferson Smith)
Claude Rains (Senator Joseph Paine)
Edward Arnold (Jim Taylor)
Guy Kibbee (Governor Hopper)
Thomas Mitchell (Diz Moore)
Eugene Pallette (Chick McGann)
Beulah Bondi (Mutter Smith)
Harry Carey (Senats Präsident)
Astrid Allwyn (Susan Paine)
Ruth Donnelly (Mrs. Hopper)
DrehbuchSidney Buchman
KameraJoseph Walker
FilmmusikDimitri Tiomkin
SchnittAl Clark
Gene Havlick
Filmlänge129 Minuten
FSKab 0 Jahren

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