„Blinder Hass“
Politische Filme hätten schon immer Aufmerksamkeit auf sich gezogen – insbesondere die gut gemachten. Sie seien Garanten für Auszeichnungen und weitreichende Diskussionen. Und sie würden schon einmal, so im Fall von Oliver Stones JFK (1991) zur nachträglichen Offenlegung geheimer Dokumente führen, die für die Einordnung in die Geschichte essenziell seien. So führt Tobias Hohmann in seinen gewohnt rechercheintensiven Booklet-Text ein und benennt Alan Parkers MISSISSIPPI BURNING (1988) als entscheidenden politischen Film (Hollywoods) sowie zuletzt gar als einen der wichtigsten Filme der 1980er-Jahre.
MISSISSIPPI BURNING, schon immer ein Cine-Tipp im TV und nun endlich gelungen für den deutschen Heimkinomarkt ins HD/4K-Zeitalter gehoben, bleibt deshalb einer der besten politischen Filme, weil er ein damals – wie heute noch – brisantes gesellschaftliches Thema ins Gewand eines beachtlich gefilmten Thrillers verpackt. Er ist Sozialdrama und Cop-Thriller in einem, orientiert sich am Film Noir bzw. Detektivfilm. Man wird ihn immer wieder gebannt in einem Rutsch durchschauen und fühlt sich dabei entlang der spannungsgeladenen Atmosphäre mitten ins Geschehen hineinversetzt. MISSISSIPPI BURNING – DIE WURZEL DES HASSES, so der deutsche Zusatztitel, verhandelt modernen Rassismus in seiner extremen Form. Zwar spielt der Film 1964, doch das hier gezeigte System rassistischer Unterdrückung und fataler Überzeugungen mit Drang zur Gewalt ist leider zeitlos. Der Film wirkt, nicht zuletzt, weil er Ende der 1980er recht schlicht und klassisch gedreht wurde (vgl. auch DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER, 1990), heute noch genauso beklemmend wie damals. Wenn wir die Nachrichten einschalten, begegnen uns täglich ethnisch motivierte Kriege und verbrecherische Übergriffe auf kleine und große Gruppen. Die Welt hat sich an manchen Orten vielleicht verbessert, dafür verschieben und verdichten sich die Konflikte anderswo immer heftiger.
MISSISSIPPI BURNING ist kein einfacher Film, keiner, den man für einen angenehmen Abend nebenher zum Spaß schaut. Dieser Film brennt sich tief in die Netzhaut und ins Gemüt ein. Er lässt einen am ganzen Körper zittern, so sehr schmerzen die Ungerechtigkeit und die Gewalt, die hier zwischen den Menschen vom Zaun bricht. Zusammen mit den beiden Ermittlern, gespielt von Gene Hackman und Willem Dafoe, sind wir Zuschauer oft wie betäubte Beobachter. Und anders als die FBI-Agenten, die extra von Hoover in den Süden geschickt werden, sind wir völlig handlungsunfähig. Wir können nur sehen, erfahren und – vielleicht – begreifen.
Die genauere Handlung kreist um den Mord an drei jungen Männern, Bürgerrechtlern, die von Ku-Klux-Klan-Mitgliedern des nachts getötet wurden: als Zeichen der ultimativen Abschreckung gegenüber der afroamerikanischen Community, die zur damaligen Zeit noch völlig machtlos der Unterdrückung durch Weiße entgegenblickte. Das waren die letzten Jahre vor dem ersten Erfolg der Bürgerrechtsbewegungen Ende der 1960er, aufgeheizt, verdichtet – was nicht bedeutet, dass der Rassismus danach geendet hätte. Verbrennung der Kirchen der Afro-Community, deren konsequente Abschiebung in Ghetto-ähnliche Vororte, das war der Status Quo im Magnolien-Staat Mississippi, dessen blumiges Image auf einem Highway-Schild vom ersten Moment an durch die finstere Atmosphäre unterlaufen wird. „Was hat vier Augen, kann aber nicht sehen?“, fragt Anderson (Hackman) seinen Partner Ward (Dafoe), als sie am Schild vorbeifahren. Der Spruch funktioniert nur im Englischen: „What has four I’s (eyes) but can’t see?“ Mississippi. Die Region wird als blinder topografischer Punkt definiert, wo man blind ist vor Hass. Die Löcher durch die beängstigenden weißen Kapuzen des KKK bieten keine Perspektive mehr, vielmehr blicken wir von außen durch sie auf geblendete Augen. Allein dieses ikonisch-gefährliche Motiv bildet das Cover der neuen Mediabook-Edition von capelight.
Regisseur Alan Parker (ANGEL HEART, 1987) musste sich den Vorwurf gefallen lassen, einen Film „von Weißen für Weiße“ zu machen, da er die Perspektive – auf Basis der Fakten wohlgemerkt – konsequent aus Sicht der beiden FBI-Agenten wählte, die eine ihnen relativ fremde Gegend als Arbeitsort zugewiesen bekamen. Dafoe spielt den jungen akademischen Typ von Ermittler, der streng nach Protokoll vorgeht, um systematisch an Beweise zu kommen, die gerichtlich hieb- und stichfest sind. Sein Gegenüber ist der erfahrenere Partner, eine weitere von Hackmans Glanzleistungen, der mehr Empathie und Raffinesse, kurzum eine bessere Spürnase besitzt, jedoch auch dem Hang zu Nötigung und Gewalt nachgibt, was seine Rolle ungleich komplexer werden lässt. Hackmans Performance – man muss den Mimen nachdrücklich zu den Besten seines Fachs zählen – lässt fast mühelos die Schwelle zum Dunkeln der Menschenseele erkennbar werden, wenn es in seinem Agent Anderson zunehmend brodelt und hinter der zunächst entspannten Fassade Stück für Stück der Bluthund und die Selbstjustiz durchbrechen. Dieser Zustand der Ohnmacht, auch auf Seiten der Ermittler, ist wichtig für die Verzweiflung der Protagonisten innerhalb der menschlichen Abgründe. Man fühlt sich zusammen mit ihnen ausgeliefert und verloren. Dafoe betont etwa im Interview, dass ihm seine Rolle des jüngeren Agenten für sich genommen zu blass erschien, die Figur jedoch im Zusammenspiel mit der von Hackman ihre Wirkung entfalte – hinzu kommen weitere Glanzleistungen bei den Nebenrollen, u. a. von Frances McDormand, Brad Dourif und Michael Rooker.
Hinzu kommt die perfekt durchkomponierte Bildsprache, stets zusammen mit dem Spiel der Akteure, aber gerade auch für sich genommen im Zeigen des Umfelds, durch das sich die Figuren bewegen. Immer wieder sind wir mit auf Suchpatrouille, wiederholt warten wir mit den Agenten im Auto, die das Böse längst ausfindig gemacht haben, aber solange im Verborgenen bleiben müssen, bis der ganze Auftrag erfüllt ist, der letzte Nachweis erbracht wurde. MISSISSIPPI BURNING ist ein Film des Sehens im Dunkeln. Die Kamera blickt dorthin, wo es wehtut, wo es im wahrsten Wortsinn brennt: Kirchen in meterhohen Flammen, die Scheinwerfer eines Autos, deren Lichter die Schwärze der Nacht durchschneiden, die Fackeln des Klans. Dieser brennende Hass lädt über Sequenzen den gesamten Film immer weiter auf – bis er die Verbleibenden ernüchtert zurücklässt. So ist der Blick unserer beiden Agenten am Ende auch keiner der Bestätigung, sondern einer voll von Schmerz und Gewissheit über den anhaltenden Hass.
Das sind für mich, wiederkehrend, die zentralen Eindrücke und Qualitäten von Parkers Film: ein Werk, das von Suche und Orientierung – und dessen Verlust, Ohnmacht – geprägt ist und die entsprechenden Bilder liefert.
Die technisch makellose neue Heimkinoveröffentlichung legt den Fokus vor allem auf die Hintergründe der Story und die Dreharbeiten.
Das Mediabook von capelight pictures
… bietet den Hauptfilm hervorragend restauriert auf Blu-ray und 4K UHD-Disc, wobei das Bild durchgängig von einem feinen Filmkorn durchzogen ist und dank HDR auf der UHD zudem mit sauberer Farbdynamik und starken Kontrasten punktet. Das Bild basiert auf einer Negativ-getreuen Restaurierung und übertrifft als weltweite 4K-Premiere noch die besten Blu-rays, wie etwa zuletzt von Kino Lorber (USA, 2019). Der Ton liegt originalgetreu in DTS HD Master Audio 2.0 vor, als Sprachen, auch für die Untertitel, sind jeweils Deutsch und Englisch anwählbar.
Die Haptik des Mediabooks verbindet Verarbeitung, Motiv und Struktur perfekt, es darf, nicht zuletzt aufgrund des wertigen Inhalts als ein Highlight des diesjährigen Mediabook-Katalogs gelten. Das bereits angesprochene Motiv – einzig ein mit weißer Maske vermummtes Gesicht, dessen Augen uns betäubt anstarren – wird von einer Leinen-Struktur des Einbands unterstützt, wie man es beim Label auch von HEAVEN’S GATE oder George A. Romeros CRAZIES kennt. Im sauber verarbeiteten Innenbereich erwarten uns Trays für drei Discs, zweimal der Hauptfilm auf der linken Seite und, nach einem 24-seitigen Booklet, zudem die Bonus-Disc (Blu-ray) auf der rechten Seite. Capelight-typisch bildet der Tray-Hintergrund durchgängig ein Motiv, was auch auf die darauf befestigten Discs übertragen wurden. Das Booklet ist sauber eingearbeitet und hat eine gute Papierstärke, Verarbeitung sowie ein ansprechendes Design im Zusammenspiel von Text und Szenenbildern.
Geschrieben wurde das Booklet von Tobias Hohmann, der für rechercheintensive Hintergrundtexte zur Entstehungsgeschichte bekannt ist. In klarer, verständlicher Sprache dokumentiert Hohmann einen gründlichen Abriss der Dokumentation zu MISSISSIPPI BURNING, angefangen bei der Recherche der Story- und Drehbuchautoren, über die Findung des Regisseurs, dessen anschließende Zuarbeit in der Vorproduktion, um auch seine Vision der Geschichte umsetzen zu können, zu den „Dreharbeiten am Limit“ und der Veröffentlichung inklusive erster Rezeption und Wirkung. Der Text nimmt etliche Quellen, auch Audiokommentare und Interviews der Beteiligten zur Hand und bietet im Ganzen eine verdichtete Präsentation der Produktionsgeschichte, wodurch auch Überschneidungen zum AV-Bonus der Discs gegeben sind.
Auf der dritten Disc liegen, teils in HD, teils in SD(-Upgrades), zahlreiche Interviews und Featurettes vor, die die Meinungen der Beteiligten wiedergeben. Ein kritisches bzw. würdigendes Feature mit Beteiligten aus Kunst, Geschichte oder Kultur vermisst man indes. An erster Stelle überzeugen zwei (relativ) neue Interviews mit Alan Parker und Willem Dafoe, produziert im Jahr 2015. Das Interview mit Drehbuchautor Chris Gerolmo (der dann an Parker abgeben musste), ist in seinen Details auch im Booklet nachzulesen. Bis hierhin sind es etwa 45 Minuten Bonus. Es folgen vier Vintage-Featurettes, zweimal 5 Minuten zum Film und zum Thema, dann nochmal insgesamt 5 Minuten in zwei kurzen Promo-Interviews mit Alan Parker und Gene Hackman, die von Filmszenen und Behind-the-scenes-Material unterstützt werden. Letztlich sind dies 15 Minuten gut kommentiertes und editiertes Promo-Material aus der finalen Produktionszeit. Interviews bei oder nach der Veröffentlichung, einschließlich dem Wirken und der Rezeption des Films, lassen sich nicht finden. So bietet sich hier insgesamt eine gute Stunde Making-of, die uns stimmungsvoll mit in die Entstehungsphase des Films zurücknehmen. Der weiterführende Blick, eine Kontextualisierung, auch hinsichtlich der filmpolitischen Bedeutung oder auch im Zusammenhang mit Parkers anderen Filmen – vgl. MIDNIGHT EXPRESS (1978) oder BIRDY (1984), die ebenfalls von Gewalt und Isolation geprägt sind – entfällt leider.
Die Discs mit dem Hauptfilm bieten noch den Audiokommentar des Regisseurs, der einerseits über Hintergründe berichtet, aber auch szenenspezifische Erläuterungen vornimmt, wodurch er als Regie-Kommentar von allen Extras noch am nächsten an filmsprachlicher Beschreibung ist. Er ist sehr ruhig und angenehm zu hören und vermittelt an den richtigen Stellen ein tiefergehendes Wissen und auch Gefühl zum Film, was die Seherfahrung noch einmal bereichert. Einziges Manko ist, dass einige hörbare Pausen vorkommen, wodurch das Format nicht optimal genutzt wird. Der Kommentar ist zudem, fast fehlerfrei, auf Deutsch untertitelt. Insgesamt liegt mit dem 3-Disc-Mediabook eine sehr gelungene Heimkinoveröffentlichung vor, auch wenn sie das Potenzial des zeitlos starken Films nicht ganz ausschöpft.
Fazit
Mit MISSISSIPPI BURNING ist ein zeitlos wichtiger Film neu auf dem hiesigen Heimkinomarkt erschienen – ein Pflichtkauf für alle Cinephilen. In bestmöglicher Qualität auf Blu-ray und auch 4K UHD versammelt das hochqualitative, ansprechende 3-Disc-Mediabook den Hauptfilm inklusive allerlei Bonusmaterial, wie es in dieser kombinierten Form bisher nicht verfügbar war. Auch wenn der Fokus ausschließlich auf der Entstehungsgeschichte des Films liegt und dessen kulturhistorisches bzw. filmpolitisches Potenzial nur am Rande gewürdigt wird, möchten wir für diese Edition eine klare Empfehlung aussprechen. Der Film gehört in die Sammlung und sollte immer und immer wieder gesehen werden.
Titel, Cast und Crew | Mississippi Burning (1988) |
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Poster | |
Release | seit dem 19.09.2024 im Mediabook (Blu-ray + DVD + Bonus-Blu-ray) und auf DVD erhältlich. Direkt beim Label bestellen. |
Regie | Alan Parker |
Trailer | |
Besetzung | Gene Hackman (Agent Rupert Anderson) Willem Dafoe (Agent Alan Ward) Frances McDormand (Mrs. Pell) Brad Dourif (Deputy Clinton Pell) R. Lee Ermey (Bürgermeister Tilman) Gailard Sartain (Sheriff Ray Stuckey) Stephen Tobolowsky (Clayton Townley) Michael Rooker (Frank Bailey) Pruitt Taylor Vince (Lester Cowens) Badja Djola (Agent Monk) Kevin Dunn (Agent Bird) Frankie Faison (Lobredner Totenmesse) Darius McCrary (Aaron Williams) Tobin Bell (Agent Stokes) |
Drehbuch | Chris Gerolmo |
Kamera | Peter Biziou |
Musik | Trevor Jones |
Schnitt | Gerry Hambling |
Filmlänge | 127 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Liebt Filme und die Bücher dazu / Liest, erzählt und schreibt gern / Schaltet oft sein Handy aus, nicht nur im Kino / Träumt vom neuen Wohnzimmer / Und davon, mal am Meer zu wohnen