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Mission Impossible: Dead Reckoning Teil eins (2023) – Filmkritik

„Keine Zeit für Helden“

„Your kind is headed for extinction“ (Deine Art ist vom Aussterben bedroht), eröffnet ein von Ed Harris gespielter Army-General Tom Cruises Maverick in der gleichnamigen 2022er Fortsetzung des 80er-Jahre-Erfolgsfilmes TOP GUN. Gefolgt von einem lakonischen: „But not today“.

Der Hollywood Blockbuster steckt, wenn nicht monetär, dann künstlerisch, seit den 2010er Jahren in einer Krise. Eine zunehmende Serialisierung der Stoffe und der Fokus auf das Bedienen eines nostalgischen Marktes führten zu einer Gleichförmigkeit und Identitätslosigkeit der Stoffe. Zudem auffällig: Der Mensch verschwindet aus dem Hollywoodkino. In den Box-Office dominierenden Filmen des Disneykonzerns lösen gottgleiche Superhelden die Probleme einer Menschheit, die nur noch als staunende, computeranimierte Masse im Hintergrund erscheint. In die Konflikte von Superheld gegen kosmische Gottheit kann diese Menschheit nicht mehr eingreifen, sie ist dazu bestimmt, auf ihre Rettung durch fremde Hand zu hoffen.

© 2023 Paramount Pictures.

Die letzten Filmreihen, die dezidiert ein Individuum in den Mittelpunkt stellen, sind sich dieser Problematik ebenfalls bewusst. Ebenfalls evident ist das Verschwinden eines klar umrissenen „Bösen“, dass vom „Guten“ bekämpft werden muss. Nutzen in den Marvel- und DC-Superheldenfilmen die bereits erwähnten kosmischen Gottheiten die Erde als Austragungsort ihrer Differenzen, sehen sich Bond, Maverick und Ethan Hunt mit einer zusehenden Gesichtslosigkeit des Bösen konfrontiert.

© 2023 Paramount Pictures.

„We used to be able to get into a room with the enemy, talk to him.“ (Früher konnten wir mit dem Feind in einen Raum gehen und mit ihm reden.), lässt Ralph Fiennes M im aktuellen Bond, NO TIME TO DIE (2022) verlauten. Der Austausch mit dem Feind ist hier in Ansätzen noch möglich, Lyutsifer Safin (Rami Malik) ist auf der Oberfläche ein Antagonist „aus Fleisch und Blut“, die Hauptbedrohung des Filmes geht allerdings von einem körper- und gewissenlosen Virus aus, der immerhin von menschlicher Hand gesteuert werden kann, ab dann jedoch zusehends ein Eigenleben entwickelt. Der Mensch wird zum notwendigen Stellvertreter der Technik. Die (zunächst) finale Entwicklung dieses Prozesses ist in MISSION IMPOSSIBLE: DEAD RECKONING TEIL EINS zu betrachten.

© 2023 Paramount Pictures.

Die hier ominös-bedrohlich als „Entity“ bezeichnete künstliche Intelligenz agiert von „Geburt“ an eigenständig, nicht der Mensch macht sich ihr zu Nutze, sondern sie sich dem Menschen. Bezwungen werden kann sie nicht, aber vorrübergehend kontrolliert. Ethan Hunt (Tom Cruise) muss, ein langer Running Gag der Mission Impossible Reihe, erneut „rouge“ werden, aber dieses Mal gibt es kein Ziel, keine Versicherung des Sieges des Guten über das Böse. Die Überwaffe „Entity“ darf niemals in die Hand einer Regierung geraten, wissen Hunt und sein Team (Wiederholungstäter:innen Simon Pegg, Ving Rhames und Rebecca Ferguson sind wieder mit dabei). Die Jagd nach einem „key“, dem Bedienelement der „Entity“, bietet den wesentlichen Inhalt des ersten Teils des Mission Impossible Finales.

© 2023 Paramount Pictures.

Kein Hollywoodstar verhandelt seine eigene Mortalität und Vergänglichkeit so explizit auf der großen Leinwand wie Tom Cruise. Mehrfach musste sich die Impossible Mission Force (IMF) in ihren Filmen ob ihrer Bedeutung rechtfertigen, MAVERICK zeigte in seiner Beschaffenheit die Veränderung der Kinolandschaft auf. Und dann sind die immer wahnsinnger werdenden Stunts von Cruise natürlich auch ein expliziter Schrei nach unserer Aufmerksamkeit.

© 2023 Paramount Pictures.

Und keine Reihe wie die MISSION-IMPOSSIBLE-Reihe war rückblickend so relevant und wegweisend für das aktuelle Kino. Das haben wir über all die Jahre vielleicht immer ein bisschen vernachlässigt. Es war ja auch kein einfacher Start, im Schatten des in Gestalt von Pierce Brosnan gerade publikumswirksam eine neue Agentenreihe etablieren zu wollen. Der nach heutigen Gesichtspunkten erstaunlich bodenständige, von Brian DePalma inszenierte erste Teil entdeckt den als Drehort neu erschlossenen, ehemaligen Ostblock als ausgedehnten Spielplatz der Westmächte und zeigt uns mit Jim Phelps (Jon Voight) einen „Abgehängten“ des Machtwechsels. John Woos grandios gescheiterte Fortsetzung im Namen war bereits der Endpunkt einer Epoche von hollywoodesquer Dekadenz, von der viele noch gar nicht wussten, dass sie überhaupt begonnen hatte. J.J. Abrahams dritter Teil kann als das vielleicht erste „gritty Reboot“ einer Reihe verstanden werden, knapp vor Nolan und Snyders Superheldenfilmen.

© 2023 Paramount Pictures.

Teil Vier lieferte die Blaupause für den „ironischen Blockbuster“, dessen Dauerdrübersteh-Attitüde, die wir vor allem in den Marvelproduktionen, nun ja, bewundern dürfen. Teil Fünf hinterfragte die eine kulturelle Relevanz der Reihe, spätestens ab diesem Zeitpunkt war zumindest intellektuell die Bondreihe abgehängt. Actionmäßig eigentlich auch. Teil 7.1 kann als ein letztes Hurra des klassischen Filmhelden gelesen werden. Denn der Kampf gegen die AI ist aussichtslos, dass macht MISSION IMPOSSIBLE: DEAD RECKONING TEIL EINS zu jedem Zeitpunkt klar. Clever verknüpft der Film diese etwas abstrakte Bedrohung mit allzu bekannten realitären Szenarien, Hunt und Co. sehen sich nicht nur mit Themen wie Fake-News konfrontiert, sondern auch dem Fehlen einer Diskussionsbereitschaft, einer viel zu komplexen Welt, in der es kein „richtig“ und „falsch“ mehr gibt. Ethan Hunt kämpft einen aussichtlosen Kampf.

© 2023 Paramount Pictures.

Neben dieser für einen Blockbuster erstaunlich pessimistische Disposition, stechen zwei weitere Gesichtspunkte hervor. Da ist eine fast vergessene Finalität, der Wert des Todes, den das Kino, so dachte man, schon längst verloren hat. In der FAST&FURIOS-Reihe stirbt niemand völlig (und wenn die Deep Fake Technik ein bisschen weiter ist, wird sicher auch Paul Walker wieder hinter dem Steuer Platz nehmen können), bei Marvel auch nur, wenn die Gagenforderung zu hoch wird. Der Tod bedeutet bei DEAD RECKONING wieder etwas. Und er hinterlässt Lücken, Figuren trauern.

© 2023 Paramount Pictures.

Des Weiteren ist die hervorragende Konstruktion des Filmes zu erwähnen. Interessant ist dieser neue Trend im Kino, den wir bereits in JOHN WICK: CHAPTER IV beobachten konnten, den Film nicht mehr als atemlose Jagd zu begreifen, sondern als fast schon drei abgeschlossene Kurzfilme. MISSION IMPOSSIBLE: DEAD RECKONING TEIL EINS präsentiert sich im Wesentlichen als Verbindung von drei Setpieces, die sicherlich auch losgelöst vom Handlungskorsett funktionieren würden, alle mit eigener kleiner Dramaturgie, Einführung, Mittelteil, Schluss. Knappe drei Filmstunden vergingen selten zügiger.

© 2023 Paramount Pictures.

Da verzeiht man dem Film auch gerne, das bei Zeiten arg aufdringliche Referenzieren der vergangenen Teile. Und auch die etwas fragwürdige Entscheidung, in diesem angedachten Serienfinale eine komplett neue Hauptfigur einzuführen (Hayley Atwell), die wenig Neues zum bereits beachtlichen Figurenpersonal hinzuzufügen hat. Und auch die Zweiteilung des Filmes, so rein monetär sie motiviert ist, ergibt im Handlungskonstrukt trotz frechem Cliffhanger durchaus Sinn. Im gesamten Film geht es eigentlich nur darum, sich Zeit zu erkaufen. Denn: „Your kind is headed for extinction“. Aber eben noch nicht heute. Zum Glück!

© Fynn

Titel, Cast und CrewMission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins (2023)
OT: Mission: Impossible – Dead Reckoning Part One
Poster
ReleaseKinostart: 12.07.2023
RegieChristopher McQuarrie
Trailer
BesetzungTom Cruise (Ethan Hunt)
Simon Pegg (Benji Dunn)
Ving Rhames (Luther Stickell)
Rebecca Ferguson (Ilsa Faust)
Vanessa Kirby (Alanna Mitsopolis)
Henry Czerny (Eugene Kittridge)
Hayley Atwell (Grace)
Shea Whigham (Jasper Briggs)
Frederick Schmidt (Zola Mitsopolis)
Esai Morales (Gabriel)
Pom Klementieff (Paris)
Cary Elwes (Delinger)
Greg Tarzan Davis (Degas)
DrehbuchChristopher McQuarrie
KameraFraser Taggart
MusikLorne Balfe
SchnittEddie Hamilton
Filmlänge164 Minuten
FSKab 12 Jahren

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