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Millennium Actress (2001) – Filmkritik

Schauspielerin oder Schauspieler zu sein hat seine Vorteile. Vom Glamour und den hohen Gehaltsschecks in der A-Liga mal abgesehen, können die Darsteller ein fremdes Leben leben. Manchmal sogar noch mehr, man kann in unbekannte Welten und ferne Zeiten reisen. Es gibt Stars, die in über hundert Filmen mitgespielt haben und Jahrzehnte lang auf den Kinoleinwänden zu sehen waren. Sie haben dutzenden Leben gelebt und bei manchen findet sich stets etwas aus der persönlichen Biografie in den dargestellten Rollen wieder. Der Anime MILLENNIUM ACTRESS beschreibt so ein Leben. Jedoch nicht in Form einer langweiligen Biografie, sondern in einem furiosen, visuellen Mix, in dem sich die Realität (das private Leben) mit der Fiktion (die Filmrollen) vermischt. Leidenschaftlich ist dieser Animationsfilm von Satochi Kon inszeniert, der leider viel zu früh mit 47 Jahren verstarb. Eine Filmbegegnung, die sich auch heute noch lohnt.

© 2001 Millennium Actress Production Committee

Handlung

Der Dokumentarfilmer Genya Tachibana hat endlich das Einverständnis von der Schauspiellegende Chiyoko Fukiwara für ein Interview bekommen. Chiyoko hat sich schon seit vielen Jahren zur Ruhe gesetzt. Genya, selbst ein großer Fan des Schauspielstars, begibt sich mit seinem Kameramann Kyōji Ida zum versteckten Wohnsitz in der Nähe eines Filmstudios, was gerade dem Erdboden gleich gemacht wird. Als Regisseur Genya der ehrenwerten Chiyoko einen Schlüssel übergibt, blühen auf einmal die Erinnerungen der Schauspielerin wieder auf und sie nimmt ihren Gesprächspartner wie auch den Kameramann mit auf eine Reise durch ihre Filme, aber vor allem durch ihr persönliches Leben.

© 2001 Millennium Actress Production Committee

Fiktion oder Film?

Wer die Filme von Satoshi Kon kennt, weiß, dass die Geschichte auf jeden Fall phänomenal visuell erzählt werden wird, aber auch, dass stets Begriffe wie Illusion, Wahrheit und Realität interpretiert werden. In MILLENNIUM ACTRESS vermischt er nicht Visionen und Wirklichkeit wie in PAPRIKA (2006), sondern mischt die Filmrollen der Erzählerin mit ihren persönlichen Erinnerungen. Im Zentrum steht ihre unerfüllte Liebe für einen Maler, dem sie zu Zeiten des faschistischen Regimes für eine Nacht versteckte. Er hinterließ ihr einen Schlüssel, der das Schloss „zum Allerwichtigsten“ öffnet.

© 2001 Millennium Actress Production Committee

Fließend geht es von persönlichen Erlebnissen Chiyokos in ihre großen Filmrollen über und wieder zurück. Momente wiederholen sich, lassen erkennen, welche Parallelen es zwischen ihnen gibt und geben auch einen Hinweis, wo Schauspieler ihre Emotionen für Figuren herholen: aus dem eigenen Leben. Hinzukommt noch ein interner Kampf mit einer konkurrierenden Schauspielerin, die Chiyokos leidenschaftliche Suche nach ihrer Jugendliebe grausam ausnutzt. Damit es aber immer einen Bezugspunkt gibt, der durch die Geschichte führt, werden der Interviewer Genya und Kyōji stets in die Szenen integriert. Zu Beginn verstecken sie sich noch schüchtern hinter Häuserecken, bis es mit Genya durchgeht und er als Retter in die Szenen rennt. Er kennt die Filme als Fan auswendig und so animiert er die Schauspielerin zum Weitererzählen.

© 2001 Millennium Actress Production Committee

Erinnerungslücken

Der leichtfüßige Wechsel zwischen Film und Erinnerung ist sicher das visuelle Herzstück von MILLENNIUM ACTRESS, aber auch die Art und Weise wie unser Gedächtnis funktioniert, bekommt hier ein paar Ansätze. Es ist ungeklärt, ob die ältere Chiyoko an Demenz leidet, aber Genya ist genau der richtige Gesprächspartner, um ihr beim Erinnern zu helfen. Mit dem Schlüssel schickt er sie direkt wieder in die Vergangenheit zu ihrer Begegnung mit dem Dissidenten. Er „rettet“ sie stets aus brenzligen Situationen, die aber nur in ihren Filmrollen geschehen. Es ist immer wieder komisch, wenn sich Genya als Held aufspielt und Chiyoko schon dankend das Weite gesucht hat, er aber noch heroische Monologe hält. Aber auch Genya hat bereits eine eigene Vergangenheit mit der Schauspielerin, an die sie sich nicht mehr erinnert. Genya arbeitete im Filmstudio, wo auch Chiyoko unter Vertrag war, half ihr sogar einmal bei einem Erdbeben. Mit seinen Erzählungen in Form von Rückblenden bekommt die Biografie/Filmografie noch eine weitere Perspektive, so dass sich am Ende alles zu einem kaleidoskopischen Ganzen zusammenfügt. Immer noch mit ein paar offenen Fragen, aber mit einem aussagekräftigen Abschluss.

© 2001 Millennium Actress Production Committee

Japanische Filmgeschichte

Das anspruchsvolle Melodram ist bei weitem optimistischer in seiner Erzählung als PERFECT BLUE (1997), der paranoide Vorgänger von Regisseur Satoshi Kon. Aber vor allem Filmgeschichtsfans bekommen durch die Filmszenen viele schöne, teils ironische Referenzen auf japanische Filmklassiker wie auch Schauspieler. Die Protagonistin könnte ein Abbild drei berühmter japanischer Schauspielerinnen sein: Setsuko Hara (TOKYO STORY, 1953), Yoshiko Yamaguchi (SKANDAL, 1950) und Hideko Takamine (VIERUNDZWANZIG AUGEN, 1954). Hinzukommen die vielen Filme wie auch Genre: Samuraifilm (DAS SCHLOSS IM SPINNWEBWALD, 1957), Historienepos, Monsterfilm (GODZILLA), Familiendrama (EARLY SUMMER, 1951) und Science-Fiction (DER GROSSE KRIEG DER PLANETEN, 1977). Es entsteht ein kleiner Eindruck, wie vielseitig die japanische Filmproduktion von den 1930ern bis in die 1970er gearbeitet hat. Der Titel MILLENNIUM ACTRESS ist aber eher im Hinblick auf die Zeitspanne der Storys zu verstehen, von der Edo-Zeit bis in zukünftige Science-Fiction.

© 2001 Millennium Actress Production Committee

Fazit

Ein einzigartiger Mix aus Liebe zum japanischen Kino, zur japanischen Geschichte und zur eigenwilligen Filmbranche. Zudem ein facettenreicher Rückblick in das fiktive (Film)Leben einer berühmten Schauspielerin, der sogar noch existenziellen Fragen stellt und beantwortet.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewMillennium Actress (2001)
OT: Sennen Joyū
Poster
Releaseab dem 21.04.2022 auf UHD, Blu-ray und DVD

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RegisseurSatoshi Kon
Trailer
DrehbuchSadayuki Murai
Satoshi Kon
KameraHisao Shirai
MusikSusumu Hirasawa
SchnittSatoshi Terauchi
Filmlänge83 Minuten
FSKab 6 Jahren

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