„Endlich Wochenende“
Viele kennen das: Den stetigen Kampf am Montag aus dem Bett zu kommen und genau zu wissen, dass es eine Ewigkeit dauern wird bis man endlich wieder frei hat. Das Wochenende ist in weiter Entfernung und es tröstet auch nicht darüber hinweg, dass es vielen Menschen ebenso geht, was man in den Gesichtern an Haltestellen und Bahnhöfen am Montagmorgen ablesen kann. Die Vorfreude aufs Wochenende ist bereits ein alter Hut und wie der Film MENSCHEN AM SONNTAG 1929 so wunderschön erzählt, ist selbiges wieder zu schnell vorbei. Billy Wilder, damals als Billie Wilder vermerkt, machte seine filmischen Anfänge in Berlin von 1927-1933. In diesem Zeitraum war er fasziniert vom emsigen Treiben der Deutschen, die sich durch die Großstadt drängten, nur um endlich am Sonntag frei zu haben. Ja, damals gab es noch die knüppelharte 6-Tage-Woche. Atlas Film hat nun die restaurierte Version von 2014 – leider immer noch unvollständig – in einem schönen Mediabook herausgebracht.
Inhalt
Fünf Personen, genauer gesagt bleibt es bei vier, weil eine Dame es am Sonntag gar nicht erst aus dem Bett schafft, sind die Hauptfiguren in MENSCHEN AM SONNTAG. Erwin der Taxifahrer, Wolfgang der „Weinreisende“ (Vertreter für Wein), Annie das Mannequin, Christl die Komparsin und ihre beste Freunde Brigitte, die in einem Schallplattengeschäft arbeitet. Alle, das macht eine Texttafel gleich zu Beginn klar, sind zu diesem Zeitpunkt keine Schauspieler sondern Laien, Menschen von nebenan, was man aber kaum merkt. Wolfgang lernt Christl am Bahnhof Zoo kennen und sie verabreden sich für den Sonntag zum Baden am Wannsee. Wolfgang will jedoch nicht allein dort auftauchen und bringt seinen Kumpel Erwin mit, dessen besagte Freundin Annie den Tag zu Hause verpennt. Christl bringt ebenfalls ihre beste Freundin mit, die hübsche Brigitte. Alle vier verbringen den Tag am See mit Spaß, Eifersucht und dem ein oder anderen Liebesgeflüster.
Damals wie heute
Das klingt nicht nach einem Oscar-verdächtigen Drehbuch, welches Herr Wilder hier zu Papier gebracht oder wie man in der Dokumentation in den Extras erfährt, sich ausgedacht hat. Der Dreh war eher von amateurhafter Natur, wo man sich bei jedem Morgen erst überlegte, welche Szenen man denn heute dreht. Außerdem ist es die Zeit des Stummfilms und da können die Regisseure ihren Schauspielern problemlos Anweisungen während der Aufnahmen zurufen. Aber von der Laienwirtschaft merkt man hier gar nichts, denn MENSCHEN AM SONNTAG ist ein spannender Blick in die Vergangenheit und auch in die von Berlin. Wenn man selbst in Berlin lebt oder arbeitet, hängt man förmlich an den Bildern der Straßenzüge, um zu erkennen wie es früher ausgesehen hat. Großstadtfernen Zuschauern gibt der Film aber auch andere Erkenntnisse mit. Zum einen, dass „die jungen Leute“ schon damals ihre Musik mit an den See geschleppt haben, Ende der 1920er Jahre eben in Form eines tragbaren Plattenspielers und zum anderen, dass es früher auch schon Neid auf die gutaussehende beste Freundin gab. Die Unbekümmertheit der Jugend schwingt im Film mit und manifestiert sich in Form eines Quickies im Kiefernwald und man erkennt auch, dass es früher schon viel zu viele Menschen in Berlin gegeben hat, vom Müll auf den Straßen ganz zu schweigen. Die Berliner der 20er waren jedoch wesentlich besser angezogen, dort bekommt der Begriff „Sonntagskleidung“ wieder seine Bedeutung.
Talente in den Kinderschuhen
Was MENSCHEN AM SONNTAG neben seinem Dasein als Vertreter der Kunstform „Neue Sachlichkeit“ und den künstlerischen Bildern Berlins, die man nur in BERLIN, DIE SINFONIE DER GROßSTADT (1927) besser bestaunen kann, waren die Männer hinter der Kamera:
- Billy Wilder wurde zu einem Hollywood-Regisseur und Drehbuchautor, der für Filmklassiker wie MANCHE MÖGEN‘S HEIẞ (1959), BOULEVARD DER DÄMMERUNG (1950), DAS APARTMENT (1960) und quasi eine thematische Fortsetzung dieses Films: DAS VERLORENE WOCHENENDE (1945) jede Menge Oscars erhielt.
- Robert Siodmak emigrierte ebenfalls in die USA und dreht Filme wie RÄCHER DER UNTERWELT (1946), DIE WENDELTREPPE (1945) und DER ROTE KORSAR (1952).
- Edgar Ulmer wurde der Spezialist in Hollywood für Filme mit niedrigem Budget, er drehte 128 Stück, die dennoch viele Kritiker begeisterte. Darunter sind DIE SCHWARZE KATZE (1934), STIMME AUS DEM JENSEITS (1945) und THE MAN FROM PLANET X (1951).
- Rochus Gliese blieb in Deutschland und entwarf zum Beispiel Kostüme für DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM (1920) und arbeitete viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg für die DEFA.
- Eugen Schüfftan, hier als Kameramann, blieb seinem Fach treu, entwickelte ein Spiegeltrickverfahren, um monströse Kulissen zu erzeugen und schuf Bilder für METROPOLIS (1927), ES GESCHAH MORGEN (1944) und HAIE DER GROẞSTADT (1962)
Was aus den Schauspielern geworden ist, erfährt man in der Dokumentation WEEKEND AM WANNSEE im Bonusmaterial des Mediabooks. Besonders die in die Jahre gekommene Brigitte Borchert besticht durch ihren Witz und ihre Anekdoten aus der Zeit des Films, von Erinnerungslücken keine Spur.
Technik und Mediabook
Der Film galt lange als verschollen bzw. nur in Bruchstücken auffindbar. Durch die Zusammenarbeit der Deutschen Kinemathek und dem EYE Filminstitut Nederland konnte, mit Hilfe von gefundenem Material aus Italien und der Schweiz, ein fast vollständiger Film zusammengeschnitten werden. Diese Version liegt im Mediabook auf DVD und Blu-ray bei. Das Booklet klärt informativ über diesen Entstehungsprozess auf und man lernt nicht nur, dass in dieser Branche in Metern anstatt in Minuten gerechnet wird. Das Bild beeindruckt trotz des hohen Alters und dem schlechten Zustand der gefunden Szenen. Der Ton ist eine für diese Version von 2014 neu entstandene Klavierbegleitung von Donald Sosin. Die Originalbänder der Urfassung von Otto Stenzel waren hierfür leider nicht mehr zu gebrauchen.
Fazit
MENSCHEN AM SONNTAG ist nicht nur etwas für Berlin-Nostalgiker, sondern auch für Filmgeschichts-Enthusiasten, die auf visuelle Spurensuche gehen wollen. Der Sonntag war den Deutschen schon immer heilig und dieses Mediabook wird es erfahrenen Filmsammlern sicher auch bald werden. Atlas Film sollte man, besonders im Hinblick auf die Titel-Ankündigung von M (1931) und DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933), im cineastischen Fokus behalten.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter