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Megalopolis (2024) – Filmkritik

Es ist immer wieder erstaunlich, wie Altmeister am Ende ihrer Karriere wieder, wie Studenten werden. Ähnlich wie bei vielen ersten filmischen Gehversuchen bringen sie reine Gedankenkonstrukte ohne realistische Verpackung auf die Leinwand, nehmen darin aber alles sehr wörtlich und stellen ihre Ideen direkt aus. Francis Ford Coppolas neues opus magnum MEGALOPOLIS spielt in New Rome, es gibt eine Design-Behörde, die Personen tragen sehr sprechende Namen wie Cicero, Crassus, aber auch Wow Platinum. Ein mad scientist hat Megalon erfunden, einen Wunderbaustoff, der einfach alles kann und damit völlig abstrakt bleibt. Zwischen den Kapiteln stehen Sinnsprüche als Inschriften in Stein gemeißelt, die Dialoge kommen häufig in Form von Sentenzen daher, teilweise sogar auf Latein.

© Constantin Film

Eine Fabel, wie es anfangs heißt, ist das sicher nicht. Die geschätzt 120 Millionen Dollar Kosten hat Coppola größtenteils selbst finanziert. Offensichtlich war der Film für ihn eine Herzensangelegenheit, das ist oft so eine Sache. In Cannes waren die Kritiken eher verhalten (um nicht zu sagen: verwirrt). Jetzt kommt der Film in die deutschen Kinos, und die Frage lautet natürlich: großer Wurf oder Riesenreinfall?

Sagen wir mal so: Man kann verstehen, dass das kein Studio finanzieren wollte. Zu bizarr, zu teuer, zu wenig Aussicht auf kommerziellen Erfolg.  Aber nach einer Weile kann man einen Zugang zu dem Film finden. Auch die anfangs aufgesetzt wirkenden Effekte werden nach einiger Zeit runder.

© Constantin Film

New York heißt nun also New Rome und steckt in der Krise. Mächtige Familien ringen um die Herrschaft. Das Architekturgenie Cesar Catilina (Adam Driver) möchte die Stadt neu und besser errichten und damit in eine strahlende Zukunft führen. Die Menschen, deren alte Häuser dabei weichen müssen, sind ihm egal. Der Bürgermeister Frank Cicero (Giancarlo Esposito) will das verhindern, ist aber hemmungslos in Korruption verstrickt. Seine Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) verliebt sich in Cesar und steht damit zwischen den beiden. Es tauchen noch viele weitere Personen auf, u.a. Shia LaBeouf als Möchtgern-Diktator Clodio Pulcher und Aubrey Plaza als intrigante Fernsehjournalistin Wow Platinum, die einer Zweckbeziehung zusammenfinden und für ihre Träume von Macht über Leichen gehen: „Brich das Gesetz nur, um an die Macht zu gelangen.“ Dustin Hoffman ist dabei und Lawrence Fishburne in seiner ganzen Morpheushaftigkeit, auch wenn er hier eine ganz andere Rolle als in THE MATRIX (1999) spielt.

Überhaupt hat Coppola ein paar alte Bekannte aus früheren Filmen vor der Kamera versammelt: Neben Lawrence Fishburne – APOCALYPSE NOW (1979), RUMBLE FISH (1983), COTTON CLUB (1984) und DER STEINERNE GARTEN (1987) – und Giancarlo Esposito (ebenfalls COTTON CLUB) auch Jon Voight (DER REGENMACHER (1997)), seine eigene Schwester Talia Shire (alle drei Teile von DER PATE) und deren Sohn Jason Schwartzman. Die Making-of-Dokumentation übernahm Mike Figgis, der Regisseur von LEAVING LAS VEGAS (1995).

© Constantin Film

Bei all diesen großen Namen kommt man nicht umhin festzustellen, dass Shia LaBeouf und Aubrey Plaza nicht unbedingt zur allerersten Liga der Charakterdarsteller gehören. Das könnte aber weniger Besetzungsschwierigkeiten, sondern vielmehr der jahrzehntelangen Entstehungsgeschichte von MEGALOPOLIS geschuldet sein, die viele Namen hat kommen und gehen sehen. Coppola schrieb die ursprüngliche Fassung bereits in den Achtzigern und übernahm danach einige gutbezahlte Arbeiten (z.B. BRAM STOKER’S DRACULA (1992) und DER REGENMACHER (1997)), um MEGALOPOLIS aus eigener Kraft stemmen zu können. Anfang der 2000er Jahre begann die Vorproduktion, aber Coppola brach sie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ab – er konnte das schwer getroffene New York in seinem New Rome nicht mehr erkennen.

Dass er diese Riesenproduktion nun im Alter von über 80 Jahren doch noch auf sich genommen und durchgezogen hat, dürfte nicht zuletzt mit dem Tod seiner Frau Eleanor zuammenhängen. Nach über 60 Jahre Ehe kommt man sicher nicht umhin, sich der eigenen Sterblichkeit bewusst zu sein. Ihr hat er den Film auch gewidmet. Aber beim Ansehen gewinnt man ebenfalls den Eindruck, Coppola wollte einfach mal einen alten Kostümschinken wie aus den 1950er Jahren drehen, sogar mit Wagenrennen.

© Constantin Film

Wir befinden uns sowieso in einem Mischmasch der Zeiten. Mag man sich zunächst noch fragen, ob Coppola ein wenig von der Gegenwart abgehängt ist, weil in MEGALOPOLIS alle noch gedruckte Zeitungen lesen, macht spätestens das prominent platzierte Blitzlichtergewitter uralter Kameras klar, dass es sich hier um absichtliche Anachronismen handelt (und ein weiteres Klischeebild aus alten Filmen). Dann wiederum gibt es QR-Codes zum Einscannen.

Figuren und Handlung sind ebenfalls ein Mix aus vielen unterschiedlicher Quellen. Offensichtlich gehört die Catilinarische Verschwörung zur Inspiration. Der Senator Lucius Catilina versuchte vergeblich, die Macht in der römischen Republik an sich zu reißen, und wollte Cicero, zur damaligen Zeit Konsul, ermorden lassen. Wie man hier schon sieht, hat Coppola diese Vorlagen aber nicht eins-zu-eins übernommen. Eher altbacken wirken leider der ständige Erzähler aus dem Off und die häufige Doppelung in Wort und Bild, wo einem sowieso alles sehr deutlich gezeigt wird. Geheimnisse und doppelte Böden finden sich in MEGALOPOLIS eher nicht.

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Auch wird New Rome in erster Linie von mächtigen alten Männern und jungen, nur leicht bekleideten Frauen bevölkert. Nach dem Dreh haben sich einige Statistinnen über ungebetene Küsse und Umarmungen beschwert.

Mitarbeiter haben Coppolas Verhalten als „oldschool“ entschuldigt, was einen recht faden Beigeschmack hinterlässt. Auch scheint ihn die enorme Arbeitslast am riesigen Set manchmal überfordert zu haben, was bei seinem Alter freilich kein Wunder ist. Improvisierte Aufnahmen, Verzögerungen und damit Verteuerungen waren die Folge. Mihai Malaimare Jr., Coppolas aktueller Stamm-Kameramann, musste daher nach einiger Zeit doch auf Greenscreens zurückgreifen, nachdem die virtuellen Hintergründe zunächst bereits beim Dreh über LED-Leinwände eingefügt worden waren.

© Constantin Film

Bedauerlich ist auch die Eindimensionalität eigentlich aller Figuren außer des Architekten. (Etwas böse unterstellt mag das dafür sorgen, dass auch Shia LaBeouf und Aubrey Plaza ihre Arbeit ganz gut hinkriegen.) Schauspielerisch sticht denn auch Adam Driver hervor, er hat die interessanteste Rolle. Wobei man beachten sollte: LaBeoufs Clodio Pulcher wirkt vielleicht im ersten Moment wie ein simpler Trump-Verschnitt, bezieht sich allerdings stattdessen auf dessen Vorläufer, auf die Originale im Alten Rom, deren billiger Abklatsch umgekehrt Trump ist. So erscheint Pulcher gerissener und sogar weniger primitiv als der reale Wiedergänger. Er hält auch vor Immigranten Reden, denn: „Diese Menschen glauben an Wahlen.“

Eine gute Idee ist ebenfalls die jungfräuliche Popsängerin Vesta Sweetwater (Grace VanderWaal) als moderne Vestalin. In ihrer satirischen Sequenz hätte man sogar noch weiter gehen können. Und einen echten Schockmoment bietet ein Attentat. Hier zeigt der alte Mafiafilmer Coppola nochmal, was er besonders gut kann. Später wird es dann wieder eher rustikal: Ein Greis feiert einen überraschenden Triumph, und der Arsch bekommt einen Pfeil in denselben.

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Zum Schluss wird MEGALOPOLIS endgültig eine sehr amerikanische Vision, wenn unter unglaublichem Pathos tatsächlich ein umgeschriebener Fahneneid auf die ganze Menschheit und alle Natur geschworen wird. In den USA beginnt ein jeder Schultag mit dem Fahneneid, aber erkennt man das in anderen Ländern überhaupt? Zumindest schreibt hier jemand die Menschheit nicht ab, während wir auf den Klimakollaps zustürmen und vorher noch schnell Faschisten an die Macht wählen wollen.

Und ein leichter, luftiger Moment findet sich auch in diesem wuchtigen Monument von einem Film – ein Kuss in schwindelnder Höhe auf schwankenden Balken, während der Blumenstrauß keine Zeit hat herunterzufallen.

© Franz Indra

Titel, Cast und CrewMegalopolis (2024)
Poster
ReleaseKinostart: 26.09.2024
RegieFrancis Ford Coppola
Trailer
BesetzungAdam Driver (Cesar Catilina)
Giancarlo Esposito (Franklyn Cicero)
Nathalie Emmanuel (Julia Cicero)
Jon Voight (Hamilton Crassus III.)
Laurence Fishburne (Fundi Romaine)
Aubrey Plaza (Wow Platinum)
Talia Shire (Constance Crassus Catilina)
Jason Schwartzman (Jason Zanderz)
Shia LaBeouf (Clodio Pulcher)
Grace VanderWaal (Vesta Sweetwater)
Kathryn Hunter (Teresa Cicero)
Dustin Hoffman (Nush „The Fixer“ Berman)
DrehbuchFrancis Ford Coppola
KameraMihai Mălaimare Junior
MusikOsvaldo Golijov
SchnittGlen Scantlebury
Cam McLauchlin
Filmlänge138 Minuten
FSKab 16 Jahren

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