„Artist Reprint“
Über MATRIX (1999) und die Matrix-Trilogie wurde schon einiges gesagt, philosophiert, gestritten, geglaubt und analysiert. Ich persönliche liebe die Metapher von Georg Seeßlen, in der er vor allem den ersten Teil mit dem Zimmer eines Teenagers vergleicht. Gefüllt bis unter die Decke mit Popart-Referenzen und allerlei Stilen des Cyberpunk, Martial-Arts oder Anime dekoriert, ist es ein Raum, in dem man sich seiner existenziellen Fragen stellt. Diese Metapher hilft nicht nur, sich an dem mit Kämpfen vollgestopften Filmen zu erfreuen und an den spleenigen Fetischlook von straffen Latexhosen und düsteren Mänteln Gefallen zu finden, es nimmt dem Ganzen auch etwas den Ernst, schafft jugendliche Freiheiten. Bei mir schlug der Kinobesuch von MATRIX im Jahre 1999 wie eine Pistolenkugel in mein weiches Teenagerhirn ein. Als Jugendlicher zweifelt man diese bevorstehende Erwachsenenwelt permanent an und eine Welt, in der man Kung-Fu downloaden, Kugeln in Zeitlupe ausweichen und coole Sonnenbrillen bei Nacht tragen kann, klingt wie das Paradies. Zudem geschah dies alles im Prä-Internet-Zeitalter, als Filme nur mit Kinotrailern und kleinen Fotos beworben wurden und sich zudem noch originelle Ideen durchsetzten. Aber das ist ein Thema für sich.
Nun über 20 Jahre später, erblickt ein vierter Teil der Matrix das Licht der digitalen Kinoprojektoren, was nicht so viel Augenrollen auslöst, denn wir leben nun einmal in der Zeit der Reboots und Fortsetzungen. Warum also nicht eines der philosophischsten und interkulturellsten Franchises (Ja, ihr kleinen Diversitätshasser in Kinofilmen, schaut euch mal die Matrix-Reihe von damals an) wiederbeleben, nein wiederauferstehen lassen, mit MATRIX RESURRECTIONS? Aber was soll man in diesem Actionblockbuster Neues erzählen? Die Trilogie hat sich hervorragend als Triptychon einer „synthetischen Schöpfungsgeschichte“[1] darstellen lassen: von der Geburt Neos als der Auserwählte (Neo=One) in MATRIX (1999), über das Leben als solches in MATRIX RELOADED (2003) bis hin zum Tod des Messias in MATRIX REVOLUTIONS (2003). Im Finale der Trilogie wurde zwischen den Menschen und den Maschinen Frieden geschlossen. Wie das funktionieren soll? Diese Frage wurde nicht beantwortet und konnte jeder für sich selbst herbeifantasieren. Die Möglichkeiten für heutige Drehbücher zum Thema Mensch vs. Künstliche Intelligenz sind vielseitig und müssten einiges an Nährboden für einen vierten Teil bereithalten. Vor allem der aktuelle Umgang mit unseren Smartphones als Tür zum World Wide Web gleicht eher einer Sucht als einer technischen Freiheit. Glaubt mir, fahrt einmal S-Bahn in Berlin und zählt die Menschen, die ein Buch lesen oder aus dem Fenster schauen. Der Rest lebt bereits in der Matrix.
Handlung
Die Matrix benutzt, betäubt und bestimmt immer noch Milliarden von Menschen. Sie scheint etwas freundlicher und moderner als früher, hat jedoch immer noch ein paar Software-Schleifen, die sich nicht beheben lassen bzw. es gar nicht wollen. Bugs (Jessica Henwick) gelingt es bei einem Überfall durch Agenten einen von ihnen aus der Matrix zu befreien und als Morpheus (Yaha Abdul-Mateen II) wiederzubeleben. Denn, es ist nun auch möglich Programme aus der digitalen Welt in die echte zu holen und mit elektromagnetischen Kügelchen einen dreidimensionalen Körper zu verleihen. Im unendlichen sonnengeschwängerten, digitalen Code der Matrix lebt auch Thomas Anderson (Keanu Reeves), erfolgreicher Spieleentwickler der Gamesreihe Matrix, die zufällig auch auf drei Teile kommt. Der Chef von Anderson, ein gewisser Smith (Jonathan Groff), will aber das wirtschaftliche Imperium ausbauen. Ein vierter Teil soll entwickelt werden, was Thomas nicht nur der hippen Videospiele-Entwickler-Hölle aka Brainstorming aussetzt, sondern auch seine psychischen Krankheiten zum Vorschein bringt. Anderson hat starke Probleme mit Illusionen und dem Erkennen von Realität. Sein Psychiater (Neil Patrick Harris) versucht seinen Patienten in der Matrix zu binden und verschreibt weitere blaue Pillen zur „Beruhigung“. Sinnfragend geht der Alltag weiter, bis auf einmal ein vertrautes Gesicht im Coffeeshop auffällt. Sie nennt sich Tiffany (Carrie-Anne Moss) und scheint eine Seelenverwandte, trotz Macho-Ehemann und verzogener Kinder.
Cool, weil voll meta
Es ist eine gewisse Erwartungshaltung an MATRIX RESURRECTIONS geknüpft, wenn man die Trilogie schätzt und zudem ausreichend Zeit für die Entwicklung cooler Ideen war. Außerdem hat sich unser Alltag von den Röhrenmonitoren, Tastentelefonen und kilometerlangen Kabelsalaten befreit. Ausreichend Platz, um auch visuell neue Wege zu gehen. Doch MATRIX 4, wenn man es so nennen will, denkt, es müsse uns die vorherige Geschichte mit Unmenge an Flashbacks wieder in Gedächtnis rufen. Das passt zwar in Neos Psychose der Halluzinationen, nervt aber, wenn man die Filme schon ein paar Mal gesehen hat. Hinzukommt die Matrix als Videospiel in dieser Geschichte, was permanent als Metakommentar auf diesen Film herhalten muss. Wenn die jungen, nervigen Entwickler ihre Ideen einer neuen Bullet Time herbeisehnen, fühlt man sich in die Drehbuch-Diskussionen von MATRIX RESURRECTIONS versetzt. Zumal scheint Keanu Reeves (geb. 1964) in dieser Welt des Open-Working-Space-Hippster-Daseins, traditionell minimalistisch, will sagen, zu cool für die ganzen Loser. Alle Sensoren stehen auf: Er gehört nicht in diese Welt, was sicher nicht ungewollt ist.
Jedoch liegt im ersten Filmdrittel auch der spannendste Aspekt, der zum Wohlgefallen der Action und femininer Reprise von Teil 1 in den anderen beiden Dritteln, recht unliebsam abgeschüttelt wird. Die Frage nach Realität oder Illusion wird brillant zu „White Rabbit“ von der Band Jefferson Airplane montiert, wenn die Tage der Ideenentwicklung von Thomas Anderson ineinander verschwimmen. Der Alltag ist von Langerweile, Wiederholung und der Sehnsucht nach etwas unter der Oberfläche geprägt. Alles wird vermengt mit einem ungesunden Konsum von Pillen, der in einer Schießerei von Spezialeinheiten und Morpheus kumuliert und uns direkt wieder auf die Couch des Psychiaters schmeißt. Darauf passiert leider das, was wir schon kennen.
Die Neuauflage
Wenn Neo aus seiner Matrix befreit wird, kennen wir, und auf einen willensstarken Hovercraft-Kapitän trifft, kennen wir auch, kommt bereits das Gefühl auf, vielleicht doch keinen originellen Plot zu erhalten. Klar fegt das neue Produktionsdesign das alte regelrecht hinfort und auch der neue Charakter Bugs ist sympathisch, wie auch cool. Doch als die Gruppe in der neuen Stadt der Menschen namens IO ankommt, wohl ein Hinweis auf das Zusammenleben von Mensch und Maschine, die Eins I und die Null O, wird in dieser Welt wenig zu Ende gedacht. Jada Pinkett Smith darf als gealterte Niobe die Rolle des Bad Admiral übernehmen und bremst die kleine Gruppe von Rebellen unverständlich aus. Die Stadt ist aber leblos, quasi nur i.O., wenn man es mit Zion vergleicht. Es scheint eher wie ein Moloch schwacher Ideenentwürfe mit kleinen Robotern, organischen Ökoanbau und null gesellschaftlicher Weiterentwicklung zu sein. Die befreiten Menschen aus der Matrix-Trilogie konnten noch eine Frische an Charakteren, religiösen Lebenseinstellungen und jeder Menge Partylaune bieten. Ihnen haftete etwas exotisch Spannendes an. In MATRIX RESURRECTIONS scheint man sogar mit kleinen mechanischen Tierchen und blauen Roboteraugen von der TRANSFORMER-Nervigkeit abgekupfert zu haben.
Es gibt aber auch gute Ideen: Der Operator muss nicht mehr telefonieren, sondern erscheint als Hologramm, das durch die Matrix mit den versteckten Hintertüren führt. Die vorherigen Darsteller von Smith (Hugo Weaving) und Morpheus (Laurence Fishburne) werden durch die frischen, lebhaften Darsteller Jonathan Groff (MINDHUNTERS, HAMILTON) und Yahya Abdul-Mateen II (WIR, CANDYMAN) ausgewechselt. Die Action ist noch einmal um einiges realitätsechter geworden. Es wird zwar immer noch durch Lebkuchenwände geprügelt, die Gravitation außer Gefecht gesetzt und permanent danebengeschossen, aber es sieht trotz simpler Handlungsorte – eine der finalen Schlachten findet sogar in einem Coffeeshop statt – grandios aus.
Zumal ist das Herz, wie auch schon bei den Vorgängerfilmen, der Liebe zwischen Neo und Trinity zu verdanken. Wenn sich Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss – beide ganz hervorragend auf interessante Art gealtert – gegenübersitzen und sich in die Augen schauen, springt die Verbundenheit förmlich auf uns über. Diese Szenen gehören unerwartet zum Besseren, in diesem doch erstaunlich kalkulierten Wiederaufguss bekannter Muster. Hin und wieder bekommt man sogar starke Momente des Fremdschämens verpasst, wenn der Merowinger (Lambert Wilson) – auch damals kaum sinniger Action-Treibstoff – als Obdachloser mit seiner Nimmerland-Gang zum Verprügeln auftaucht.
Fazit
Sicher waren die eigenen Erwartungen zu hoch, aus diesem mannigfaltigen Matrix-Kosmos zwei Jahrzehnte später eine spannende Geschichte zu erhalten. Man wird das Gefühl nicht los, dass Lana Wachowski ihre kreative Schwester Lilly als Regie-Verbündete für MATRIX RESURRECTIONS fehlte. Handwerklich ganz grandios gedreht, mit coolen meist unbekannten Nebendarstellern geschmückt, kann dennoch etwas Alltags-Eskapismus im Kino gelingen. Doch insgesamt ist es nicht viel mehr als ein zu gewollter Nachdruck eines Meilensteins der Filmgeschichte, um in seiner Liebesgeschichte nun eine Frau vor die Frage zu stellen: Wahl oder Schicksal? Die Antwort bleibt uns MATRIX RESURRECTIONS wie erwartet schuldig.
[1] Seeßlen, Georg „Die Matrix entschlüsselt“,2003, S. 315
Titel, Cast und Crew | Matrix Resurrections (2021) OT: The Matrix Resurrections |
Poster | |
Regie | Lana Wachowski |
Release | Kinostart: 23.12.2021 ab dem 30.06.2022 auf UHD, Blu-Ray und DVD Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: |
Trailer | |
Besetzung | Keanu Reeves (Neo / Thomas Anderson) Carrie-Anne Moss (Trinity / Tiffany) Yahya Abdul-Mateen II (Morpheus / Agent Smith) Jonathan Groff (Smith) Jessica Henwick (Bugs) Neil Patrick Harris (The Analyst) Jada Pinkett Smith (Niobe) Priyanka Chopra Jonas (Sati) Christina Ricci (Gwyn de Vere) Lambert Wilson (The Merovingian) |
Drehbuch | Lana Wachowski David Mitchell Aleksandar Hemon |
Filmmusik | Johnny Klimek Tom Tykwer |
Kamera | Daniele Massaccesi John Toll |
Schnitt | Joseph Jett Sally |
Filmlänge | 148 Minuten |
FSK | Ab 16 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter
Habe mir den Film schon angeschaut und kann der Filmkritik nur 1 zu 1 zustimmen, leider keine würdige Vorsetzung der Trilogie aber dennoch sehenswert!!! 8 von 10 Sterne