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Masterpieces of Fantasy Art – Buchvorstellung

„Synaptisches Wohlgefühl”

Wer Filme liebt, hat immer einen guten Draht zum visuell Ästhetischen. Das ist ja auch der erste Berührungspunkt mit einem neuen Film, ein Bild. Heute fast ausschließlich auf digitalen Wegen mit Trailern, Social-Media-Werbung oder ersten exklusiven Szenenbildern. Ein bisschen schade, weil diese Bilder selten die eigene Imagination anregen. Wer vor dem Zeitalter des Internets eine Schwäche fürs Kino hatte, kam sehr oft zum ersten Mal mit einem neuen Film über eine farbenfrohe Leinwand in Berührung: dem Kinoplakat. Nicht nur die malerischen Motive von einem Drew Struzan für INDIANA JONES, ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT oder STAR WARS ließen einem das Herz auf zukünftige Filmerlebnisse höher springen, auch mythische, geheimnisvolle Motive, die die eigene Fantasie entfesselten. Fantasy Art nahm damals vor allem in Werken wie ALIEN (1979), CONAN DER BARBAR (1982) oder zuletzt die HERR-DER-RINGE-TRILOGIE (2001-2003) einen enormen Einfluss. Der Buchverlag für großformatige Publikationen TASCHEN erweist in seinem gewaltigen MATERPIECES OF FANTASY ART eine enorme Ehrerbietung für diese Kunstform und das nicht nur im Format, welches fast sieben Kilo auf die Waage bringt. Die 532 Seiten bringen einen zurück in die Schreibwarenläden der 90er, als man sich zur Posterabteilung geschlichen hat und die bunten heroischen Motive fremder Welten, knapper Kleidung, stahlharter Körper und bunter Lebewesen erspähte, die man sich nie hätte erträumen lassen.

Copyright: Rodney Matthews Caption: p. 327 Rodney Matthews, The Heavy Metal Hero, ink on paper, cover of Diamond Head’s compilation album „Am I Evil?“ 1985

Das Genre

Nach einem Vorwort von Boris Vallejo in MASTERPIECES OF FANTASY ART, geht Autorin Dian Hanson auf das Genre ein und wie es sich vor allem in den 1960er-Jahren wiederbelebte. Aber was macht Fantasy-Kunst aus? Vor allem fremde Welten und unbekannte Wesen, die es in der Realität nicht gibt. Die Szenerien finden meist auf fernen Planeten und in exotischen Welten statt, auf denen unsere physikalischen, wie auch biologischen Gesetze nicht zu gelten scheinen. Es liegt immer der Hauch eines Traums über den Bildern, voller durchdringender Farben und perfekter Körper. Das Genre unterscheidet sich von seinem fiktiven Verwandten, dem Science-Fiction, ohne eine technische Komponente. Im Reich der Fantasy gibt es Magie, Verwandlungen und blutige Überlebenskämpfe. Wohingegen beim Science-Fiction die fremde Welt durch technische Zukunftsmöglichkeiten erschaffen ist. Wer es ganz einfach haben will, um mit den Worten der Autorin zu sprechen: „Ist eine Rakete auf dem Bild, ist es Science-Fiction“. Aber ganz so leicht ist die Einordnung dann doch nicht, wie auch mit dem Paradebeispiel ALIEN (1979) im Filmgenre, halb Horror, halb Science-Fiction.

Copyright: Ed Emshwiller, Courtesy of Heritage Auctions. Caption: p. 96 Ed Emshwiller, cover for Startling Stories, oil on board.

Die Geschichte

Auf gut 20 bebilderten Seiten bekommt der Leser einen Einblick in die Geschichte dieser künstlerischen Spielform. Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt sich die Kunst hin zu etwas intellektuell Abstrakten und hinterlässt eine Lücke für alle die, die in einem Bild etwas Unbekanntes entdecken wollen. So verändert sich die Fantasy-Szene von Aufträgen für Covermotive bei Groschenromanen und Comics zu einem popkulturellen Phänomen. Vor allem die Rockmusik-Branche erkennt, dass neue Platten durch ein farbenprächtiges Cover in den vollen Regalen die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Aber auch die Filmbranche entdeckt Fantasy Art nicht nur im Nutzen für Filmplakate. Bei finanziell gut aufgestellten Produktionen werden immer auch Entwürfe von Künstlern angefertigt, die den Look des Films maßgeblich beeinflussen. Beste Beispiele fürs Science-Fiction-Genre sind Ralph McQuarrie (STAR WARS) oder Syd Mead (BLADE RUNNER, STAR TREK). Im Fantasygenre sind es H.R. Giger (ALIEN) oder Frank Frazetta (CONAN, FEUER & EIS)

Copyright: Boris Vallejo & Julie Bell Caption: p. 437 Boris Vallejo & Julie Bell, Jeannie’s Kitten, oil on board, 2013

Die Fantasie-Helden

MASTERPIECES OF FANTASY ART konzentriert sich konkret auf 12 Künstlerinnen und Künstler, die Fantasy Art immens beeinflusst haben. Immer mit einem mehrseitigen biografischen und künstlerischen Überblick bekommt der Leser jeden dieser 12 Kreativ-Geister umfangreich nähergebracht. Danach gibt es jeweils ca. 20 Seiten Werkschau mit ganzseitigen Abbildungen. Neben Julie Bell, Philippe Druillet, Jeffrey Cathrine Jones, Rodney Matthews, MŒBIUS, Rowena Morrill, Sanjulian, Boris Vallejo und Michael Whelan soll kurz auf drei Künstler eingegangen werden, die vor allem bei Filmfans für Interesse an dem prächtigen Band sorgen werden.

Copyright © 2020 TASCHEN

Frank Frazetta

Sein „Princess of Mars“ (1970) ziert das Cover dieser prächtigen Publikation. 1928 in Brooklyn geboren, wird Frazetta von seinen Eltern, dank der Academy of Fine Arts bereits in jungen Jahren gefördert. Mit Hilfe eines Anatomiebuchs begeistert er sich für den menschlichen Körper und stellt ihn in seinen Arbeiten in fremden Welten zur Schau. Nachdem seine Comics auf kein Interesse bei Verlegern stoßen, muss ein fester Job für den bereits vierfachen Vater her. 1962 illustriert er die Covers für die Edgar-Rice-Burroughs-Romane (u. a. „Tarzan“), Aufträge für Comics folgen: „Eerie“ (1966) und „Vampirella“ (1969). Im Jahr 1966 verbindet Frank Frazetta seinen Namen mit CONAN, DER ABENTEURER. Er malt nicht nur Covers für die erste umfassende Taschenbuchreihe, sondern hebt durch eine rechtliche Vertragsklausel seine künstlerische Arbeit im Wert enorm hervor. Er sichert sich die Rechte an seinen acht Originalbildern, die sonst immer an die Verlage fallen. Die Gemälde bleiben für immer in Familienbesitz bis auf eines, was zwei Monate nach Frazettas Tod 2010 für eine Million Dollar an Kirk Hammet (Metallica) verkauft wird. Der düstere, muskelbepackte Conan aus Frazettas Ölfarben inspiriert Produzent Dino De Laurentiis mit der Produktion der Verfilmung CONAN DER BARBAR (1982) und beeinflusst seine Wahl einen Bodybuilder für die Hauptrolle zu wählen: Arnold Schwarzenegger. Der Rest ist Filmgeschichte. Weitere Einflüsse des Künstlers auf die Original-Serie BATTLESTAR GALACTICA werden in diesem Kapitel beleuchtet. Außerdem muss man hier einfach erwähnen, dass Frank Frazetta wohl das coolste Kinoposter zu einem Clint-Eastwood-Film gemalt hat: DER MANN, DER NIEMALS AUFGIBT (THE GAUNTLET, 1977).

H.R. GIGER

Concept drawing for alien
egg case designed for the film Alien, acrylic on
paper, 100 x 70 cm

Wer die ALIEN-Filme kennt, kennt auch den Namen des Schweizers Hans Rudolf Giger. Im Kapitel „Der Biomechanische“ bekommt der Leser nicht nur einen Blick in seine malerischen Techniken, die er über die Jahre entwickelt hat, sondern auch die Möglichkeit zu erkennen, was ihn dazu gebracht solch Düsteres, Sexuelles zu erschaffen. Ein Blick in die schwarze Hölle voller Obsession und unbändigem Hunger nach Sex. Ein kurzer Einblick, warum der berühmteste Film, der nie gedreht wurde (Jodorowskys DUNE) sich dann doch in Ridley Scotts ALIEN minimal manifestierte, wird kurz erläutert. Für Giger-Fans ist das Kapitel sicher zu kurz, aber es gibt ausreichend Literatur über den Schweizer, wie auch die sehenswerte Dokumentation DARK STAR: HR GIGERS WELT (2014). Es ist nur fair diesem Künstler den gleichen Spielraum wie den anderen Profilen zu geben, denn Fantasy Art besteht nicht nur aus Dunkelheit, sondern auch aus Licht.

Gebrüder Hildebrandt

Die „Meister des Lichts“ sind ein Paradebeispiel dafür, dass Fantasy Art nicht nur aussehen muss wie direkt aus Dantes Inferno. Die in Detroit geborenen Zwillinge erhalten die richtige Petrischale für ihr Talent: Beide Eltern fördern ihre Kreativität bedingungslos und jeder hat stets jemanden an seiner Seite, der das gleiche Interesse zeigt. Mit einer glücklichen Kindheit und vielen Matinee-Vorstellungen von Disneyfilmen wurden Tim und Gregg zu Virtuosen des Lichts und lenken damit das Auge auf ganz besondere Art und Weise. Mitte der 1970er setzen sich beide ein künstlerisches Monument mit dem J.R.R.-Tolkien-Kalender für das Jahr 1976. Mit ihrer Fähigkeit an den großformatigen Bildern effektiv und gleichzeitig von einer gemeinsamen Farbpalette zwischen ihnen zu malen, werden sie in der Szene bekannt.

Copyright: The Brother’s Hildebrandt Caption: p. 264 The Brother’s Hildebrandt, Smaug’s Lair, acrylic on board (1976)

Filmgeschichte schreiben sie mit dem Zwei-Wochen-Vor-Kinostart-Auftrag von George Lucas für das Plakat STAR WARS (1977). Innerhalb von 36 Stunden erfüllen die Zwillinge den Job und prägen mit ihrem visuellen Look ein Filmimperium mit. Die Hildebrandt-Brüder beenden 1981 ihre gemeinsame Arbeit für zehn Jahre und jeder versucht seine eigene kreative Stimme zu finden. 1993 erschaffen sie für MARVEL noch 158 prägende Gemälde, die wohl leider aus rechtlichen Gründen nicht in diesem Buch zu finden sind.

532 Seiten sind nicht genug.

Ab Seite 488 explodiert förmlich noch einmal das Genre in MASTERPIECES OF FANTASY ART. Mit 99 Künstlern im Kurzportrait wird das Spektrum entfesselt. Jeder Artist wird mit einer Kurzbiografie versehen und durch zahlreiche Abbildungen in wechselnden Formaten wird dieses Buch zu einem wahren Füllhorn mit visuellen Köstlichkeiten und macht Hunger auf mehr.

Leider können wir hier zum physischen Look dieser Publikation nichts sagen, da es uns nur in digitaler Form vorliegt. Aber man kann davon ausgehen, dass bereits nach DAS STAR WARS ARCHIV (1977-1983), THE STAN LEE STORY und KRAZY KAT auch hier wieder in der Produktion sauber gearbeitet wurde. Die Texte sind dreisprachig (Englisch, Deutsch und Französisch) und jede Abbildung hat eine ausführliche Beschreibung. Ein Preis von 150 € erzeugt nicht gerade Blindkäufe und auch die Limitierung auf 7.500 Exemplare bei der Erstauflage, zieht einem nicht sofort das Geld aus der Tasche, aber …

Fazit

MASTERPIECES OF FANTASY ART ist die erste Publikation, die das Genre endlich aus den Ecken der Comicläden, von Magic-Karten und coolen Airbrush-Lackierungen befreit. Für jeden, der schon immer in Farbe träumt und sich allein mit einem Bild ein ganzes Universum erschaffen kann, eine Empfehlung. Der hohe finanzielle Einsatz wird sich für viele Stunden vor diesem publizierten Oeuvre der Wunderwelt lohnen.

© Christoph Müller

Copyright © 2020 TASCHEN
  • TASCHEN
  • Masterpieces of Fantasy Art
  • Dian Hanson
  • Hardcover, Leineneinband mit Schutzumschlag, 29 x 39,5 cm, 6,78 kg, 532 Seiten
  • 150 Euro
  • direkt bei taschen.com bestellen oder bei Amazon über unseren Treibstoff-Link

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