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Master Gardener (2022) – Filmkritik

„Bitte lass die Blumen leben!“

Eine Rezension auf Letterboxd bringt einen Teil der Gefühle, die man grundsätzlich beim Sichten von Paul Schraders Filmen hat, auf den Punkt. Übersetzt heißt es da: Erinnert mich daran, mein Handy wegzuwerfen, wenn der Diskurs um diesen Film losgeht. Es ist kein Geheimnis, dass Paul Schrader auf Social Media (wir denken etwa an seine Äußerungen zur neuen Sight-and-Sound-Liste) mit Solchem auffällt, was man gemeinhin als Boomer-Meinung betitelt. Und einfache Themen behandeln seine Filme auch nicht gerade, es bleibt, wie auch bei S. Craig Zahler die schlussendliche Frage, inwieweit der Autor seine Figuren hier als Sprachrohr seiner eigenen Ansichten missbraucht.

© Leonine Studios

Nun wäre ja nichts bequemer, als Schraders filmische Ergüsse nach den 90ern getrost zu ignorieren und sie eben als das verzweifelte Ringen um Aufmerksamkeit stehen zu lassen, die sie sind. Doch dann gelang ihm etwas in der Filmgeschichte relativ einzigartiges: Ein waschechtes Comeback der Bedeutung, seine Bresson/Bergman Hommage FIRST REFORMED, vertrieben von A24 wischte gründlich den Boden mit all den ach so mutigen und zeitgeistigen Regisseur:innen, die das Studio sonst so protegierte. Der fast noch etwas bessere Nachfolger THE CARD COUNTER fand sich zurecht auf sämtlichen ernstzunehmenden Top-Listen des Jahres 2021 oder 2022 wieder. MASTER GARDENER fungiert nun als Abschluss dieser losen Trilogie, in denen Personifikationen Amerikas um Vergebung für ihre Sünden betteln.

© Leonine Studios

„Any man can tilt“, dieses Zitat aus THE CARD COUNTER beschreibt die Disposition von Schraders Filmen. Das sie „umkippen“, steht a priori fast, und die Frage ist auch nicht warum dies passiert, sondern wann. Wann wird die Schuld zu groß, wann kann man nicht mehr Bestrafung ertragen? Wann zerbricht die Fassade, die sich ein Schrader Protagonist so sorgsam aufgebaut hat?

Narvel Roth (Joel Edgerton) kümmert sich mit stoischer Hingabe um die Gracewood Gardens. Ein gepflegter Mann in den besten Jahren, die Haare akkurat gescheitelt, perfekt rasiert, Anzug unter der Arbeitshose. Die Sünden seines früheren Lebens lauern unter der perfekten Oberfläche. Denn da sind die für immer eingebrannten Reichsadler- und SS-Runen-Tattoos. Narvel hat vor 10 Jahren eine zweite Chance bekommen, und er hat sie genutzt. Ob ihn die wohlhabende Witwe Norma Haverhill (Sigourney Weaver) vielleicht gerade wegen dieser Vergangenheit zum Chefgärtner ihres Anwesens ernannt hat, bleibt unklar. Nun soll dieser Mann, der seine eigene zweite Chance ergriffen hat, einem anderen Menschen eine zweite Chance bereiten. Auf Wunsch der Chefin höchstpersönlich nimmt sich Narvel ihrer Nichte Maya (Quintessa Swindell) an, deren Drogenprobleme sie ein wenig vom rechtschaffenden Weg abgebracht haben. Maya bringt nicht nur einen überraschenden grünen Daumen, sondern auch Probleme mit ihrem kriminellen Exfreund mit in den Garten. Und Gefühle, die Narvel nicht zulassen möchte. Any man can tilt. Wann ist es für Narvel so weit?

© Leonine Studios
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Wer FIRST REFORMED und THE CARD COUNTER gesehen hat, dürfte sich auch hier wie zu Hause fühlen. Böse Zungen behaupten gerne, Schrader würde im Prinzip jedes Mal den gleichen Film drehen und nur ein paar Vorzeichen austauschen. Und oberflächlich müssen wir diesen Vorwürfen durchaus zustimmen. Es ist dieselbe ruhige und reduzierte Inszenierung, die mehr Interesse an Bewegungen und kleinen mimischen Veränderungen hat als an großen Suspense-Momenten. Ähnlich wie sein großes Vorbild Robert Bresson konditioniert Schrader eine ganze Weile unser Sehverhalten, um es dann zu Eruptionen kommen zu lassen. Ebenfalls bekannt ist der Protagonist, der sich in eine starre Routine zurückgezogen hat, um zu funktionieren und durch schriftliches Bilanzieren in Form von Tagebucheinträgen versucht, wieder Autonomie über sein eigenes biographisches Narrativ zu erlangen. Die Frage ist nun, wie schlimm dies tatsächlich ist. Es ist sämtlichen großen Autoren der Weltgeschichte gemein, ein zentrales Thema zu haben, an dem sie sich ihr Leben abarbeiten und meistens sind dies eben die ganz großen Themen des Lebens. Man muss sich die Filme Schraders deshalb vielleicht als Versuchsanordnungen vergegenwärtigen, in der die Versuchspersonen unter stets leicht veränderten Bedingungen getestet werden. Die hohe Kunst Schraders besteht darin, seinen Figuren doch mit überraschend offenen Armen zu begegnen. Es ist nicht direkt Empathie, die das Skript für den geläuterten Nazi hegt, aber es ist auch keine direkte Aversion. Es ist ein interessierter Blick, der aus der Distanz beginnt und immer eindringlicher und intimer wird. Schrader nimmt seine Charaktere wie sie sind. Erneut, wie bei Bresson, geht es nicht um das warum unsere Figuren tun was sie tun, oder wie sie zu dem wurden, was sie sind, sondern wie sie JETZT mit sich Leben.

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So ein Ansatz ist im gegenwärtigen Kino, dass nach eindeutigen Positionen schreit um am besten auch nach solchen, die sich perfekt als Instagram-Kachel wiederverwerten lassen, natürlich kontrovers. Und man kann Schrader im Falle des MASTER GARDENER durchaus vorwerfen, vielleicht ein paar Reizthemen zu viel eingebaut zu haben, zu denen man sich vielleicht wirklich eine Art Position gewünscht hätte. Da ist unser Protagonist, der ob seines Namens natürlich eine jüdische Herkunft vermuten lässt und trotzdem ein Nazi wurde. Die Liebesbeziehung zur (in den USA) noch minderjährigen Maya, die zudem noch eine PoC ist. Die unangenehme Norma Haverhill, die relativ ungestraft irritierende Äußerungen von sich gibt. Man könnte aber auch dagegen argumentieren, dass Schrader seine Zuschauer:innen eben aufrichtig ernst nimmt und geradezu einfordert, zu den Bildern eine eigene Position zu beziehen. Denn ähnlich wie auch Kubrick in CLOCKWORK ORANGE lautet die zentrale Frage (nicht nur bei diesem, sondern bei all seinen Filmen) natürlich: Wem erlauben wir als Gesellschaft überhaupt Absolution? Gibt es diese überhaupt? Kann ein Mensch sich wirklich ändern?

Natürlich ist das Pflegen des Gartens als zentrale Metapher etwas direkt ausgestellt und der ein oder andere erklärende Voice Over Roths wirkt doch arg didaktisch, aber auch dieses etwas abgegriffene Bild nutzt Schrader im Laufe von MASTER GARDENER konsequent für die Narration seiner Geschichte.

© Leonine Studios

Über jeden Zweifel erhaben ist das Ensemble, dass sich, ganz bildungsromanhaftig, um Joel Edgerton als Zentralgestalt versammelt. Weaver hat sichtlich Spaß als giftige, nennen wir es mal nett, konservative Witwe und Quintessa Swindell weiß ihrer skriptmäßig etwas flachen Figur genug Plastizität zu geben. Aber machen wir uns nichts vor, dies ist die große Edgerton Show. Jeder Schrader Film funktioniert grundsätzlich nur, ob der perfekten Besetzung der Hauptrolle, häufig entlockt der Regisseur diesen Darstellern der meist zweiten Garde Karrierebestleistungen (siehe Ethan Hawke, Oscar Isaacs oder Greg Kinnear) und auch Edgerton reiht sich hier ohne Probleme ein.

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Das größte Problem von MASTER GARDENER dürfte sein, dass er der Nachfolger von THE CARD COUNTER ist, diesem nahezu perfekten Film, der einen wieder ans Kino glauben ließ und bei dem man das Gefühl hatte, Schrader habe tatsächlich sein selbstauferlegtes, lebenslanges Puzzle in der Kunst gelöst. Das MASTER GARDENER jetzt einfach nur ein sehr hochwertiger, konsequenter und angenehm entschleunigter Film geworden ist, kann etwas ernüchtern.

© Fynn

Titel, Cast und CrewMaster Gardener (2022)
Poster
ReleaseSeit dem 06.10.2023 auf Blu-ray und DVD
RegiePaul Schrader
Trailer
BesetzungJoel Edgerton (Narvel Roth)
Sigourney Weaver (Mrs. Haverhill)
Quintessa Swindell (Maya)
Eduardo Losan (Xavier)
Rick Cosnett (Stephen Collins)
Victoria Hill (Isobel)
Amy Lee (Janine)
DrehbuchPaul Schrader
KameraAlexander Dynan
MusikDevonté Hynes
SchnittBenjamin Rodriguez Jr.
Filmlänge111 Minuten
FSKab 16 Jahren

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