„Treffen der Künste“
Vincent van Gogh ist einer der populärsten Maler, nicht nur des Impressionismus, sondern auch der modernen Malerei. Picasso, Gauguin, Kandinsky oder Casper David Friedrich sind alles Vertreter dieser Kunstepoche und vielen Menschen ein Begriff. Die Werke van Goghs haben aber durch ihre Farbenpracht und den ungewöhnlichen Malstil eine enorme Popularität erfahren, welche sich in den langen Besucherschlangen für ihre Ausstellungen wiederspiegelt. Ich selbst gebe zu, wenn man einmal vor einem seiner Werke gestanden hat, wird keine Kopie, Abbildung oder Fotografie dem Original gerecht. Durch die vielen dicken Ölstriche auf der Leinwand wirkt das Bild enorm lebendig und die Farben sind so prächtig, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Diesen Eindruck seiner Bilder wollten die beiden Filmemacher Dorota Kobiela und Hugh Welchman im Animationsfilm LOVING VINCENT wiedergeben. Halt, Animation ist bei dieser aufwendigen Arbeit der falsche Begriff, aber dazu später mehr.
Inhalt
Der junge Armand Roulin bekommt den Auftrag von seinem Vater, dem Postmeister, einen Brief des vor einem Jahr verstorbenen Malers Vincent van Gogh an dessen Bruder Theo auszuhändigen. Er bekommt auch indirekt den Auftrag herauszufinden, warum Vincent, den eine geschäftliche Freundschaft mit dem Postmeister verband, gestorben sei. Armand Roulin muss erfahren, dass der Bruder Theo ebenfalls bereits verstorben ist. Als Armand zum Ort Auvers – wo Vincent sich angeblich umbrachte – reist, versucht er herauszufinden, warum van Gogh in seiner künstlerischen Blütezeit und seinen noch jungen 37 Lebensjahren sich das Leben nahm.
Inszenierung
Der Begriff Animation wird LOVING VINCENT nicht gerecht, denn hier steckt viel mehr Arbeit und Herzblut als in den üblichen Kinderfernsehprogrammen dieses Genres. Die Grundlage dafür bilden die über 800 Gemälde, die van Gogh in seiner kurzen Arbeitszeit von acht Jahren als Maler herstellte. Man erlebt in diesem Film keine statischen Bilder mit Kommentaren aus dem Off. Nein, es ist ein Spielfilm für den wirklich Schauspieler agiert haben, welche man in manchen Szenen auch wiedererkennt, wie zum Beispiel Helen McCroy (PENNY DREADFUL, PEAKY BLINDERS) als Louise Chevalier oder Jerome Flynn (GAME OF THRONES) als Dr. Gachet. Die Schauspieler spielten den Film einmal komplett vor der Kamera. Danach wurde jedes einzelne Bild – 24 Bilder ergeben eine Sekunde Film – zu einem Ölgemälde umgewandelt. Somit entstanden gut 60.000 Bilder in mühsamer Handarbeit. Das Ergebnis ist ein beeindruckend lebendiger Spielfilm, den es in dieser Art und Weise noch nie gegeben hat und hebt ebenfalls die bemerkenswerte Art der Malerei Vincent van Goghs hervor. Er malte viel im Stil des Pointillismus. Dies bedeutet mit vielen kleinen komma-förmigen Pinselzügen ähnlicher Farben die Flächen auszufüllen. Die Objekte werden viel dreidimensionaler und wirken echter. Um die Szenerien im Film lebendiger erscheinen zu lassen, bewegen sich die Striche, zum Beispiel um das Zentrum einer Lichtquelle.
Visueller Bombast trifft auf einfache Handlung
Die Frage stellt sich, ob diese herausragende Arbeit eines Film-Kunstwerks auch zu unterhalten weiß. Hier muss man LOVING VINCENT leider grobe Spannungslöcher ankreiden. Die Idee, den Tod van Goghs als eine Art Detektivgeschichte zu erzählen, ist durchaus spannend. Leider verliert sich die Handlung in den vielen unterschiedlichen Zeugenaussagen. Diese Personen sind Portraits aus den Werken des Künstlers, denen talentierte Schauspieler Leben eingehaucht haben, wie zum Beispiel Saoirse Ronan als die Marguerite Gachet. Es fehlt jedoch an Spannung zwischen diesen Berichten, die in einem anderen Malstil in schwarz-weiß nachgestellt werden. Eine aufgedeckte Lüge oder ein neues Beweisstück hätte dieser Geschichte gutgetan. Das Ende hat leider nicht die perfekte Erklärung für van Goghs Tod parat, aber man wird auch nie erfahren, was wirklich geschehen ist. Dafür findet eine schöne Aussage über den Künstler seinen Weg in das Filmende und schließt LOVING VINCENT gelungen ab. Eine weitere Kunstform wird gefühlvoll eingesetzt: Die Filmmusik von Clint Mansell trifft diese Zeitepoche mit den richtigen Noten ohne altbacken zu wirken. Die Drehbuchautorin hatte bereits beim Erstellen des Scripts die Musik von Mansell (REQUIEM FOR A DREAM) gehört und freute sich enorm, ihn für dieses Filmprojekt zu begeistern.
Blu-Ray und Special Edition
Der Film ist auf DVD und Blu-ray erschienen. Das Bonusmaterial ist umfangreich, was bei einem so interessanten Produktionsprozess wirklich zum Ansehen verführt. Leider fehlt es dem Making-of an einem roten Faden in der Berichterstattung. Es ist ein Zusammenschnitt aus Interviews, Produktionsvideos und Fotos. Das hätte spannender aufbereitet sein können, wird aber sicherlich am niedrigen Budget des Filmteams gescheitert sein. Außerdem sind Making-ofs sehr selten wirklich gut produziert. Die Informationen über die Entstehung von LOVING VINCENT sind detailliert und umfassend. Den Film gibt es ebenfalls in einer Special-Edition im schönen Digipack mit Schuber zu kaufen, wo der fantastische Soundtrack von Clint Mansell auf Audio-CD mit enthalten ist. Außerdem ist ein Booklet mit dabei, welches noch einmal die Parallelen zu den Originalarbeiten in farbigen Abbildungen und kleinen Zitaten darstellt. Großes Manko dieser verhältnismäßig günstigen Edition ist, dass der Film nur als DVD beiliegt, was bei diesem Farbfeuerwerk sehr schade ist.
Fazit
Wer sich für die Bilder von Vincent van Gogh begeistert und die Malerei liebt, wird mit LOVING VINCENT eines der interessantesten Filmprojekte der letzten Jahre entdecken. Ein Genie seiner Zeit zu sein, stellte van Gogh vor eine Herausforderung, die er nicht überlebte. Der Fleiß in seinen nur kurzen acht Arbeitsjahren spiegelt sich in diesem aufwändigen Filmprojekt wieder und weckt sicher die Kreativität seiner Zuschauer.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter