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Love Exposure 2008 Review

Love Exposure (2008) – Filmkritik

„Glaube, Hoffnung, Liebe und Pantyshots“

Marketingtechnisch ist die Aussage: „Ein Film für die ganze Familie“ beliebt. Für jeden ist etwas dabei, ergo erzielt man auch einen möglichst hohen Umsatz. Irgendwo ist LOVE EXPOSURE so ein Film. In Sion Sonos etwa 240-minütigen Epos werden unter Anderem verhandelt: Religiosität, die überlebensgroße Liebe, Sektentum, Kung-Fu, Upskirt-Fotografie, eine Stiefgeschwister-Geschichte, eine Crossdressing-Verwechslungs-Komödie und vieles mehr.
Das klingt merkwürdig? Das ist es auch, zugegeben. Doch fügt es sich am Ende zu einem faszinierenden Ganzen zusammen, welches hier kurz vorgestellt werden soll.

Love Exposure 2008 Review
© Rapid Eye Movie

Allein der Prolog von LOVE EXPOSURE nimmt knappe 90 Minuten ein.
Die Mutter unseres Protagonisten Yu (Takashiro Nishijima) verstirbt überraschend, nicht ohne ihrem Sohn noch eine Prophezeiung mit auf den Lebensweg zu geben. Das Mädchen, in das er sich eines Tages verliebt (und bei dem er seine erste Erektion bekommen wird, kleines Detail am Rande), wird so etwas wie die Wiedergeburt der heiligen Maria sein. Yus Vater, tief bewegt durch den Tod seiner Gattin, wird Priester. Die Jahre gehen ins Land, Yu wächst zu einem maximal unauffälligen Teenager heran, bis ihn sein Vater, desillusioniert durch eine weitere in die Brüche gegangene Beziehung, jeden Tag zur Beichte zwingt.

Love Exposure 2008 Review
© Rapid Eye Movie

Leider kann der Junge – im wahrsten Sinne des Wortes – keiner Fliege etwas zuleide tun. Der Vater hält Yu für einen Lügner, schließlich würde jeder Mensch sündigen und verbannt seinen Sohn, bis dieser irgendwann die Wahrheit sagen würde. Notgedrungen und aus Liebe zu seinem Vater entwickelt Yu sich nun zum Bad Boy Nr.1 der Nachbarschaft und kickt kleinen Kindern kurzum die Fußbälle weg, steht für alte Damen im Bus nicht mehr auf und zerstört die Radiergummis seiner Klassenkameraden. Er wird dann, aus Versehen, zum gefragtesten „Upskirt“ Fotografen Japans. Außerdem wartet er vergeblich auf seine Maria, um endlich der tiefverwurzelten katholischen Erbschuld zu entkommen.

Love Exposure 2008 Review
© Rapid Eye Movie

Das ist wirklich nur ein Bruchteil der Handlung von LOVE EXPOSURE, die erste halbe Stunde genau genommen. Wie die männerhassende und der zwielichtigen „Zero“ Sekte angehörende Aya (Sakura Ando) ins Bild passt, unter welch haarsträubenden Umständen Yu endlich seine „Maria“, mit dem Namen Yoko (Hikari Mitsushima) kennenlernt und welche Hindernisse die aufblühende Liebe umschiffen muss, das sollte jeder Zuschauer für sich selbst herausfinden.

LOVE EXPOSURE ist extrem abgedreht.

Regisseur Sono wechselt teilweise im Sekundentakt die Genres, vermischt philosophische Abhandlungen mit Kung-Fu-Trash, einen hitchcockesquen Paranoiathriller mit einer herrlich platten WENN DIE TOLLEN TANTEN KOMMEN-Adaption und webt regelmäßig Pantyshots sämtlicher Darstellerinnen ein. Eine Mischung, die nicht funktionieren dürfte. Warum sie es trotzdem tut, warum LOVE EXPOSURE sogar einer der besten Filme aller Zeiten sein dürfte? Zum Einen, weil Sonos mustergültige Regie während der ganzen Laufzeit keinen einzigen Durchhänger zulässt. Weil die Darsteller allesamt herausragend sind und die größeren und riesigen Absurditäten des Drehbuchs mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit schultern. Weil das High- und das Lowbrow hier so nahtlos ineinander übergeht, man hätte fast die Vermutung, Thomas Pynchon hatte irgendwie am Drehbuch mitgedoktort. Und schlussendlich, weil LOVE EXPOSURE sich selbst zwar nicht, aber seine Themen sehr ernst nimmt.

Love Exposure 2008 Review
© Rapid Eye Movie

Der Nebenplot um die Upskirt-Fotografie mag auf dem Papier wie ein platter Gag der Marke EIS AM STIEL klingen, doch dient sie im Film als warmherzige Abhandlung über Perversion und Fotografie, denn kann ein Höschenfoto nicht auch Kunst sein? LOVE EXPOSURE eignet sich nebenbei perfekt als Drehbuch-Anschauungsunterricht. Wirklich jedes kleinste Handlungselement wird sorgsam eingeführt, jede Aktion hat ein Set Up und ein Pay Off. Trotz der epischen Laufzeit ist hier kein Gramm Filmfett zu viel.

Love Exposure 2008 Review
© Rapid Eye Movie
Die Blu-ray von Rapid Eye Movies

Leicht irritierend wirkt zunächst Sôhei Tanikawas Kamera. Dem Sujet der Pornoindustrie angepasst, sieht LOVE EXPOSURE eben aus wie ein 1080p-HD-Clip auf einschlägigen Erwachsenenseiten. Diese digitale Hässlichkeit möchte man dem Film erst ankreiden, bis man irgendwann begreift: In anderen Bildern hätte diese irre Geschichte vielleicht einfach nicht erzählt werden können. Denn so billig das Ganze ausschaut, Regisseur Sono weiß stets genau, wo er seine Figuren hinstellen muss, damit Shots herauskommen, die sich auf die Netzhaut brennen. Auch die bewusst trashigen Blut- und Explosionseffekte tragen eher zum Konsumspaß bei, als ihn zu mindern.

Fazit

Es ist sehr gut möglich, dass Sion Sono mit LOVE EXPOSURE den romantischsten Film aller Zeiten gedreht hat. Wenn sich unser unsternbedrohtes Liebespaar nach 237 Minuten endlich in den Armen halten darf, dann möchte man als Zuschauer aufspringen, jubeln, klatschen, Champagner entkorken und auch so unfassbar elegant wie Hauptcharakter Yu mit der Digitalkamera umgehen können.

Titel, Cast und CrewLove Exposure (2008)
OT: Ai no mukidashi
PosterLove Exposure 2008 Review

Release
seit dem 21.08.2015 auf Blu-ray erhältlich
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RegisseurSion Sono
Trailer
DarstellerTakahiro Nishijima (Yû)
Hikari Mitsushima (Yôko)
Sakura Andô (Koike)
Yutaka Shimizu (Yûji)
Makiko Watanabe (Kaori)
Hiroyuki Onoue (Takahiro)
Atsuro Watabe (Tetsu)
Tasuku Nagaoka (Senpai)
Sô Hirosawa (Kumi)
Yûko Genkaku (Keiko)
DrehbuchSion Sono
MusikTomohide Harada
KameraSôhei Tanikawa
SchnittJun'ichi Itô
Filmlänge236 Minuten
FSKab 16 Jahren

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