„Von Lämmern und Sexsüchtigen“
2008 hat Paolo Sorrentino dem verschlagenen Politiker Guilo Andreoti ein herausragendes filmisches Denkmal gesetzt. IL DIVO war nicht nur ein anprangern der korrumpierten italienischen Politik sondern auch ein Lehrstück über das Medium Film und die Darstellung von Macht in ihm. Assoziativ erschuf Sorrentino mit den Bildern des klassischen Gangsterfilmes ein nachdenklich stimmendes Gesamtkunstwerk. Etwa 10 Jahre später nimmt der Italiener, mit dem Vorlieb für mächtige weiße Männer, sich nun Silvio Berlusconi vor (der in IL DIVO schon wörtlich erwähnt wird). Er ist damit nicht der erste Regisseur, der den Bunga-Bunga-Präsidenten aufgreift. Nanni Moratti drehte bereits 2006 die Satire IL CAIMANO, in der ein alternder Giallo-Produzent plötzlich auf ein Schlüsseldrehbuch über den Ministerpräsidenten in den Händen hält (ziemlich guter Film) und die Serie 1992, in der Berlusconi nach MANI PULITE zum neuen Lenker Italiens aufsteigt (für Fans von GOMORRHA ebenfalls sehr empfehlenswert).
Sorrentino ist allerdings ein Regisseur des Visuellen und lässt seinen Haupt- und Stammdarsteller Toni Servillo nun in unfassbaren Hochglanzbildern über die Leinwand grinsen. Wobei es etwa 50 Minuten dauert, bis Servillo als Berlusconi auftreten darf. Zuvor verbringen wir die Laufzeit mit den im Titel erwähnten „Loro“, den „Anderen“, mit den Möchtegerns, Models und Huren, die so gerne Teil des erleuchteten Kreises um Berlusconi wäre. Einer von ihnen ist Silvio (Riccardo Scamarcio), Bauunternehmer und Teilzeitzuhälter. Unter dem Risiko des endgültigen finanziellen Abstiegs mietet er ein Anwesen auf Sardinien, direkt neben Berlusconis Prachtvilla (übrigens ein Originaldrehort, Berlusconi ist Sorrentino-Fan und stellte seine Villa gerne zur Verfügung). Jetzt heißt es abwarten und Party feiern, bis der Nachbar von Nebenan endlich mal vorbeischaut.
LORO war ursprünglich ein etwa 4-stündiger Zweiteiler, außerhalb von Italien existiert (bisher) nur ein 157-minütiger Zusammenschnitt. Dem Film tut dies nicht gut. Zu gehetzt wirkt er zu jeder Zeit, und dann, v. A. zu Beginn, unfassbar lahm und nichtssagend, trotz seiner fast schon lächerlich dynamischen Inszenierung. Die Figur des Sergio, die mit uns quasi in den inneren Kreis der italienischen Politik eindringt, verschwindet nach 60 Minuten aus der Handlung, um im Finale noch einmal weinend auf einem Karussell sitzen zu dürfen. LORO findet keine klare Erzählstimme, er ist ein wenig ätzender Kommentar, ein bisschen Königsdrama, ein wenig Exzess. Diese Unentschlossenheit macht LORO unfassbar anstrengend. Die ewige Parade an nackten Supermodels langweilt und frustriert, man möchte, wie damals bei Scorseses WOLF OF WALL STREET die Leinwand anschreien: „Ja, ich habe es verstanden, das ist alles inhaltsleerer
Hedonismus, bitte nicht noch eine Partysequenz“. Es wäre zu verschmerzen, würde das Gefühl erweckt werden, genau diese Ermüdung sei das Ziel des Zuschauers (man denke an Sorrentinos Oscarprämierten LA GRANDE BELLEZZA, indem es um einen der ewigen Feierei überdrüßig gewordenen Lebemann ging). Doch das Gegenteil scheint der Fall.
Sorrentino ist irgendwo die kritische Distanz zu diesem Partyleben abhanden gekommen, in epischer Breite werden MDMA-Exzesse geschildert, in Poole gehopst, Champagner getrunken und Kokain gezogen. Erst in der letzen halben Stunde findet der Film zu einem angenehmen Rhythmus wenn Berlusconi vor den Trümmern seines politischen Lebens steht, von seiner Frau verlassen einsam durch die Villa streift, eine willkürliche Hausfrau anruft und ihr ein wertloses Grundstück aufschwatzt. Dann ist er Mensch dann darf er sein. Und hier macht Sorrentino dann auch endlich eine Aussage: Sein Berlusconi ist eigentlich immer derselbe Ramschverkäufer geblieben, der das Land mit Trash TV und Sexskandalen überflutete. Wäre diese Linie in den vorangegangenen 2 Stunden konsequenter verfolgt worden, aus LORO hätte sicherlich so etwas wie ein guter Film werden können. Toni Servillo legt Berlusconi darüberhinaus als überdrehte Witzfigur an, mit eingebranntem Grinsen auf der viel zu braunen Haut. Die Faszination, die diese politische Figur auf Italien ausgestrahlt hat (und immer noch ausstrahlt) wird zu keinem Zeitpunkt greifbar.
So bleibt ein ärgerliches Stückwerk, welches hier und da Momente absoluter inszenatorischer Brillanz durchscheinen lässt (da sei exemplarisch der Abspann erwähnt, in der Sorrentino das italienische Volk als alleingelassene Erdbebenopfer inszeniert). Aber auf jeden großen Einfall folgt ein umso ärgerlicherer. Die Eröffnungssequenz in der ein Lamm in Berlusconis Villa läuft und, vom Fernsehprogramm abgelenkt an den zu niedrigen Temperaturen im Raum stirbt ist so doof-platt, man möchte weinen. Wenn Sergio und Luxuscallgirl Kira auf dem Dache vögeln und sie dabei mit Berlusconi telefoniert, dann hätte Helmut Dieltl das auch nicht verklemmter inszenieren können.
Kurzum ist LORO das Prädikat „ärgerlich“ zu verleihen. Konnten im Kino die großen Bilder noch über das Mangel an Substanz hinwegtäuschen, wird spätestens im Heimkino die Abstinenz selbiger umso offenkundiger.
Die Blu-ray von DCM präsentiert den Film auf dem Medium angemessenen hohen Niveau, allerdings ohne jedwede Art von Bonusmaterial (bei IL DIVO gab es zum Beispiel die interessanten „Insider Modus“, der einem während des Filmes nützliche Informationen zu den als Nicht-Italiener nicht immer ganz einfach zuordbaren Bildern gab).