„Satanismus zum Schmunzeln“
Gruselig, wie sich manchmal die Realität dem eben auf der Couch konsumierten Film anzupassen scheint. Der Autor dieser Zeilen konnte nach der Sichtung von LORDS OF CHAOS seinen Augen nicht trauen: Die Kathedrale Notre Dame von Paris steht in Flammen. Dabei hat er eben noch einer okkulten Black-Metal-Gang bei der Brandstiftung norwegischer Kirchen zugesehen. Das Portrait über Øystein „Euronymous“ Aarseth, dem Erfinder des True-Norwegian-Black-Metal, Gründer der Band MAYHEM und Mitglied einer Satanisten-Bande basiert auf wahren Begebenheiten und Lügen. Ja, genau das ist im Intro treffend zu lesen. Selbst wenn Euronymos persönlich bei LORDS OF CHAOS Regie geführt hätte und nicht die Musikvideo-Legende Jonas Åkerlund, selbst dann würde er nie die ganze Wahrheit wiedergeben. Filme bleiben ein Spiel der Perspektiven und Wahrnehmungen. Genug über brennende Kirchen und Fragen nach der Wahrheit von Filmen, jetzt wird unterhaltsam Satan gehuldigt.
Handlung
Øystein Aarseth (Rory Culkin) gründet Mitte der 80er Jahre zusammen mit Jørn „Necrobutcher“ Stubberud und Kjetil „Morbid“ Manheim die Black-Metal-Band Mayhem. Die gewaltverherrlichenden Texte mischten das einfache Leben im christlichen Norwegen ordentlich auf. Erst als Øystein, der sich nur noch mit seinem Pseudonym Euronymous benennt, an ein Demotape von dem blonden Per Yngve „Dead“ Ohlin (Jack Kilmer) kommt, hat die Band endlich ihren musikalischen Fokus gefunden. Wilde Partys und blutige Auftritte verschaffen der Gruppe erste kleine Erfolge und den Stempel eines Geheimtipps. Sänger Dead ist jedoch psychisch so instabil, dass er mit einer Schrotflinte sein Leben beendet. Euronymos ist davon eher fasziniert als erschüttert und sieht in der Szenerie seines toten Freundes und Bandkollegen eher das nächste Plattencovermotiv. Ein neuer Sänger muss her. Da kommt der schüchtern wirkende Varg Vikernes (Emory Cohen), der sich vom Groupie zum Bandmitglied mit Terrorfähigkeiten entwickelt, genau richtig. Aber irgendwann geht es gar nicht mehr um Musik.
Drama oder Satire?
LORDS OF CHAOS basiert nicht nur auf Wahrheiten und Lügen, sondern auch lose auf der Dokumentation UNTIL THE LIGHT TAKES US (2008). Wer hier eher dem Mythos und dem okkulten Musikerleben der Band mit echten Bildern und Aufnahmen folgen möchte, sollte eher zu dieser Dokumentation greifen, denn Regisseur Jonas Åkerlund hat hiermit eher einen Unterhaltungsfilm abgeliefert. Dies wird Fans der Musikrichtung ohne Selbstironie sauer aufstoßen. Aber die Entwicklung von einer neuen Musikrichtung zu wiederholter Brandstiftung an historischen Gebäuden bis hin zu Mord, ist auch schwer zu erklären. Åkerlund, der mit SPUN eine der extremsten Drogen unserer Zeit portraitierte (eine dringende Filmempfehlung), hat sich für eine nüchterne, schon fast manchmal slapstickhafte Inszenierung entschieden. Es werden Bandmitglieder beim Üben von Posen gezeigt, die schlaksigen, langhaarigen Satanisten immer wieder in den lokalen Dönerladen begleitet und Dead sitzt auch mal blass und zitternd mit Panzertape um die Unterarme am Tisch, weil er sich beim letzten Gig zu viel die Arme aufgeschlitzt hat. Vielleicht liegt es auch an der Wahrnehmung des Zuschauers diesem Drang nach Tod, röhrendem Gesang und geschminkten Gesichtern wenig Ernsthaftigkeit abkaufen zu können. Aber das hängt auch mit der Schauspielbesetzung zusammen. Die ist mit unbekannten Gesichtern klug ausgewählt und auch ihre Unsicherheit überträgt sich auf die Hauptfiguren. Der wahre Euronymos, Dead und Varg sind auch von den Unschuldigen zur Kultband/Terrorgruppe gewachsen. Diese Entwicklung ist auch den Figuren im Film deutlich anzufühlen, aber zu einer starken Schauspielleistung reicht es vor allem beim dramatischen Ende, trotz aller Sympathie, leider nicht.
Was jedoch richtig stört, ist der igorhafte Wilson Gonzales Ochsenknecht als Lakai von Varg. Eindeutig zu dumm und passiv von ihm überzeichnet, so dass das schicksalhafte Ende dann doch nicht emotional packen will. Zum anderen sind die videohaften Aufnahmen zu sehr in Soap-Opera-Ästhetik getaucht, was dem Film die cineastische Echtheit nimmt. Die weiße Designerwohnung von Varg wirkt dann hier noch aufgesetzter als dessen Psychose. Åkerlunds geniales Musik-Video-Handwerk kommt nur in den Alptraumsequenzen von Euronymos richtig zur Geltung. Bei diesen kreativen Illusionen packt einen der Film zum ersten und leider einzigen Mal richtig an den Nieren, was selbst bei den quälend langen Morden nie geschieht. Da hilft auch der Abspann-Witz des Films – die Namen laufen von oben nach unten, nicht wie üblich von unten nach oben – darüber hinweg. Der Drahtseilakt zwischen Drama und Komödie gelingt nicht und wird eher zur Parodie.
Fazit
Aber gerade dieser lockere Umgang mit solchen unbegründeten, absurden Taten von „Schuljungs“, die gänzlich missverstanden wurden und mit aller Gewalt darauf antworten und auffallen wollen, macht LORDS OF CHAOS dann doch zu einem guten Streifen. Die FSK-18 ist eher von der Angst der „Nachahmung“ gesetzt worden, denn so richtig emotional ans Knochenmark geht weder die Story noch die Inszenierung. Gefühlvoller Ankerpunkt ist ganz klar der Soundtrack der isländischen Band Sigur Rós.
Blu-ray-Release
Die Blu-ray ist in Bild und Ton einwandfrei und verfügt über ein Wendecover. Leider gibt es keine Extras oder Bonusmaterial, was bei diesem Film, der auf wahren Begebenheit beruht, schon einer kleinen Frechheit gleichkommt. Wer vom Film und dem Regisseur überzeugt ist, sollte zum Mediabook mit stimmigen Cover und 16-seitigem Booklet greifen. Ob hier noch Bonusmaterial auf der Scheibe ist, können wir leider nicht sagen, da uns nur die Blu-ray vorliegt. Das Mediabook soll auf 1.000 Stück limitiert sein.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter