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Look Away 2018 Filmkritik

Look Away (2018) – Filmkritik

„Wen sehen wir im Spiegel? Wirklich uns selbst oder doch jemand anderen?“

Die Handlung in Kurzform

Ein von den Eltern unverstandenes, schüchternes Mädchen wird von seinen Mitschülern drangsaliert und trifft eines Nachts auf ihr höchst lebendiges Spiegelbild. Dieses tritt den Ungerechtigkeiten an ihrem realen Ebenbild rachsüchtig und gierig auf ein eigenes Leben entgegen.

Prolog

Der Film startet mit einer bewegten Ultraschallaufnahme eines Uterus, der erst einen, dann einen zweiten Embryo erkennen lässt. Sound und Musik begleiten diese kurze Einstellung des Heranwachsens mit einer dumpf schwelenden Dramatik. Damit wächst auch in uns das Gefühl, dass bereits hier etwas nicht stimmt. Dieses Gefühl setzt sich ab jetzt in jeder Szene fort.

Look Away 2018 Filmkritik
© Splendid Film

Der Film

Maria (India Eisley) ist ein introvertierter Teenager. Sie wohnt mit ihren Eltern in einer stilvollen, fast klinisch reinen Villa. Wie ein Monolith thront das sterile Anwesen inmitten einer exklusiven Wohngegend. Der klirrend kalte Winter scheint seine Temperatur auch ins Innenleben dieser kleinen Familie geweht zu haben. Oder ist der Winter nur ein Ausläufer der frostigen Gefühle innerhalb des Hauses? Marias Vater Dan (Jason Isaacs, STAR TREK DISCOVERY, HARRY POTTER) ist Schönheitschirurg und lässt schnell seinen narzisstischen Charakter erkennen. Seine väterlichen Ratschläge wie sich Maria besser in der Schule integrieren könnte, dienen eher seiner Mission, dass nichts Unperfektes in seinem Leben stattfinden darf. Marias Mutter Amy (Mira Sorvino, MIGHTY APHRODITY) kann seiner manipulativen Reichweite nur hohle Worthülsen entgegensetzen. Für eine aufrichtige Tochterliebe scheint ihre Kraft nicht mehr zu reichen. Sie ist mehr mit ihrer eigenen Angst beschäftigt ihrem Mann durch ihr fortschreitendes Alter nicht mehr zu genügen. Für Maria bleiben nur kurze rebellische Momente auf dem Weg zur Schule, um diesem erdrückenden Nest zu entfliehen. Denn als schüchterne Außenseiterin scheint sie das perfekte Mobbingopfer ihrer sogar vor Gewalt nicht zurückschreckenden Mitschüler zu sein.

© Splendid Film

Auch ihre Freundschaft zur Schlittschuh-Queen Lily (Penelope Mitchel) scheint sich nur vordergründig auf festem Eis zu bewegen. Die blonde High-School-Beauty sieht in der dunkelhaarigen Maria eher einen hässlichen Sidekick, der sie noch mehr glänzen lässt, als eine wirkliche Freundin. Zusätzliche Belastung erfährt ihre Beziehung durch Lilys Freund Sean (Harrison Gilbertson), der versucht die ständigen Anfeindungen auf Maria zu unterbinden. Natürlich bleibt sein ritterhaftes Verhalten nicht ohne Wirkung – auf beide Mädchen. Zurück zu Hause zieht sich Maria schnell in ihr Zimmer zurück, um mit sich und ihrem Spiegelbild allein zu sein. Nur mit sich selbst scheint sie wirklich im Reinen zu sein oder etwa nicht? Durch einen eher vom Drehbuch forcierten Zufall entdeckt Maria ein Foto der Ultraschallaufnahme mit den Zwillingen. Kurz nachdem sie sich allein im Badezimmer selbst befriedigt hat, tritt ihr Spiegelbild als eigener Charakter, namens Ariam (gespiegelt für Maria) auf. Nach anfänglichem Schock lässt Maria immer mehr zu, dass Ariam, mit jedem neuen Blick in einen Spiegel, Stück für Stück ihr eigenes Leben übernimmt. Ab jetzt ist sie nach außen nicht mehr Opfer, sondern ein manipulierend beängstigender und brutal agierender Racheengel. Nun geschehen Dinge, die sich Maria in ihren geheimsten Gedanken vielleicht erhofft, aber bisher niemals gewagt hatte nur annähernd in die Tat umzusetzen. Doch jede Befreiung in die eine bringt Leid in die andere Richtung.

Look Away 2018 Filmkritik
© Splendid Film

Die Darstellerin

Bevor ich näher auf Erzählweise und Inszenierung dieses insgesamt gelungen Films eingehe, muss ich Hauptdarstellerin India Eisley hervorheben. Die teilweise an die junge Angelina Jolie erinnernde Schauspielerin ist eine echte Sensation! Die Tochter von Olivia Hussey (die Julia aus Franco Zefirellis ROMEO UND JULIA) und dem nicht so bekannten Rockmusiker David Glenn Eisley spielt beide Figuren, also die echte Maria und ihr aufbegehrendes Spiegelbild mit jeder Pore ihres Körpers, einnehmend und in den kleinsten Reaktionen absolut stimmig. Ihr zerbrechlich wirkender Körper entwickelt durch ihr Spiel eine beeindruckende Präsenz. Aus dem verunsicherten Mädchen wird eine sich ganz natürlich aus sich selbst heraus entwickelnde Femme Fatale. Mit feinsten Nuancen ihrer Mimik – und vor allem ihren Augen – verwandelt sie sich aus einem süßen, hübschen Mädchen, von jetzt auf gleich, in ein angsteinflößendes Monster. Das ist einerseits sicher auch Ergebnis einer sehr sensiblen Schauspielführung, aber eben in erster Linie eines beeindruckenden Talents. Allein wegen ihr lohnt sich der Film.

© Splendid Film

 

Die Inszenierung

Sehr klug spielt der israelische Autor und Regisseur Asaaf Bernstein in seinem ersten internationalen Film mit dem Spiegelthema. Spiegel haben ja die trügerische Eigenschaft uns zwar unser Abbild zu zeigen, aber eben auch nicht original uns, sondern eine in allen Details genau andersherum gestaltete Version unseres Äußeren. Links ist rechts, rechts ist links. Wir sehen also immer eine Art Negativ unseres Selbst. Bewusst nimmt Bernstein genau das auf und zeigt ganz wörtlich die negative Version der Hauptfigur, die ihrerseits mit dem Positiv, also der realen Maria, überhaupt nicht einverstanden ist. Hier kritisiert das Abbild sein reales Gegenüber. Ähnlich dem Zauberspiegel aus Schneewittchen, präsentiert derjenige, den wir im Spiegel sehen, mal nicht das was wir sehen und hören wollen, sondern das was tatsächlich ist. In einigen sehr gelungen Dialogen zwischen Maria und ihrem „Spiegel-Ich“ Ariam spiegelt er gekonnt den alltäglichen Blick in den Spiegel und unseren sich daraus entwickelnden Dialog mit uns selbst. Das ist, trotz vieler filmischer Vorgänger mit ähnlicher Thematik, teilweise wirklich originell gelöst. Kein Vergleich zum peinlichen C-Movie „Dämonen im Spiegel Horror“ MIRROR MIRROR (1990) mit einer ganz ähnlich Ausgangsgeschichte.  Doch hier braucht es keine verfluchten Spiegel in ebenso unheilvollen Geisterhäusern. Bei LOOK AWAY entsteht alles, wie natürlich, ganz von selbst und legt somit den Fokus auf ganz reale Phänomene wie der Auseinandersetzung mit den eigenen Ichs. Denn wir sind immer auch das Gegenteil von dem was wir tagtäglich nach außen zeigen. Nur lassen wir Gott sei Dank dieses Gegenteil, dieses Negativ in uns selbst, im Spiegel gefangen zurück.

Look Away 2018 Filmkritik
© Splendid Film

Was Bernstein generell in seiner Inszenierung sehr gut gelingt ist der behutsame Aufbau der Ereignisse, ohne in unnötige Effekt- oder Slasherorgien zu verfallen. Zudem gelingt ihm eine sehr behutsame Dramaturgie der sinnlichen bis sexuellen Entfaltung seiner Hauptfigur. Dabei scheut er sich nicht davor sehr viel von seiner Heldin zu zeigen. Doch das ist niemals aufgesetzt und billig, sondern angenehm natürlich und immer im Sinne der Handlung. Weiter gelingen ihm einige sehr eindrucksvolle Einstellungen, die die Verzweiflung und Einsamkeit von Maria zeigen. Die großzügige Wendeltreppe, auf die sich unsere Heldin nach einem Streit mit ihren Eltern zurückzieht, zeigt sich als riesiges Schneckenhaus, in welches sich die Unverstandene zurückzieht. Das wir kurz vorher diese visuelle Metapher auch wörtlich von ihrem Vater hören ist an dieser Stelle dann eine unnötige Doppelung, zeigt aber das Talent des Regisseurs seine Geschichte bildhaft erzählen zu können. Dann sind da Marias nächtliche Gänge durch die Villa in dunkel verlaufende Flure, die einen David Lynch sogar stolz machen würde. Da hat jemand verstanden, wie kraftvoll Hell und Dunkel sein können. Auch, der vor Kälte den heimischen Bildschirm fast mit Frost überziehende Drehort im kanadischen Bundestaat Manitoba, wird eindrucksvoll zu einem eigenen Charakter in Szene gesetzt.

Ein weiteres inszenatorisches Highlight ist ein wirklich atemberaubendes, sich langsam steigerndes Eislaufduell auf offenem Eis zwischen Maria und Lily. Das hat OMEN II Qualität! Meine persönliche Lieblingseinstellung zeigt sich eher gegen Ende von LOOK AWAY, in der sich Maria und Ariam in ihrem gemeinsamen Schmerz tröstend von beiden Seiten des Spiegels gegenüberliegen. Bei der Musik geht LOOK AWAY mit einem eher konventionellen Elektronik-Score von Mario Grigorov (THE PAPERBOY) eher auf Nummer „zu sicher“, mit einigen sehr passenden Songs gleicht er das aber wieder sehr geschickt aus. Insgesamt ist es ein in sich, dem Film dienlicher, runder Soundtrack.

Look Away 2018 Filmkritik
© Splendid Film

Das Drehbuch

Doch wo Licht, da ist auch Schatten. Wo ein Positiv, da sein Negativ. Trotz einiger wirklich sehr gut geschriebener und im Film glaubhaft umgesetzter Szenen, sind einige Handlungsstränge eher behauptet als wirklich überzeugend ausgearbeitet. Die Zwillings-Thematik, die immer wieder auftaucht, wird in ihrer Konsequenz niemals wirklich Teil der Handlung und wirkt eher wie ein unnötiger Fremdkörper. Da wäre noch einiges mehr drin gewesen. Dadurch beraubt sich LOOK AWAY seiner eigentlichen Stärke, nämlich dem sich ganz auf natürliche Weise entwickelnden Horror im alltäglichen Leben. Ebenfalls ein Schwachpunkt ist die fehlende Begründung, warum Maria von Seiten ihrer Mitschüler so offene Feindseligkeit entgegengebracht wird. Sie kommt aus gutem Hause und sieht nun wirklich nicht schlecht aus. Was hat sie in den Augen der anderen verbrochen was so bestrafenswert wäre? Warum gerade ein Junge sie so brutal auf dem Kicker hat, ist ebenfalls schwer nachvollziehbar. Auch bleibt die Beziehung zu ihrer Freundin eher skizziert, als ausgemalt im Ablauf der Handlung stehen. Schade, denn auch hier wäre noch Platz für einen spannenden Aspekt, einer nicht perfekten Mädchenfreundschaft gewesen.

© Splendid Film

Leider verschenkt Drehbuchautor Bernstein auch die Ehe-Thematik. Die Ehe zwischen Vater und Mutter scheint offensichtlich nur noch oberflächlich zu funktionieren, aber wie es genau dazu kam, wird auch eher behauptet, als wirklich in einem stimmigen Bogen behandelt. Dabei fragt man sich die ganze Zeit warum es gerade für die Mutter einer Oscarpreisrägerin wie Mira Sorvino bedarf, die leider weitestgehend farblos bleibt. Gerade auch ihre Geschichte als Frau eines Narzissten hätte dem Film noch eine zusätzliche Würze verleihen können. Hier bleibt vieles einfach im „Vorbeigehen“ gezeigt. Lediglich Jason Isaacs kann hier seiner Vaterfigur einige interessante und vielschichtige Seiten hinzufügen. Doch dem Regisseur Bernstein gelingt sehr viel um diese offensichtlichen Makel geschickt zu umschiffen. Vielleicht hätte er sich für das finale Drehbuch noch einen weiteren Autor mit an Bord holen sollen, um seinem offensichtlich inszenatorischen Talent noch mehr Kraft verleihen zu können. Für ein Wegschauen ist LOOK AWAY definitiv zu gut inszeniert, für ein wirkliches kleines Meisterwerk ist er leider etwas halbgar geschrieben. Einer CARRIE (1976) von Brian de Palma kann er so nicht das Wasser reichen. In Teilen kann er es sich aber durchaus eine Weile neben Lynchs Spiegel-Motiven a la „Cooper betrachtet Bob“ im Trophäenschrank der Twin Peaks High School gemütlich machen.

Look Away 2018 Filmkritik
© Splendid Film

Die Blu-ray

Look Away 2018 Filmkritik
Die Blu-ray

Splendid Film zeigt LOOK AWAY mit sehr gutem Bild und Ton. Da gibt es gar nichts zu kritisieren. Extras sind hier einige Trailer zu weiteren Filmen mit Horrorthematik. In dieser Gruppe neben HEREDITARY macht sich LOOK AWAY auf keinen Fall schlecht. Ein Making-Of hätte aber durchaus auch seinen Reiz gehabt. Ein solches Extra fehlt hier leider. Insgesamt aber eine lohnende Entdeckung.

© Andreas Ullrich

Titel, Cast und CrewLook Away (2018)
PosterLook Away 2018 Filmkritik

Release
ab dem 22.02.2019 auf Blu-ray erhältlich
Bei Amazon kaufen
RegisseurAssaf Bernstein
Trailer
DarstellerIndia Eisley (Maria / Airam)
Jason Isaacs (Dan)
Mira Sorvino (Amy)
Penelope Mitchell (Lily)
John C. MacDonald (Mark)
Harrison Gilbertson (Sean)
Kristen Harris (Naomi)
DrehbuchAssaf Bernstein
MusikMario Grigorov
KameraPedro Luque
SchnittDanny Rafic
Filmlänge104 Minuten
FSKab 16 Jahren

 

 

2 Gedanken zu „Look Away (2018) – Filmkritik“

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