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Lindenberg! Mach dein Ding (2019) – Filmkritik

„Zum Glück kein Vakuum“

Udo Lindenberg, vielleicht der einzige echte Rockstar Deutschlands (debattierbar), bekam Anfang des Jahres ein Biopic spendiert. Jetzt erscheint der Panikfilm im Heimkino und der Fluxkompensator klärt die Frage: Eher so Rentnerband, die seit 20 Jahren Dixieland spielt oder muss man den Hut ziehen? LINDENBERG! beginnt, wie seit WALK THE LINE jedes Biopic beginnen muss (und seit der recht grandiosen Parodie WALK HARD eigentlich nicht mehr dürften): Großer Auftritt, aber Udo kann nur spielen, wenn er vorher über sein ganzes Leben nachgedacht hat. So schlimm ist es zum Glück nicht. Vielmehr nutzt Regisseurin Hermine Huntgeburth drei Momente des Fallens (einmal in den 50ern in Gronau, in den 60ern in Libyen und Anfang der 70er beim ersten großen Auftritt) um einen Film zu erzählen, der in den besten Momenten wie die Lieder seines Protagonisten sind: Ein bisschen trashig, ein bisschen naiv, aber voller ehrlicher Hingabe und Begeisterung.

LINDENBERG! Mach dein Ding (2019)
Udo (Jan Bülow) nach erstem Erfolg von Hoch im Norden // © DCM Letterbox Gordon Timpen

So sehr ein Baukastenbiopic ist LINDENBERG! nämlich gar nicht geworden. Die Erzählung konzentriert sich auf die oft frustrierende Existenz als Mucker in der noch jungen BRD. Udo (Jan Bülow) haust in einem Stundenhotel auf der Reeperbahn, untermalt in einem orientalisch angehauchten Bordell die Entkleidungskünste der Damen und… wartet. Auf den Weltruhm, die Karriere, den Porsche. Die Umsetzung dieser Ziele wirkt absurd fern. Udo singt auf Deutsch und, wie er mehrmals erfahren muss: „Deutsch geht gar nicht“. Aber Udo lässt sich nicht beirren. Er macht sein Ding, wird schon klappen. Warum dieser Film? Ein Biopic noch zu Lebzeiten des Künstlers, das heißt entweder: Krampfhafte, künstliche Selbstüberhöhung (Wir gucken in Richtung 50 Cent) oder: Kürzlich verstorben, also Rechte günstig oder Karriere am Ende, Best Of Album, Biografie und kurz danach Biopic rausballern, vielleicht interessiert es ja jemanden. Zyniker sehen bei Huntgeburths Film wohl die dritte Variante. Wer, außer den alten Fans, interessiert sich schließlich noch für Udo? Benjamin von Stuckrad-Barre zum Beispiel, der sein eigenes Best Of Album, den Roman Panikherz, heimlich zur ungeschöntesten, aber auch liebevollsten Lindenberg-Biografie werden ließ. Und dann war da ja auch das galaktische MTV Unplugged, mit der „Cello“ Singelauskopplung mit Clueso.

LINDENBERG! Mach dein Ding (2019)
Udo (Jan Bülow) alleine auf der Bühne in Libyen // © DCM Letterbox Gordon Timpen

Sicherlich geht es bei LINDENBERG! auch irgendwie darum, Udo wieder zurück ins öffentliche Interesse zurückzukatapultieren. Dafür ist der Lindenberg des Films aber nicht wirklich geschaffen. Bülow spielt ihn als leicht bräsigen, zunehmend daueralkoholisierten Querulanten, der es sich immer mal wieder mit seinen Freunden (z. B. Max von der Groeben) gehörig verscherzt, Chancen verspielt und mehr als einmal die Flucht ergreift (prominentester Weise in die DDR, um sich dort zu verlieben (Saskia Rosendahl) und daraufhin den überlebensgroßen Song „Mädchen aus Ostberlin“ zu schreiben). Vieles erinnert hier an die Figur des Theo, die ironischerweise Westernhagen mehrmals kongenial verkörperte. Damit läuft der Film interessanterweise konträr der Narrative, die Lindenberg in den 2010ern um sich selber schuf. Songs wie „Mein Ding“, „Durch die schweren Zeiten“ oder der Titelsong des Films, „Niemals dran gezweifelt“, erzählen die Geschichte eines Menschen, der sich seines Talents immer bewusst war und wusste, dass er einfach warten müsse, bis es klappen würde. Da schaut im Film leicht anders aus.

Udo (Jan Bülow) Steffi Stephan (Max von der Groeben) // © DCM Letterbox Gordon Timpen

Die Intention schien eine andere gewesen zu sein, nämlich, den musikalischen Einfluss Lindenbergs spürbar zu machen. Bis Udo das erste Mal einen seiner Songs singt, vergehen knapp zwei Stunden Film. Elliptisch untermalen zuvor B-Seiten-Auskoppelungen die Handlung, vor allem spielt zeitgenössischer Rock (The Kinks, Black Sabbath, Clarence Clearwater Revival) und den Versuchen die Figuren des Films zunächst auch sklavisch zu kopieren. Doch wir wissen alle: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Der Adrenalinschub, den Lindenberg mit seinem Schnodderdeutsch und Laberjazz der BRD mit „Andrea Doria“ zugeführt haben muss, wird durch die filmische Aufarbeitung in Teilen nachvollziehbar. Und damit auch die Existenzberichtigung des Mannes, der heutzutage eher als Karikatur bekannt ist.

Udo (Jan Bülow) mit Petra (Saskia Rosendahl) // © DCM Letterbox Bernd Spauke

Viel Liebe floss ohne Zweifel in die Ausstattung. Der Kiez ist dafür natürlich auch eine dankbare Kulisse, einfach n paar Neon Reklamen in der Postproduction rausblurren und schon schaut der Berg wieder aus, als könnten hier auch gleich John, Paul, George und Ringo aus dem Top Ten rauspurzeln. Es wird pausenlos geraucht und die Inneneinrichtungen der Schauplätze zeigen dem guten Geschmack selbstbewusst beide Mittelfinger. Dabei macht Huntgeburth nicht den Fehler, die Kulisse zum eigentlichen Star zu machen (woran ja etwa Fatih Akins GOLDENER HANDSCHUH grandios scheiterte). Mis-en-scène bleibt hier strikt Hintergrundkulisse und zieht nie zu viel Aufmerksamkeit auf sich. Zum stumpfen Museumsgang wird der Film zum Glück niemals.

Es ist also viel didaktisches Vermitteln. Und das gelingt auch überraschend gut. Da man sich aber ausschließlich auf die Zeit vor dem großen Durchbruch konzentrierte, kommt LINDENBERG! erst in der letzten halben Stunde in die Gänge, bzw. liefert das, was man von einem Biopic erwarten würde. Was etwa BOHEMIAN RHAPSODY in 20 Minuten abspult, dafür nimmt sich LINDENBERG! erstmal, teilweise arg frustrierende 120 Minuten Zeit, bevor karrieremäßig was passiert. Dadurch fühlt sich der erste große Auftritt und der damit einhergehende Publikumsjubel wahrlich erarbeitet an. Sowohl für Udo als auch für den Zuschauer.

LINDENBERG! Mach dein Ding (2019)
©DCM Letterbox Gordon Timpen

Wem kann man LINDENBERG! denn nun empfehlen? Beinharte Lindenberg-Fans werden das Kinoticket bereits im Januar gelöst haben. Udo-Desinteressierte sollten eine gehörige Portion Sitzfleisch mitbringen, können nach dem Abspann der öffentlichen Figur Lindenberg aber immerhin etwas Verständnis entgegenbringen. Es ist ein Film des Eskapismus, wie auch Lindenbergs Musik immer für Eskapismus stand. Ein Eskapismus in eine Zeit, in der man als Band tatsächlich in einer verrauchten Eppendorfer Kneipe entdeckt werden konnte. Als eine Kellnerlehre das sichere Ticket aus dem verschlafenen Heimatkaff war.

„Alte Seele, alles Pleite – Komm doch rüber auf die Sonnenseite“.

Das ist Udos Angebot. Und das kann man mit diesem Film durchaus annehmen. Er singt ja auch fast so schön wie früher.

© Fynn

Titel, Cast und CrewLindenberg! Mach dein Ding (2019)
Poster
Releaseab dem 21.08.2020 auf Blu-ray und DVD erhältlich.

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RegisseurHermine Huntgeburth
Trailer
BesetzungJan Bülow (Udo Lindenberg)
Jesse Hansen (Udo als Kind)
Julia Jentsch (Hermine Lindenberg)
Charly Hübner (Gustav Lindenberg)
Detlev Buck (Mattheisen)
Ruby O. Fee (Paula)
Saskia Rosendahl (Petra)
Max von der Groeben (Steffi Stephan)
Andreas Lust (Lude Reeperbahn)
DrehbuchAlexander M. Rümelin
Christian Lyra
Sebastian Wehlings
KameraSebastian Edschmid
FilmmusikOli Biehler
SchnittUeli Christen
Eva Schnare
Filmlänge143 Minuten
FSKab 12 Jahren

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