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Light Sleeper (1992) – Filmkritik

„The Midlife Movie“

Die Nachtschicht verändert den Menschen. Jeder, der einmal über einen längeren Zeitraum nachts gearbeitet hat, entdeckt die Welt neu. Die Haut wird merklich blasser, die Lichtempfindlichkeit steigt und auch der Blick auf die Umwelt wird ein anderer. Es ist eine sensible, melancholische Perspektive, die einen in Besitz nimmt, vor allem wenn man in Großstädten durch die dunklen, leeren Straßen wandelt. Nur noch wenige Menschen sind unterwegs, Zeitungslieferungen an den Kiosken, die Dämpfe über den Bäckereien und volle Mülltonnen auf den Gehwegen bezeugen, dass es einen weiteren Tag im Sonnenlicht geben wird. In diesem Zwielicht der Transzendenz bewegt sich LIGHT SLEEPER. Paul Schraders Autorenfilm atmet die Luft der 1980er, ist aber erst 1992 in die Kinos gekommen. Dieser Umstand lässt den Film nicht altbacken erscheinen, macht ihn wegen seiner minimalistischen Optik zu einem zeitlosen Stück Filmkunst. Schrader hat ihn immer in einer Art Quadrologie zur Entwicklung desselben Mannes gesehen: TAXI DRIVER (1976), AMERICAN GIGOLO (1980), LIGHT SLEEPER (1992) und THE WALKER (2007).

LIGHT SLEEPER (1985)
© Koch Films

Handlung

Von einem Chauffeur wird John LeTour (Willem Dafoe) durch die nächtlichen Straßen New Yorks gefahren. Er ist Drogenkurier, jedoch nur für die Mächtigen und Reichen. Pures, unverschnittenes Kokain bringt er unter Börsenmakler, Manager, Botschafter und Yuppietöchter. Die Stammkundschaft ist erlesen gewählt und zahlt den doppelten Straßenpreis. Qualität und Service haben eben ihren Wert. John arbeitet für die taffe Chefin Ann (Susan Sarandon). Doch bald scheint er arbeitslos, denn Ann will endlich mit einer eigenen Kosmetikserie legal werden. John weiß nicht, wie danach sein Leben weitergehen wird. Was interessiert ihn die Zukunft, denn eines Abends trifft er auf seine Vergangenheit: Marianne Jost (Dana Delany), eine vergangene Liebe. Beide waren in einer wilden Zeit des Drogenrauschs zusammen, haben es hinter sich gelassen, das Koks und die Beziehung. Nachdem John ein weiteres Mal auf Marianne trifft, glaubt er, dass es kein Zufall ist.

LIGHT SLEEPER (1985)
© Koch Films

Der Künstler

Die Hauptfigur John hat eine kreative Seele, die kaum einer kennt. Er schreibt Hefte mit seinen Gedanken und Geschichten voll, die er im Drogengewerbe erlebt hat, nur um die Prosa dann in den Müll zu werfen. Seine Stimme aus dem Off lässt uns an dieser versteckten Persönlichkeit teilhaben und bringt uns seine Arbeit näher. LIGHT SLEEPER bricht mit dem Bild des üblichen Drogenkuriers, der in dicker Jacke an einer dunklen Ecke auf Kundschaft wartet, mit schneller Handbewegung Ware gegen Bargeld tauscht und bei jeder Sirene sofort das Weite sucht. John dagegen lebt ein anderes Dasein. Er wird in einer schwarzen Lincoln-Limousine durch Manhattan gefahren, kommt an jeder Warteschlange vorbei und kennt jeden, der ihm die Tür öffnet. Mit der minimalen Drogenmenge in der Tasche, um nicht für Jahre ins Gefängnis zu wandern, hasst er die Regentage. Denn besonders an trüben Nächten flehen die Süchtigen nach Stimmungsaufhellern und er muss umso öfter zwischen Lager und Kunden pendeln. Den eigenen Drogenkonsum hat er hinter sich gelassen und ist vor allem im Umgang mit Chefin Ann freundschaftlich und emotional ehrlich. Susan Sarandon spielt eine ganz hinreisende Mischung aus liebevoll mütterlicher Chefin und ist eine der wenigen, die seine sensible Seite kennt.

LIGHT SLEEPER (1985)
© Koch Films

Liebesgeschichte

In der ersten Hälfte bringt uns LIGHT SLEEPER seinem Protagonisten näher, welcher nur darauf wartet, dass sich endlich etwas ändert. Die Veränderung ist die Liebe zu Marianne, die er zurückhaben will. In ihren Gesprächen bekommen wir eine Idee davon, wie ihre damalige Beziehung einmal gewesen sein muss, welche Euphorie und Schrecken sie im Drogenrausch erlebten. Die Inszenierung von Paul Schrader bricht nur einmal mit den bekannten Regeln der klassischen Bildgestaltung, wenn John und Marianne sich in einer Krankenhaus-Cafeteria unterhalten. Die Nahaufnahmen im Dialog werden unterbrochen und die Zuschauerperspektive springt auf die andere Seite. Nun ist nicht mehr ein Tisch zwischen beiden, sondern eine dicke Säule, vom oberen Rand des Bildes bis nach unten. Sie reden zwar noch miteinander, aber es ist der erste visuelle Beweis, dass zu viel zwischen ihnen steht und es keine zweite Chance geben wird. Eine der vielen tollen Bilder im düsteren New York was es so nicht mehr gibt und den Umständen der Produktion zu verdanken ist.

© Koch Films

In der Mitte seines Lebens

Wie sich die Hauptfigur durch die Innenräume im Urbanen bewegt, so scheint auch der Lebensinhalt für John nur noch ein Dahintreiben zu sein. Als Nachschwärmer führt man bereits ein einsames Leben, aber vor allem John scheint noch isolierter. Er lässt sich sogar durch eine „psychologische Seherin“ den Weg in die Zukunft deuten. Ein Schicksalsschlag könnte ein neues Leben einläuten. Seine Antwort, dass er sich zum Ton-Ingenieur weiterbilden will, scheint nur beschwichtigend zu sein, damit keiner weiter nachfragt, wie es wirklich um ihn steht. John ist mit 40 Jahren in der Mitte seines Lebens angekommen, in einer handfesten Midlife-Crisis, die er anhand seiner vergangenen Gefühle zu Marianne verdrängen will. Am Ende gibt es nur eine Zukunft: Isolation von der Gesellschaft.

© Koch Films

Hintergründe

Paul Schrader erkannte Anfang der 1990er, dass es im Kinoprogramm kaum noch Platz für kleine Studiofilme gibt. Er musste sich unweigerlich auf den Bahnen des Independent-Film bewegen und trotz seines Namens, er schrieb das Drehbuch zum erfolgreichen TAXI DRIVER, wollte niemand Finanzierungshilfe leisten. Nur der befreundete Willem Dafoe, dem die Kunst wichtiger als Gehaltschecks sind und Susan Sarandon kamen für die Rollen in Frage. Mit Star-Namen lockt man das große Produktionsbudget an. Schrader begann die Vorproduktion und musste erst einmal aus eigener Tasche zahlen. Es fand sich nach ein paar Wochen doch noch ein Finanzier. Um weiter Geld zu sparen, drehte das kleine Team direkt in New York und ohne teure Studioaufnahmen. Ein Umstand, den LIGHT SLEEPER allein schon deswegen sehenswert macht. So sah New York 1992 aus. Nach intensiven Proben drehten sie in wenigen Nächten den Film ab. Kameramann Edward Lachman (CAROL, THE VIRGIN SUICIDES) brannte mit dem was er an den Originalschauplätzen vorfand einen einzigartigen Look als intensives Zeitzeugnis auf Film. Willem Dafoe ging sogar bei einem befreundeten Drogenkurier von Schrader mit auf Tour, um besser in das Leben auf der Straße eintauchen zu können.

© Koch Films

Mediabook

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Regiearbeiten von Paul Schrader sind in den Regalen der Filmsammler spärlich vertreten. Man bemerke nur einen seiner besten Filme der letzten Jahre – FIRST REFORMED (2017) – sucht in Deutschland immer noch vergeblich sein Dasein auf DVD oder Blu-ray. LIGHT SLEEPER gibt es aber nun dank Koch Films im limitierten Mediabook (Blu-ray + DVD). Leider lag uns nur die DVD für eine Rezension vor, aber zumindest hier sehen Bild und Ton okay aus. Die Restaurierung kommt aus dem Hause des britischen Labels Indicator und wird sicherlich auch auf Blu-ray in HD überzeugen, trotz der offensichtlichen Diskrepanz, die der Regisseur und Kameramann in Bezug auf Farben im Filmlook hatten. Koch Films konnte ebenfalls das Bonusmaterial lizenzieren und somit kommt man bei den Extras (Audiokommentar, kommentierte Szenen, Intro von Paul Schrader, u.v.m.) voll auf seine Kosten. Vor allem das 2008er Q & A mit Schrader und DOP Lachmann ist seine 30 Minuten wert gesehen zu werden. Allein schon wegen der Geschichte wie Michael Been dazu kam, die Filmmusik und fünf Songs für den Soundtrack zu schreiben. Ein sicherlich lesenswertes Booklet von Nicolai Bühnemann rundet das Paket ab.

© Koch Films

Fazit

Das Treiben durch die Nacht, die Menschen im Zwielicht und die authentischen Aufnahmen aus einem New York vor über 30 Jahren machen LIGHT SLEEPER zu einer kleinen Perle des Indiekinos Anfang der 1990er. Die letzte Szene bereitet für die pessimistische Weltanschauung, die der Film vermittelt, etwas Bauchschmerzen, aber alles vorher bringt Stimmung und Atmosphäre auf den Punkt. Man riecht und atmet förmlich diese Stadt und das liegt nicht nur an den vielen Müllsäcken, die sich wegen eines Streiks auf den Gehwegen auftürmen. Geheimtipp!

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewLight Sleeper (1992)
Poster
Releaseab dem 26.08.2021 im Mediabook (Blu-ray + DVD)

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RegisseurPaul Schrader
Trailer

Englisch
BesetzungWillem Dafoe (John LeTour)
Susan Sarandon (Ann)
Dana Delany (Marianne Jost)
David Clennon (Robert)
Mary Beth Hurt (Teresa Aranow)
Victor Garber (Tis Brüg)
Jane Adams (Randi Jost)
Paul Jabara (Eddie)
Robert Cicchini (Bill Guidone)
Sam Rockwell (Jealous)
DrehbuchPaul Schrader
KameraEdward Lachman
MusikMichael Been
SchnittKristina Boden
Filmlänge103 Minuten
FSKab 16 Jahren

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