„Die Bestie im Sonnenlicht“
Los Angeles wurden schon viele cineastische Gesichter abgerungen, ohne dass man von einer Sättigung sprechen kann. Aber wenn man versucht, sich an bestimmte Gebäude oder markante Architektur der Stadt zu erinnern, fallen einem nur wenige ein. Man muss seinem Gedächtnis mit Drehorten auf die Sprünge helfen, wie zum Beispiel das Griffith-Observatorium aus … DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN (1955). Aktuell verdrahtet sich sogar ein ganzer Stadtteil Hollywoods durch UNDER THE SILVER LAKE (2018) mit unserer gedanklichen Filmdatenbank. Auch wenn man dutzende Filme bereits gesehen hat, die in der Stadt der Engel spielen, freut man sich ungemein noch etwas Neues zu entdecken. Viel überraschender ist es jedoch, dies mit einem Blick in die Vergangenheit zu erhalten. LEBEN UND STERBEN IN L. A. (1985) zeigt mit visueller Beispiellosigkeit gezielt die Randbezirke jener Großstadt und die Gefahr, die von ihnen ausgeht. L. A. hält sich weder an Regeln noch an Gesetze.
Inhalt
Die Agenten Richard Chance (Wlliam L. Petersen) und Jimmy Hart (Michael Greene) gehören dem US Secret Service an und setzen ihr Leben bereitwillig für ihren Präsidenten aufs Spiel. Nach der erfolgreichen Verhinderung eines Anschlags auf das amerikanische Oberhaupt gehört es auch zu ihren Aufgaben, den Falschgeld-Verkehr einzudämmen. Der Handel mit falschen 20- und 100-Dollarscheinen floriert geradezu in dieser Stadt. Hart ist dem Fälscher Eric Masters (Willem Dafoe) dicht auf der Spur, was ihn jedoch sein Leben kostet. Chance bekommt daraufhin den Neuling John Vukovich (John Pankow) zugeteilt, dessen Dienstwegtreue schnell durch den Rachedurst seines Partners auf eine harte Probe gestellt wird. Aber L. A. hat hier auch noch ein Wörtchen mitzureden
Genre-Gegensatz
Wir befinden uns mit LEBEN UND STERBEN IN L. A. mitten in den 1980er-Jahren. Der Film stellt oberflächlich gesehen einen Copthriller mit Buddy-Movie-Komponente zur Schau, entpuppt sich jedoch als etwas ganz Eigenes. Während in derselben Filmepoche Axel Foley in BEVERLY HILLS COP (1984) über Motorhauben rutscht und Riggs mit Murtaugh in LETHAL WEAPON (1987) sich gegenseitig die Witze zuspielen, hat diese schon fast unbequeme Inszenierung etwas Dokumentarisches an sich. Hier werden Hauptfiguren schon einmal mit der Schrotflinte aus der Handlung gepustet und Sexualität als reines Mittel zum Zweck fotografiert. Schon fast obsessiv dreht Regisseur William Friedkin an Originalschauplätzen der Stadt. Aber immer in den dreckigen Hinterhöfen, an den verstaubten Hafendocks oder im Netz der Schienen und Highways. Es wird uns Zuschauern kein Blick auf bekannte Sehenswürdigkeiten gewährt. Genauso wenig wie den Hauptfiguren ein Zuhause zu Teil wird. Selbst nach Feierabend geht es für die Agents in Bars, sie führen ein Leben auf der Straße und haben keine Familie. Die Einblendung von zeitlichen Eckdaten in verschiedenen Schriftarten unterstützt das Dokumentarische, aber die Willkür der Einblendungen und der fehlende zeitliche Spannungsbogen im Drehbuch heben auch diese Genrekonvention aus den Angeln. LEBEN UND STERBEN IN L. A. bleibt ein wildes, pulsierendes Genremonster, welches in einer der schnellsten Verfolgungsfahrten, die die 1980er-Jahre gesehen haben, seinen unnachgiebigen Jagdinstinkt zeigt.
Wuchtige Inszenierung
Für die ungewöhnlichen Bilder, welche meist zur Abendstunde und Dämmerung aufgenommen wurden, holte sich Friedkin das lebendig gewordene Arthaus-Kamerauge Robby Müller. Beide schaffen es, den Film in solch düstere, höllische Optik zu tauchen, dass man es kaum wagt, während dieser Fahrt auch nur einmal anzuhalten. William Friedkin ist bekanntermaßen nicht gerade ein Schauspielflüsterer oder verständnisvolle Person am Set, was auch erklärt, dass nur er diesen Film drehen konnte. (Anm.: Er wurde von seinen Filmcrews „Wacky Willie“ genannt und unterbricht auch mal einen straffen Drehplan, um den perfekt brutzelnden Speck aufzutreiben.)
Hauptdarsteller William L. Petersen (MANHUNTER, DER EINZELGÄNGER) spielt Chance mit stechendem Blick und enormer Leinwandpräsenz. Er weiß, was er will, stellt auch gern mal seine gut gefüllte Jeans zur Schau und flucht jeden an, der sich ihm in den Weg stellt. Sein Gegenspieler, der Bargeldkünstler Eric Masters, wird von einem glatten, fast schon androgynen Willem Dafoe gespielt. Dafoe fehlen noch seine markanten Linien im Gesicht, aber sein Verhalten spricht eine raue und effektive Sprache. Auch er nutzt die Beziehung zu Frauen nur, um das Katz- und Mausspiel etwas spannender zu gestalten. Das Interesse an Geld hat er schon lange verloren, außer es mindert den Wert seiner Fälschkunst.
Das Mediabook von Capelight
Es gibt nichts Besseres als jenen brachialen und ungewöhnlichen Film Noir der 1980er-Jahre in dieser Veröffentlichung von capelight zu entdecken. Das HD-Master ist genau richtig gelungen. Die Bilder sind kräftig, spiegeln dennoch den smoggetränkten Moloch der Stadt wieder. Die deutsche Synchronisation liegt in DTS 5.1 vor, erweist sich jedoch als Herausforderung für eine Stereoausgabe. Hohe Dynamiken in der Lautstärke sind das Resultat, deswegen kann man im Menü sogar die deutsche Stereo-Abmischung anwählen, ein perfekter Service. Es lohnt sich aber auch, lieber in die Originalfassung zu hören, weil hier die Schimpfwörter dem Drehbuch treu bleiben. Das Design des Mediabooks beweist wieder ein feines Gespühr für Gestaltung. Es handelt sich hierbei um die 116-minütige ungekürzte Fassung mit umfangreichem Bonusmaterial, wie Making-of, Interviews und entfallene Szenen. Interessant ist auch ein Blick in das alternative Ende, welches zum Glück nicht den finalen Schnitt erlebte und nur der verzweifelte Wunsch des Studios nach lächelnden Gesichtern der Kinogäste darstellt. Stefan Jung, der auch in diesem Filmblog für ausreichend Textstoff sorgt, hat für das 24-seitige Booklet seine Gedanken zum Film auf Papier gebracht. Wie immer sehr lesenswert.
Fazit
Endlich bekommt einer der wohl eigenwilligsten Filme der 1980er-Jahre eine würdige deutsche Veröffentlichung im Mediabook. Alle, die LEBEN UND STERBEN IN L. A. kennen, haben sicherlich bereits auf den „kaufen“-Button gedrückt und für jene, die vor einem höllischen Inferno eines Cop-Buddy-Movies nicht zurückschrecken, sei der Filmtipp gegeben, unbedingt diesem L. A. einen Besuch abzustatten.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter