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La Abuela (2021) – Filmkritik

„Sie wartet auf Dich“

Der Regisseur Paco Plaza gehört einer neuen Generation spanischsprachiger Filmemacher an, die sich das Ziel setzten, dass Genre mit ungewöhnlichen Ideen zu beleben und gleichzeitig neue Impulse in ihre Heimatländer zu setzen. Den Anstoß dazu gab sicherlich Guillermo del Toro, der Anfang der 2000er mit THE DEVIL‘S BACKBONE (EL ESPINAZO DEL DIABLO, 2001) ein ganzes Land aus seinem Tiefschlaf erlöste. Danach ging es Schlag auf Schlag bis ins Jahr 2007, als eben jener Paco Plaza mit seinem Kumpel Jaume Balaguero ihren Film [REC] präsentierten und über Nacht weltbekannt wurden. Plaza, geboren 1973 in Valéncia, Spanien, verheiratet mit der erfolgreichen Schauspielerin Leticia Dolera. Nicht erst mit dem mittlerweile zum modernen Klassiker avancierten [REC] zeigte sich sein Faible für klassische Themen und eindrucksvolle Bilder. Denn schon in früheren Werken wie PAKT DES BLUTES aka DIE SEKTE – EIN OPFER MUSST DU BRINGEN (EL SEGUNDO NOMBRE (2002), ROMASANTA (2004) oder XMAS TALE (PELICULAS PARA NO DORMIR: CUENTO DE NAVIDAD, 2005) wurde dieser besondere Blick schärfer, ausgeprägter und immer detailverliebter. Ebenso wie seine Fähigkeit, jene klassischen Motive neue Impulse und überraschende Ansätze zu verleihen. Ganz besonders wurde das in seinem letzten Film VERONICA: SPIEL MIT DEM TOD (2017) sichtbar, der als zentrales Thema die Besessenheit verhandelt. In seinem neusten Film LA ABUELA verarbeitet er erneut eine altbekannte Thematik des Genres in seiner unnachahmlichen Art zu etwas Unbekannten und Unerwartetem. Einmal mehr beweist Plaza dabei eindrucksvoll, dass er sich zur festen Größe des europäischen Horrorkinos etabliert hat.

© Koch Films

Handlung

Die junge Susana (Almudena Amor) lebt und arbeitet in Paris als aufstrebendes Model. Eines Tages erhält sie einen Anruf, in dem ihr mitgeteilt wird, dass ihre Großmutter Pilar (Vera Valdez) in Madrid einen Schlaganfall erlitten hat. Umgehend reist Susana nach Spanien, um sich um sie zu kümmern. Die ersten Tage in der dunklen Wohnung von Oma Pilar verlaufen harmonisch und Susana schwelgt in längst vergessenen Erinnerungen. Wie aus dem Nichts wandelt sich die Stimmung und seltsame Vorkommnisse werfen düstere Schatten voraus, in denen etwas Unbeschreibliches auf Susana lauert.

Körperkult oder die Angst vor der ersten Falte

Der Kontrast könnte nicht größer sein: Auf der einen Seite haben wir Susana, jung und erfolgreich, am Beginn ihres Lebens. Ihren Beruf als Model übt sie mit Begeisterung aus und bringt sie in die Position, für viele Menschen den Inbegriff von Anmut und Schönheit zu verkörpern. Auf der anderen Seite haben wir ihre Oma Pilar, die alte verwirrte Frau steht am Ende eines langen Lebens und ist nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen. Ihr Äußeres dokumentiert jenes erfüllte Leben und kontrastiert den unbedingten Willen heutiger Generationen mit allen Mitteln ihre Jugend zu erhalten, was von der Gesellschaft schon längst zur Konvention erhoben wurde. Millionen Menschen lassen sich von der ätzenden Schminke der Eitelkeit sozialer Netzwerke blenden und hecheln einem Schönheitsideal nach, dass immer öfter der Computer entwirft und nur für die wenigsten erreichbar ist. Das ungewöhnliche an LA ABUELA liegt wohl darin, dass er uns diesen abartigen Körperkult vor Augen führt, sowie eine heuchlerische Gesellschaft und ihrer schäbigen Vision vom Alter. Einen Zustand, der immer öfter als Albtraum oder als Hindernis wahrgenommen wird und gerade deshalb als Allegorie so erschreckend wirkt.

© Koch Films
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Mehrfach präsentiert uns der Regisseur junge, attraktive Körper, ebenso wie sein krasses Gegenteil. Aber nicht wie manch einer jetzt vermuten würde zum Vergnügen oder gar als Sexualobjekt. Ganz im Gegenteil: Bewusst erstrahlt hier die Schönheit wie auch die Verletzlichkeit unserer Körper, egal in welchem Alter er sich befinden mag. Gerade in der ersten halben Stunde des Filmes gibt es sehr intime und einfühlsame Szenen, in denen dieser Kontrast sich liebevoll gegenübersteht. Es ist nichts vor dem wir uns in irgendeiner Weise fürchten müssen oder mit Schrecken entgegensehen sollten. In uns allen steckt dieser unerbittliche Keim des Zerfalls seit unserer Geburt, der gnadenlos in jeder Sekunde unseres Seins voranschreitet. Um genau diesen unaufhaltsamen Zerfall unserer Zellen bildlich festzuhalten, installierte Paco Plaza einige Schlüsselmomente im Film. Zum einen sind da all die Uhren in Pilars Wohnung und das ständige Tick-Tack im Sounddesign. Zum anderen das Spiel mit den Spiegeln zwischen Susana und ihrer Großmutter. Dabei „tauschen“ die Frauen ihr Gesicht, was unter anderem demonstrieren soll, dass des einen Gegenwart, die Zukunft des anderen symbolisiert. Übrigens: die Brasilianerin Vera Valdez war eines der ersten internationalen Models, die für Chanel arbeiteten, womit sich der Kreis hier wieder schließt. Dass diese Momente noch eine weitere Symbolik beinhalten, wird spätestens im Finale von LA ABULEA deutlich, was wir an dieser Stelle jedoch nicht verraten wollen.

© Koch Films

Europäischer Horror par excellence

Regisseur Plaza wählte bei seinen Aufnahmen für dieses sehr aktuelle und heikle Thema eine passende, ruhige und sehr stilvolle Inszenierung. Es gibt sowohl statische Momente wie auch lange, wohldurchdachte Kamerafahrten durch die labyrinthartige Wohnung inmitten der anonymen Großstadt. Eine geradezu albtraumhafte Qualität erreicht dabei Kameramann Daniel Fernández Abelló mit seinen Bildern, die schlussendlich in einer lähmenden Ausweglosigkeit münden. Der stimmige Score stammt von Fatima Al Qadiri und bleibt wohltuend im Hintergrund, gleichzeitig wirkt er verstärkend zur beängstigenden Atmosphäre von LA ABUELA. Die unsichtbare Gefahr, die sich hier sehr langsam aufbaut, lauert im Verborgenen, den Schatten. Unaufhaltsam breitet sich das Unbeschreibliche immer weiter aus und ist in keinem Moment greifbar für den Rezipienten. Eine Atmosphäre von Tod und Vernichtung, von Angst und Verzweiflung lauert in jedem dunklen Winkel des klaustrophobischen Appartements, in dem sich beide Frauen ihren eigenen Kosmos eingerichtet haben, isoliert von der Welt außerhalb der abgrenzenden Mauern.

© Koch Films

Dem ein oder anderen mag LA ABUELA phasenweise an eine Mischung aus RELIC (2020) und THE VISIT (2015) erinnern. Doch Paco Plaza erschafft seine eigenen Bilder, die sich tief in unsere Köpfe eingraben, ohne zu kopieren oder nachzuahmen. Die bedrückende Atmosphäre erinnert zeitweilig an MALASANA 32 – HAUS DES BÖSEN (2020) oder gar an Roman Polanskis Klassiker ROSEMARIES BABY (1968). Ohne noch mehr verraten zu wollen, gibt uns Regisseur Plaza jedoch gleich zu Beginn einige Informationen an die Hand, die auf das Schicksal von Susana hindeuten und nein, es handelt sich nicht um einen Geisterthriller. Zusätzlich werden weitere Spuren anhand von Farben gelegt, die, je weiter der Film voranschreitet, deutlicher und konkreter werden. Dabei entsteht ein Labyrinth aus Licht und Schatten, aus Glauben, falschen Erinnerungen und Wahnsinn, aus dem es letztendlich kein Entkommen gibt. Das Drehbuch stammt vom bekannten spanischen Drehbuchautor Carlos Vermut und erinnert in Teilen an eine Kurzgeschichte des britischen Autors Ronald Chetwynd-Hayes aus dem Jahre 1971 mit dem Titel „A Penny for a Pound“.

Fazit

Das spanische Ausnahmetalent Paco Plaza beweist mit seinem neusten Film erneut, dass er die Klaviatur des Horrors in allen Facetten beherrscht, auch wenn er dabei weit über den etablierten Code des Genres hinaus geht. Ganz sicher ist LA ABUELA kein Produkt für die Massen, jedoch für all jene, die nicht kniehoch in Blut und Gedärmen stehen müssen, um einen guten Horrorfilm zu erkennen.

© Stefan F.

Titel, Cast und CrewLa Abuela (2021)
Poster
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RegisseurPaco Plaza
Trailer
BesetzungAlmudena Amor (Susana)
Vera Valdez (Pilar)
Marina Gutiérrez (Adela)
Berta Sanchez (junge Susana)
Alba Bonnin (junge Eva)
Ileana Wilson (Doktor Romero)
DrehbuchCarlos Vermut
FilmmusikFatima Al Qadiri
KameraDaniel Fernández Abelló
SchnittDavid Gallart
Filmlänge100 Minuten
FSKab 16 Jahren

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