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Kulissen der Macht (2023) – Filmkritik

„Im finsteren Herzen der amerikanischen Außenpolitik“

Meine Abschlussarbeit an der Uni sollte eigentlich ein ganz anderes Thema haben. Der Journalismus hat mich– neben Film – immer interessiert und wegen des damaligen Irakkriegs wollte ich mich mit Kriegsfotografie im Zuge der Journalismustheorie auseinandersetzen. Ende der 2000er Jahre war das Wort „Embedded Journalist“ medial in aller Munde. Das sollte mein Themenkomplex für ein wissenschaftliches Projekt sein. Aber wie das Leben so spielt, ist es eine praxisnahe Abschlussarbeit geworden. Jedoch blieb mir aus meinen damaligen Vorrecherchen zur Kriegsfotografie-Thematik ein Buch in guter Erinnerung: „Das Leid anderer betrachten“ von Susan Sontag. Vor allem eine Aussage blieb mir im Gedächtnis: Die Menschen stumpfen nicht aufgrund der abgebildeten Gewalt in Fotografien und Filmen ab, sondern es liegt an der Passivität, zu der man gezwungen ist. Den Menschen, die in den Aufnahmen sterben oder bereits tot sind, können wir nicht mehr helfen. Man kann das Geschehen weder verhindern noch zur Rettung eilen. In diesem Gedankenkonstrukt sah ich mich wieder verdammt, als ich KULISSEN DER MACHT sah. Eine dokumentarische Annäherung an 40 Jahre amerikanischer Außenpolitik von der Clinton-Präsidentschaft bis hin zu der von Barack Obama. Man sollte meinen, eine friedliche Zeit, doch hier wird einem die eigene Unwissenheit grausam vor Augen geführt.

Bill Clinton // © Films That Matter

Der Film von Dror Moreh beginnt mit einem Fakt, den wenige im Geschichtsunterricht Aufmerksamkeit schenken: Im Zweiten Weltkrieg ist den Alliierten bereits bewusst, dass die Nazis industriellen Massenmord an der jüdischen Bevölkerung begehen. Die Alliierten bombardieren bereits 1943 bis 1944 deutsche Industrien und Städte, aber die Gleise, die für den Transport der totgeweihten Fracht wichtig sind, bleiben verschont. Warum wird nicht bereit hier eingegriffen? Nach der Kapitulation des Deutschen Reichs setzt die Welt auf die Worte „Nie wieder“. Nie wieder darf Völkermord stattfinden. Doch die Geschichte nimmt einen anderen Verlauf und man ist geradezu geschockt vor den vielen Millionen Menschen, die in blutigen Kriegen dahingemetzelt werden und von der eigenen Unwissenheit darüber. Doch mit diesen Wissenslücken kann man jetzt Schluss machen, in dem man KULISSEN DER MACHT ansieht. Das hat jedoch einen hohen emotionalen Preis.

Barack Obama // © Films That Matter

Der Großteil der Dokumentation befasst sich mit Interviews der Akteure der amerikanischen Außenpolitik wie Madeleine Albright, Colin Powell, Hillary Clinton, Ben Rhodes und Antony Blinken zu sehen. Selbst Henry Kissinger kommt für ein paar Sätze zu Wort. Mit Hilfe von Kapiteln führt uns Moreh durch die konfliktreiche Geschichte der letzten 40 Jahre: Bosnienkrieg (1992-1995), Völkermord in Ruanda (1994), Zweiter Golfkrieg (1990-1991), Dritter Golfkrieg (2003-2011), Bürgerkrieg in Libyen (2011) und der Syrien-Konflikt (seit 2011). Eine lange Liste voller schrecklicher Taten gegenüber der Zivilbevölkerung, die mit extrem grausamen Archivaufnahmen, sei es von den Soldaten selbst oder fliehenden Mitgliedern der Botschaften oder Journalistinnen und Journalisten, dokumentiert wurden. Hier sei bereits der Hinweis gegeben: Dieser Film zeigt die reale, menschliche Grausamkeit gegenüber Kindern, Frauen und Männern. Man muss selbst wissen, ob man es durchsteht, diese Abgründe sehen zu können.

Condoleezza Rice // © Films That Matter

Im Kern befasst sich der Dokumentarfilm mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die für die damalige Außenpolitik verantwortlich waren und denen diese Bilder vorlagen, die man hier ungeschönt sieht. Ihre Aufgabe war es die Informationen in politisches Handeln umzuwandeln oder bei Nichteingreifen ausreichend Begründungen dafür aufzuführen. Vielen sieht man noch heute an, dass sie ihre Entscheidung, ob nun mit Reue oder ohne, bis heute nicht überwunden haben. Ein ehemaliger General sieht immer noch Leichen aus Ruanda vor seinem inneren Auge davontreiben, wenn er einen Fluss sieht.

Madeleine Albright // © Films That Matter

Die Frage stellt sich immer wieder: „Welche Verantwortung hat die USA gegenüber hilflosen Völkern, die offensichtlich von Genozid bedroht werden?“. Wie schwer muss das Leid anderer sein, damit ein militärischer Eingriff der NATO gerechtfertigt ist. Heute wissen wir durch den Ukrainekrieg, dass es ein schmaler Grat ist, inwieweit man an einem Konflikt beteiligt ist. Ein bisschen auch zum Glück endet die Filmproduktion im Jahr 2022, denn einen weiteren Konflikt aufzuarbeiten, hätte das Format gänzlich gesprengt. Insgesamt stellt sich hier auch die Frage, inwieweit eine Aufarbeitung des Themas als Dokumentarfilm sinnvoll ist. Die Fakten werden geschichtlich Uninteressierte überrollen. Die grausamen Bilder vernichten den Glauben an die Menschheit und von einer Lösung ist der Diskurs weit entfernt. Vielleicht lässt sich zum Ende nur die Erkenntnis sammeln, dass es sich nur mit einem gemeinsamen globalen politischen Willen der größten Nationen verhindern oder verlangsamen lässt. Große Macht birgt nun einmal große Verantwortung; das wusste nicht nur Peter Parker als Spider-Man, sondern auch die USA mit ihrem NATO-Bündnis nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Dennoch fragt man sich während der Laufzeit auch immer wieder, ob eine solch komplexe Entscheidung überhaupt von ein paar wenigen gefällt werden kann. Aber solange sie demokratisch gewählt sind, ist es ihre Pflicht nach menschenrechtlichen Aspekten Entscheidungen zu fällen und die sind extrem unbequem und manchmal nicht von Erfolg geprägt, wie zum Beispiel Barack Obama mit der Entscheidung zu Libyen feststellen musste.

Samantha Power und Barack Obama // © Films That Matter

Fazit

Die Warnung ist ernst zu nehmen: Für sensible, politisch Interessierte ist KULISSEN DER MACHT aufgrund der gewaltsamen Bilder erschütternd. Dennoch beweist der Film, wie wenig wir wissen und wie viel wir aufarbeiten müssen. Doch dann bricht schon wieder die nächste Krise über uns herein. Eine gute Möglichkeit, kommenden Konflikten menschenwürdig zu begegnen, ist es, eben diese Dokumentation zu sehen, ob es uns gefällt oder nicht.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewKulissen der Macht (2023)
OT: The Corridors of Power
Trailer
Poster
Filmlänge135 Minuten
FSKAb 16 Jahren
DrehbuchDenis Villeneuve
Jon Spaihts
Craig Mazin
RegisseurDror Moreh
DrehbuchDror Moreh
Oron Adar
Stephan Krumbiegel
FilmmusikFreya Arde
BesetzungHENRY KISSINGER: US-Außenminister 1973 - 1977
MADELEINE ALBRIGHT: US-Außenministerin 1997 – 2001, US-Botschafterin bei der UNO 1993 - 1997
COLIN POWELL: US-Außenminister 2001 – 2005, Vorsitzender des Generalstabs der USA 1989 - 1993
HILLARY CLINTON: US-Außenministerin 2009 - 2013
ANTONY BLINKEN: Stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater der USA 2013 – 2015, aktuell US-Außenminister
SAMANTHA POWER: US-Botschafterin bei der UNO 2013 – 2017, US-Direktorin für Menschenrechte 2009 – 2013, aktuell Leiterin der US-Behörde für internationale Entwicklung
NANCY SODERBERG: Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates der USA 1993 - 1997
ANTHONY LAKE: Nationaler Sicherheitsberater der USA 1993 - 1997
PAUL WOLFOWITZ: Stellvertretender US-Verteidigungsminister 2001 - 2005
JAMES BAKER: US-Außenminister 1989 - 1992
SANDY BERGER: Nationaler Sicherheitsberater der USA 1997 - 2001
LEON FUERTH: Sicherheitsberater des US-Vizepräsidenten 1993 - 2001
WESLEY CLARK: Oberster Befehlshaber der Alliierten in Europa 1997 - 2000
PRUDENCE BUSHNELL: Referatsleiterin für Afrika im US-Außenministerium 1993 - 1996
GEORGE MOOSE: Unterabteilungsleiter für Afrika im US-Außenministerium 1993 - 1997
JOHN SHATTUCK: Unterabteilungsleiter für Menschenrechte im US-Außenministerium 1993 - 1998
LAURA LANE: Mitarbeiterin der US-Botschaft in Ruanda 1993 - 1994
RICHARD A. CLARKE: Nationaler US-Koordinator für Sicherheit und Terrorismusbekämpfung 1998 - 2001
PETER GALBRAITH: US-Botschafter in Kroatien 1993 - 1998
LEON PANETTA: US-Verteidigungsminister 2011 - 2013
STEPHEN SESTANOVICH: Sonderberater im US-Außenministerium 1997 - 2001
JAMES F. COLLINS: US-Botschafter in Russland 1998 - 2001
GEORGE SHULTZ: US-Außenminister 1982 - 1989
BEN RHODES: Stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater der USA 2009 - 2017
JAKE SULLIVAN: Direktor für strategische Politikplanung der USA 2011 - 2013
DENIS McDONOUGH: Stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater der USA 2010 - 2013
MICHAEL MULLEN: Vorsitzender des Generalstabs der USA 2007 - 2011
CHUCK HAGEL: US-Verteidigungsminister 2013 - 2015
DEREK CHOLLET: Unterabteilungsleiter im US-Verteidigungsministerium 2012 - 2015
ROBERT MALLEY: Sonderberater des US-Präsidenten 2014 - 2017
WA‘EL ALZAYAT: Politischer Berater der US-Botschafterin bei der UNO 2014 - 2017
ReleaseKinostart: 30.05.2024
KameraKobi Zaig
SchnittOron Adar
Stephan Krumbiegel

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