„Katz und Maus der Comicgeschichte“
Comicleser wie auch -zeichner werden immer etwas belächelt. Viele tun sie mit einem süffisanten Grinsen ab: „Das ist doch etwas für Kinder und von ernsthafter Kunst weit entfernt.“ Liegt es daran, dass solche Vorurteile aus dem Umstand entstehen, dass Comics wirklich jeder lesen und verstehen kann? Nur, weil es ein Massenmedium geworden ist, heißt es nicht, dass es ihm an Ernsthaftigkeit fehlt. Vielleicht ist es einfach der Neid, der bei solch oberflächlichen Gedanken mitspielt, dass sich die Leser und Zeichner einen unschuldigen, kindlichen Blick auf die Welt erhalten haben.
George Herriman, Zeichner und Karikaturist, ist es nicht nur gelungen, das Zusammenleben von Katze, Maus und Hund unterhaltsam auf viele Comicstrips zu bannen, sondern auch schleichend die moderne Literatur und Malerei der USA maßgeblich zu beeinflussen, wenn nicht sogar voranzutreiben. Eine Katze, die in eine Maus verliebt ist und diese es ihr mit vielen Ziegelsteinen an die Rübe zurückzahlt, ist als einer der Ursprünge für moderne Kunst in Nordamerika schwer vorstellbar. TASCHEN hat mit KRAZY KAT ein umfangreiches Werk herausgebracht, was diesen Umstand mit über sieben Kilo Eigengewicht untermauert. Viel schwerer als ein paar Ziegelsteine ist die gewissenhafte Aufbereitung von Alexander Braun zu Beginn des Buchs. Im ersten Fünftel der über 600 Seiten überzeugt Braun nicht nur mit Fachwissen, sondern auch mit viel Liebe für diese schrulligen Figuren und somit auch für George Herriman selbst.
Genie im Untergrund: George Herriman
Am 22. August 1880 kam George Joseph Herriman in New Orleans zu Welt. Sein Vater und seine Mutter stammten wahrscheinlich von kreolischen und griechischen Einwanderern ab. Die Familie hatte auf Grund ihrer dunklen Hautfarbe und Abstammung nicht alle Grundrechte im Staate Louisiana. Als die Bürgerunruhen immer stärker wurden, zogen die Herrimans nach Los Angeles. Hier konnte George eine exzellente Ausbildung an einer katholischen Schule genießen, was ihm das nötige Allgemeinwissen für seine ersten grafischen Kunstinterpretationen gab. Bereits als Kind zeichnete Herriman viel und begann nach der Schule eine Stelle als Grafikassistent bei der örtlichen Zeitung. Nachdem sein Talent als Illustrator und Karikaturist erkannt wurde, zu jener Zeit gab es keine fotografischen Abbildungen in den Tageszeitungen, erhielt er schnell erfolgreiche Anstellungen bei den großen Verlagen. In diese Zeit fiel ebenfalls die Entstehung des amerikanischen Zeitungscomics und dem über Ausgaben hinweg fortlaufenden Comicstrip.
1890 ging Herriman nach New York und dort wurde er in der Szene von Karikaturisten zum unscheinbaren Star. George passte kaum zu dem Haufen Zeichnern, denen jede Tür in New York geöffnet wurde. Vor allem im Sportteil wurden immer wieder Zeichnungen benötigt, die das Ergebnis zeigen, aber auch einen humoristischen Unterton enthalten. Zum großen Comic-Strip-Zeichner fehlte Herriman jedoch noch eine Figur, auf die sich jeder Leser freuen konnte. Er fand sie auf dem Boden seiner ersten erfolgreichen Geschichte: Die Dingbat Familie.
Die Geburt von Krazy Kat
THE DINGBAT FAMILY war eine einfache Familie mit alltäglichen Problemen, die immer wieder witzig von Herriman aufbereitet wurden. Eine Besonderheit waren jedoch die Akteure über wie auch unterhalb der Familie. Die „Family Upstairs“ war nie zu sehen, aber ihre, laute und streitsüchtige Art hatte immer wieder Einfluss auf das Leben der Dingbats. Die Figuren wie auch die Leser waren neugierig auf die Nachbarn über ihnen, bekamen sie aber nie zu Gesicht. Zu den Füßen der Dingbats lebten, sie wurden sogar in einem separaten Comicstrip darunter gezeichnet, eine Katze und eine Maus. Was die beiden erlebten und der Kampf zwischen ihnen wurde für große wie kleine Leser immer wichtiger und die beiden Tiere bekamen 1913 ihre erste eigene tägliche Comicreihe: KRAZY KAT.
Ignatz Mouse und Krazy Kat erfreuten sich großer Beliebtheit bei der Leserschaft und machten den Namen George Herriman überall bekannt. Nachdem sich die kulturelle Aufmerksamkeit der USA in den 1920er-Jahren änderte, schwand auch das Interesse am Comic. Der Verleger und größte Fan Herrimans Arbeit William Hearst hielt ihm dennoch die Treue und gab Herriman eine Anstellung auf Lebenszeit. 1935 erschien eine ganze, farbige Seite KRAZY KAT in den Sonntagsbeilagen. Ab hier konnte sich die Kunst Herrimans gänzlich entfalten und stellte nicht nur das Medium Comic auf den Kopf, sondern leistete der amerikanischen modernen Kunst einen wichtigen Beitrag. Bis zum Tod Herrimans im Jahr 1944 wurden wöchentlich die Geschichten um Krazy Kat, Ignatz und Offissa Pupp gedruckt und können jetzt in diesem Band mit staunendem Auge und Liebe zum Surrealem (wieder)entdeckt werden.
Was steckt dahinter?
Aber warum haben hierzulande Comic-Fans von KRAZY KAT wenig gehört, obwohl Größen wie F. Scott Fitzgerald, Pablo Picasso, Jackson Pollock, Charlie Chaplin und Frank Capra begeisterte Fans der Geschichten waren? Das liegt zum einen am beschwerlichen Umsatz der Zeitungen auf europäischem Land und zum anderen am ungewöhnlichen Anspruch an den Leser. Die Jagd zwischen Tieren, hat in Zeichentrickserien wie TOM UND JERRY oder BUGS BUNNY übertriebene humoristische Elemente bekommen. Immer wieder bekommt, der in der Natur überlegene Jäger brutal eins übergezogen und verliert so seine Beute.
George Herriman ging Jahrzehnte zuvor schon etwas weiter: Eine schwarze Katze liebt eine clevere, durchtriebene Maus, die der Katze immer einen Ziegelstein an den Kopf wirft. Der Hund Offissa Pupp ist durch die ständigen Angriffe der Maus in Krazy vernarrt und eine Dreiecksgeschichte nimmt ihren Lauf. Man merkt bereits in der Schreibweise der Namen, dass der Zeichner eine neue Art der Rechtschreibung für sich erfunden hat. Als Nicht-Englisch-Muttersprachler sind die Sprechblasen eine Herausforderung und man beginnt manchmal es sich murmelnd vorzulesen, um zu erkennen, was nun eigentlich gesagt wurde. Die Ursprünge sind ganz klar in der USA als Schmelztiegel vieler Nationen erkennbar. Man spricht eher als dass man weiß, wie es wirklich geschrieben wird. Somit sind Krazy und Ignatz auch Immigranten in dieser Welt. Aber dies ist nicht der eigentliche Höhepunkt der Arbeiten von Herriman.
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© TASCHEN Sonntagsseiten
Denn KRAZY KAT hat es verstanden:
„Den Rahmen aus Panels im Comic nicht länger als der Erzählung dienendes Korsett zu verstehen, sondern diese Form zu emanzipieren und wiederholt auch über den Inhalt zu stellen …“
Ein Markenzeichen ist der Hintergrund des Geschehens, der von Panel zu Panel immer wieder wechselt. Nicht nur andere Landschaften – immer wieder die Felsen im Monument Valley, welche Herriman so liebte – sind zu sehen, sondern auch Tageszeiten wechseln gern einmal von einem Moment zum nächsten. So bekommt das Geschehen noch mehr Surrealismus vermittelt, abgesehen vom Treiben dieser ungewöhnlichen Tiere. Man kann sich sicher sein, dass auch David Lynch ein paar Comics von KRAZY KAT in seiner Bibliothek stehen hat. Aber was soll dieser Kampf innerhalb der Figuren?
Am besten bringt es der amerikanische Schriftsteller und Dichter E. E. Cummings auf den Punkt, der auch in diesem Buch zitiert wird:
Für Cummings ist das alles eine einzige große Parabel über das Gelingen von Demokratie: Herriman erzählt uns wieder und wieder, dass Demokratie „kein ultraprogressiver Mythos einer superwohltätigen Wunschwelt“ ist, sondern der ständige Kampf zwischen Gesellschaft (Officer Pupp) und Individuum (Ignatz Mouse) im Angesicht eines Ideals (Krazy Kat). Und „das Ideal der Demokratie kann nur verwirklicht werden, wenn die Gesellschaft immer und überall darin scheitert, das Individuum zu unterdrücken.“ Darum muss der Kampf auch stets unentschieden ausgehen.
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© TASCHEN Sonntagsseiten
Wenn Ignatz gewinnt, würde Anarchie herrschen und wenn Pupp gewinnt, ein totalitärer Polizeistaat. Krazy als Demokratie-Ideal kann nur bestehen, wenn beide permanent um ihn kämpfen. Und das Beste an diesen Comics ist die Figur Krazy, der immer wieder den Tumult um ihn herum „in Liebe und Frieden verwandelt“. Kein Wunder, dass man sich nach den ersten Seiten einfach in diese Katze verlieben muss.
Die Ausgabe von TASCHEN
Man merkt in den eben zitierten Sätzen von Alexander Braun, dass KRAZY KAT kein Buch für Zwischendurch ist und das erkennt man beim Format dieser Ausgabe. Im bekannten XXL-Format – wir besprachen bereits DAS STAR WARS ARCHIV und THE STAN LEE STORY – von 30 x 44 cm, 632 Seiten und einem Schutz-Karton mit Tragegriff, will es auch gar nicht so nebenbei durchgeblättert werden. Vor allem die umfangreiche Einführung von Comic-Experten Alexander Braun fordert einen aufmerksamen und kunstinteressierten Leser. Das Layout ist auf hohem Publikationsniveau und hat einen angenehmen Museumscharakter. Es ist als ob man sich an einem verregneten Sonntag in eine Kunstausstellung zurückgezogen hätte und bei einer Tasse Kaffee über das Gesehene nachdenkt.
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Einsicht ins Buch © TASCHEN
Herzstück des Buchs sind die 492 Comics – pro Seite eine Geschichte – aus den Wochenendbeilagen amerikanischer Zeitungen, welche von 1935 bis 1944 entstanden sind. Schwer vorstellbar, dass damals Kinder auf die neuste Ausgabe lauerten, den KRAZY KAT fordert über einen ersten oberflächlichen Witz, die ganze Aufmerksamkeit und das Interpretationsverständnis seines Lesers. Die Illustrationen sind perfekt restauriert und gedruckt. Es wurde nicht zu viel glattgebügelt und einem wird stets bewusst eigentlich eine Tageszeitung zu betrachten. Besonders gelungen ist der Einband mit goldenem Titel und grober Stoff-Umrahmung, auf dem man keine Fingerabdrücke erkennen kann. So macht es viel Freude, das Buch auf dem Tisch liegen zu lassen, um jeden Tag eine neue Geschichte von Krazy, Ignatz, Pupp und den anderen Persönlichkeiten zu erleben.
Fazit
Es ist ein würdevolles Monument, was für George Herriman und seine Schöpfung im deutschen Sprachraum längst überfällig war. Für Quereinsteiger etwas sperrig, aber für Liebhaber gedruckter satirischer Kunst, einen Blick wert. Aber Vorsicht, diese Figuren wachsen einem ans Herz und Micky Mouse & Co. wirken danach wie eine eindimensionale Kopie.
- George Herrimans KRAZY KAT. Die kompletten Sonntagsseiten in Farbe von 1935-1944
- Autor der Einleitung: Alexander Braun
- ISBN 978-3-8365-7194-4
- Verlag: TASCHEN
- 632 Seiten, 30 x 44 cm im Karton mit Tragegriff
- 150 €, Bei Amazon bestellen
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter