„Der Königsmacher“
Wer hätte gedacht, dass die Wahl des Oberhaupts der römisch-katholischen Kirche der Stoff für einen topaktuellen Politkrimi bietet? Ein nahezu ausschließlich männlicher Cast im gehobenen Alter, der in der Isolation auf traditionelle Weise um die Rolle des Heiligen Vaters buhlt, das ist vom aktuellen Kinozeitgeist so weit entfernt wie die Kirche von einer transparenten Untersuchung ihrer Vergehen der letzten Jahrhunderte. Wer sich trotz hoher Skepsis gegenüber Religion oder der Institution Kirche, KONKLAVE ansieht, wird nicht nur mit einem spannenden Film belohnt, sondern dem wird auch vor Augen geführt, was eine demokratische Wahl eigentlich ausmachen sollte und wie schnell die Gier nach Macht zu unrechtmäßigem Handeln führt. Gewiss muss diese Wahl des nächsten Papstes nicht als Mustervorlage für eine freie demokratische Wahl herhalten, dafür ist diese Gruppe viel zu privilegiert. Aber KONKLAVE gewinnt an Bedeutung, wenn man das Geschehen als Spiegel für unsere immer weiter polarisierende Politik versteht. Macht kann gottesfürchtige, zur Demut ermahnte Kardinäle über ihre eigenen Gebote hinwegsehen lassen.
Handlung
Betretene Aufregung im Vatikan: Der Papst ist tot! Sofort wird ein Protokoll der römisch-katholischen Kirche abgespult. Räume werden versiegelt und Einladungen an alle Kardinäle weltweit versandt. Die Kirche darf nicht lang ohne Oberhaupt sein. Es muss schnellstens eine Wahl abgehalten werden, die sogenannte Konklave. Für Tränen ist jetzt keine Zeit. Als Dekan für dieses Verfahren wird Kardinal Lawrence (Ralph Fiennes) berufen. Seine Aufgabe ist es die christlichen Brüder in eine Isolation im Vatikan zu versammeln. Jegliche Informationen von außen dürfen den Wahlvorgang nicht beeinflussen. Die künftigen Oberhäupter sind schnell ausgemacht, wie der bekannte Kardinal Tremblay (John Lithgow), der liberale Kardinal Bellini (Stanley Tucci) oder der erz-traditionelle Kardinal Tedesco (Sergio Castellitto). Schnell stellt Lawrence fest, dass dies nicht nur eine Prüfung seines Glaubens, sondern auch eine Prüfung seiner Werte durch die Verantwortung und Macht darstellt. Auch er selbst könnte gewählt werden. Doch dann tauchen erste Intrigen innerhalb der Gottesdiener auf, der Posten auf Lebenszeit ist begehrt wie noch nie.
Rituale und Prozesse
Regisseur Edward Berger beginnt seinen Film mit etwas, was ich persönlich immer sehr schätze: Ruhe. Denn in den ersten Minuten wird kaum gesprochen. Der Papst ist verstorben, die Protokolle der Kirche nehmen ihren Lauf. Jeder weiß, was er zu tun hat, die Tragweite wird schnell durch das ehrfürchtige Treiben klar. Doch dann nimmt das Drehbuch diese Übermacht wieder auf eine menschliche Stufe. Tränen, Witze und Erinnerungen werden unter den Kardinälen ausgetauscht. Vor allem durch das Lästern von Bellini und Lawrence wird schnell klar, welche Rolle die anderen spielen werden und welcher Ruf ihnen vorauseilt.
Vorher noch ein Mensch, dann der Heilige Vater. Hier wird bereits der erste Gedankenanstoß gesetzt: Wie menschlich darf überhaupt der Papst sein? Und wie wichtig ist seine Vorgeschichte, als der bis dahin unbekannte Kardinal Benitez (Carlos Diehz) auftaucht. Dessen Existenz bisher aus Gründen seiner Sicherheit geheim gehalten wurde.
Frontenverhärtung
Immer weiter dringt KONKLAVE in die Beweggründe der potenziellen Amtsträger vor. Es stellen sich zwei konkurrierende Strömungen dar. Auf der einen Seite steht die traditionelle mit Abtreibungsverboten, rein männlicher Kardinäle und italo-nationalistischen Ansichten. Auf der anderen Seite stehen die liberalen Katholiken mit Themen wie gleichgeschlechtlicher Ehe, Öffnung des Zölibats und Toleranz gegenüber anderen Religionen. Kommen uns solche Fronten bekannt vor? Traditionell, rückgewandt und nationalistisch vs. gleichberechtigt, liberal und freiheitlich. So wie sich die Fronten in diesem Ränkespiel weiter verhärten, so werden in aktuellen politischen Wahlen ebenfalls Konfrontationen angeheizt. Bist du dagegen, dann gehörst du zu den anderen!
Eine Konzentration findet hier noch zusätzlich statt, da das Konklave in Isolation geführt wird und Informationen nur innerhalb der Gruppe geteilt werden. Das macht den Job von Kardinal Lawrence noch umso schwieriger, wenn er erkennen muss, dass manche Kollegen keine reine katholische Weste vorzuweisen haben. Und hier beginnt noch die nächste Diskussionsebene: Wie viel Macht besitzt der Wahlleiter? Er kann sie sogar selbst nutzen, um seine eigene Wahl voranzutreiben. Wer jetzt denkt KONKLAVE ist nur eine gut gemeinte Lehrstunde in Politikwissenschaften irrt sich, denn durch das Aufdecken immer weiterer Vergehen der Kandidaten baut das Drehbuch immer mehr Druck auf, der sich sogar am Ende im Gotteshaus explosiv entlädt.
Frauen haben bekanntlich in dieser Organisation wenig zu melden. Schweigend verrichten sie ihre Arbeit in der Küche oder organisieren den Haushalt. Schwester Agnes (Isabella Rossellini) fast sich in einer entscheidenden Situation doch ein Herz und erhebt ihre Stimme. Nach ihrer langen stummen Duldung sind ihre Worte umso wirkungsvoller.
Fazit
KONKLAVE ist trotz seiner strengen religiösen Thematik enorm spannend und unterhaltsam, auch dank der treibenden Filmmusik von Volker Bertelmann. Zusätzlich erhält das Publikum vor Augen geführt, wie schwer es ist, in der heutigen Zeit gesellschaftspolitische Themen demokratisch auszudiskutieren und wie Macht korrumpiert, selbst wenn man glaubt, damit Gutes zu tun. KONKLAVE stellt im Finale sogar einen Lösungsansatz zur Diskussion. Ob damit die Würdenträger leben können? Nur sie haben etwas zu verlieren.
Titel, Cast und Crew | Konklave (2024) OT: Conclave |
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Poster | |
Release | Kinostart: 21.11.2024 |
Regie | Edward Berger |
Trailer | |
Besetzung | Ralph Fiennes (Kardinal Lawrence) Stanley Tucci (Kardinal Bellini) John Lithgow (Kardinal Tremblay) Isabella Rossellini (Schwester Agnes) Carlos Diehz (Kardinal Benitez) Brían F. O’Byrne (Monsignor O’Malley) Lucian Msamati (Kardinal Adeyemi) Sergio Castellitto (Kardinal Tedesco) Jacek Koman (Erzbischof Wozniak) Merab Ninidze (Kardinal Sabbadin) Joseph Mydell (Nakitanda) Loris Loddi (Kardinal Villanueva) Thomas Loibl (Erzbischof Mandorff) Rony Kramer (Kardinal Mendoza) |
Drehbuch | Peter Straughan |
Vorlage | Nach dem gleichnamigen Roman von Robert Harris |
Kamera | Stéphane Fontaine |
Musik | Volker Bertelmann |
Schnitt | Nick Emerson |
Filmlänge | 120 Minuten |
FSK | ab 6 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter