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Kansas City (1996)

Kansas City (1996) – Filmkritik & Review zum Mediabook

„Mit Blondie und Carolyn durch die Nacht“

1934, mitten in Missouri: Die große Depression und die Prohibition der USA machen aus Kansas City ein Tollhaus. Politische Korruption, das organisierte Verbrechen und die Unterdrückung von Afroamerikanern verwandeln die Stadt in ein Pulverfass. Robert Altmann bringt in seinem maßgeschneiderten Ensemblefilm authentisch diese Zeit auf die Leinwand bzw. den TV zurück. Altman selbst hatte seine Jugendjahre in Kansas verbracht und war dort dem wilden, schrillen Treiben verfallen. Nicht der spannungsgeladenen und gewalttätigen Zeit, sondern der Musikrichtung, die dort erblühte: Dem Kansas-City-Jazz. Der aus dem Swing geborene Musikstil treibt diesen Film aus den 90er Jahren wie eine Dampflokomotive mit glühend-heißem Kessel vor sich her. Aber eigentlich geht es um die Liebe. Genau genommen zwei Arten von Liebe: die wahre Liebe, voll Naivität und die symbiotische, kalte Liebe mit gegenseitigem Nutzen. Diese Versionen verkörpern zwei Frauen, die nicht ungleicher sein können: Blondie O’Hara und Carolyn Stilton.

Kansas City (1996)
© Koch Films

Handlung

Blondie (Jennifer Jason Leigh) ist Hals über Kopf in ihren Johnny (Dermot Mulroney) verliebt. Beide sind glücklich miteinander verheiratet. Aber Johnny kann nicht die Finger vom schnellen Geld lassen und überfällt einen Profi-Würfelspieler kurz nach seiner Ankunft in der Stadt. Es dauert nicht lang bis der Besitzer des Hey Hey Clubs, Seldom Seen (Harry Belafonte) herausbekommt, wer seinen wichtigsten Kunden ausgeraubt hat. Seldom schickt seine Jungs los und nimmt Johnny in die Mangel. Als Blondie davon erfährt, will sie ihn freikaufen, aber darauf lässt sich der Gangsterboss nicht ein. Blondie entführt kurzerhand die Ehefrau, Carolyn Stilton (Miranda Richardson), eines einflussreichen Politikers von Kansas City. Mr. Stilton, mit Verbindungen bis zum Präsidenten, soll seine Beziehungen spielen lassen und Johnny befreien. Die Opiumsucht von Carolyn wird aber nicht Blondies einziges Problem bleiben, in einer Stadt an dem wichtigsten Wahltag ihrer Geschichte.

Kansas City (1996)
© Koch Films

Schicksale und kein Geschichtsunterricht

Robert Altmans Werke bezeichnet man als Ensemble-Filme, was vielleicht etwas staubig und versteift klingen mag. Es sind künstlerische Arbeiten, die von der Besetzung leben, wie GOSFORD PARK oder THE PLAYER. Aber sie sind weit entfernt von überdrehten Darbietungen von Pappmaché-Kulissen. Sie finden in einer realen Welt statt, was zum einen an dem authentischen Drehbuch liegt und zum anderen an den Kulissen und Requisiten. Letzere wurden bei KANSAS CITY von Altmans‘ Sohn verantwortet, Stephen Altman. Das realistische Drehbuch ist den Kindheitserinnerungen Altmans zu verdanken, der die Stadt in dieser Epoche wie seine Westentasche kannte und Stadtlegenden sowie Nachrichten aus dieser Zeit ebenfalls in die Handlung einbrachte. Da gibt es den organisierten Wahlbetrüger von den Demokraten in Form von Johnny Flynn (Steve Buscemi) oder den jungen Charlie Parker (Albert J. Burnes). Dies sind nur Randnotizen, wie auch der ganze politische Aufruhr in der Stadt, denn hier geht es um zwei Ladys.

Kansas City (1996)
© 1996 New Line Cinema. All rights reserved.

Thelma & Louise oder Bonnie & Clyde

Jennifer Jason Leigh verkörpert Blondie durch und durch. Das freche Mundwerk, die naive Einstellung, das Temperament und ihr Herz, das sie auf dem Silbertablett trägt, treiben auch KANSAS CITY voran. Wer mit ihr wenig anfangen kann, wird es über die zwei Stunden Filmzeit schwer haben. Die obere Klasse eingehüllt in Reichtum und oberflächliche Gespräche zeigt Miranda Richardson mit ihrer Carolyn.

Kansas City (1996)
© 1996 New Line Cinema. All rights reserved.

Um ihrem Lebensstil über den Wolken noch einen draufzusetzen, ist sie stark opiumabhängig und wird gefügsam von Blondie durch die Stadt gezerrt. Sie bekommt eine Stadtführung der besonderen Art: durch dreckige Kneipen, große Wartehallen oder auch mal zum Schusswechsel um die Ecke. Blondie erzählt Carolyn alle ihre Gedanken, aber sie schweigt und stellt höchstens unbequeme Fragen, die ihren Status noch mehr herausstreichen. Man wünscht sich, dass beide Freundinnen werden und wie Thelma und Louise die Staaten aufmischen. Aber dieser Moment verfliegt wie die Hoffnung auf eine freie politische Entscheidung in einer Stadt der Gegensätze. Die Ladys lieben ihre Männer auf unterschiedliche Weise und das sagt auch das drastische, aber nachvollziehbare Ende aus.

Kansas City (1996)
© Koch Films

Film im Film

Eine interessante Szene möchte nur kurz dem Filmnerd noch ans Herz gelegt werden: Blondie versteckt sich zusammen mit Carolyn im Kino. Sie sehen eine Vorstellung des Films HOLD YOUR MAN von 1933 mit Clarke Gable und Jean Harlow in den Hauptrollen. Der Titel könnte nicht passender die Motivation von Blondie beschreiben. Ab diesem Moment beginnt sie sich Carolyn gegenüber zu öffnen und von ihrem Idol Jean Harlow zu schwärmen. Wie viel Carolyn im Opiumrausch davon mitbekommt sei dahingestellt. Jean Harlow galt in den 30ern als der Hollywood Prototyp der blonden Sexbombe. Die Handlung ihrer Filme zeichnete stets, trotz Hang zum kriminellen Herzblatt, ein Happy End aus.

Kansas City (1996)
© 1996 New Line Cinema. All rights reserved.

Jazz und die Erwartung

KANSAS CITY ist auch ein Musikfilm. Immer wieder wechselt die Handlung in den nicht ruhen wollenden Hey Hey Club, wo sich namenhafte Jazzgrößen ein Improvisation-Battle nach dem anderen liefern. Auch wenn Belafontes kokaingeschwängerte Monologe mit der Zeit nerven – seine Untertanen und den gefangenen Johnny wohl auch – ist die Musik der heimliche Star im Film mit Größen wie: James Carter, Craig Handy, David Murray, Joshua Redman, David Fathead Newman, Jesse Davis, Don Byron, Curtis Fowlkes, Clark Gayton, Victor Lewis, Geri Allen, Cyrus Chestnut und Ron Carter. Jeder verkörpert durch seinen Auftritt einen Musiker aus jener Zeit wie zum Beispiel Coleman Hawkins, Herschel Evans oder Leser Willis Young. Da kommt perfektes Zeitreise-Feeling auf. Das macht KANSAS CITY auch für Jazz-Enthusiasten interessant und neugierig auf Altmans Dokumentarfilm JAZZ 34 (1997).

Kansas City (1996)
© Koch Films

Das Mediabook

Kansas City (1996) Mediabook
Das Mediabook © Koch Films

Schön, dass Koch Films auch einmal abseits ihrer Horror- und Actionfilme mit KANSAS CITY Filmgeschichte würdig neu auflegt. Das HD-Bild ist perfekt restauriert und auch die deutsche Synchronisation wurde fein aufpoliert. Bei solch musik-lastigen Filmen sind die Liveauftritte oft zu laut und lassen die Dialoge im Hintergrund verschwinden. Aber hier ist davon nichts zu hören. Die Originaltonspur in Englisch ist ebenfalls enthalten. Die Extras sind leider kaum einen Blick wert. Bei deren Gesamtlaufzeit von unter einer Stunde, kann man gerade einmal die Interviews mit Altman und Leigh empfehlen. Der Rest bringt keinen Mehrwert. Hier wäre besagte Doku JAZZ `34 auf einer Extra-Disc jedem Filmfan sicher noch ein paar Euro mehr wert gewesen. Gleiches gilt auch für den aufheizenden Soundtrack, welcher ebenfalls fehlt. Man will nicht klagen, es hat lang gedauert bis dieser nicht gerade beliebte Altman-Film auf Blu-ray sein Release in Deutschland gefunden hat. Das Cover ist ebenfalls schön gelungen, leider in meine Augen etwas abseits der Hauptcharaktere im Film. Wo ist denn bitte Carolyn? Aber der Verweis auf Jean-Harlow-Filme und den Film Noir ist sehr gut gelungen.

Kansas City (1996)
© 1996 New Line Cinema. All rights reserved.

Fazit

Die Skepsis gegenüber KANSAS CITY ist völlig unbegründet. Der Film lässt einen tief in das Leben einer Stadt eintauchen, die so unter Spannung steht, dass man auch als Zuschauer stets auf der Hut ist. Für Fans von Jazz, Film Noir und Robert Altman eine dringende Empfehlung, sowie das Mediabook von Koch Films.

Titel, Cast und CrewKansas City (1996)
Poster
Releaseab dem 13.06.2019 im Mediabook (1 Blu-ray & 1 DVD)
Bei Amazon bestellen:
RegisseurRobert Altman
Trailer
BesetzungJennifer Jason Leigh (Blondie O'Hara)
Miranda Richardson (Carolyn Stilton)
Harry Belafonte (Seldom Seen)
Michael Murphy (Henry Stilton)
Dermot Mulroney (Johnny O'Hara)
Steve Buscemi (Johnny Flynn)
DrehbuchRobert Altman
Frank Barhydt
KameraOliver Stapleton
SchnittGeraldine Peroni
Filmlänge116 Minuten
FSKab 12 Jahren

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