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Juror #2 (2024) – Filmkritik

„Filmische Schuld“

Das amerikanische Gerichtsdrama ist ein fester Bestandteil der Filmgeschichte und entzieht sich typischen Trends. „Immer wieder erscheinen spannende Gerichtsfälle, die nicht nur im Saal gelöst werden, sondern auch unser Verständnis von Gerechtigkeit hinterfragen. Außerdem kann man gerade in diesem engen Rahmen ausgezeichnet erkennen, wie die Gesellschaft zum Produktionszeitpunkt tickt. Große Klassiker wie DIE ZWÖLF GESCHWORENEN (1957) und WER DIE NACHTIGALL STÖRT (1962) verdienen hier besondere Erwähnung. Beide Filme zeichnen sich dadurch aus, dass sich eine Person im Rechtsprozess gegen Stimmung, Beweisführung und Vorurteile stemmt. Vor Justitia soll schließlich jeder gleichbehandelt werden und ganz nebenbei bekommt man eine famose Underdog-Story. Über die Jahrzehnte hinweg entzieht sich jedoch die finale Rechtsprechung im Film. Es scheint gar nicht mehr so leicht zu sein, ein Urteil objektiv zu fällen – was zuletzt in DIE ANATOMIE EINES FALLS (2023) bewusst unkonkret seziert wurde. JUROR #2 umgeht diesen ganzen filmhistorischen Überbau geschickt. Der 41. Spielfilm von Clint Eastwood reiht sich in seine jahrzehntelange Arbeit aus cineastischem Pragmatismus ein. Getreu dem Motto „Weniger ist mehr“ steht die Handlung vielleicht noch DIE ZWÖLF GESCHWORENEN am nächsten und erinnert an die Romane von John Grisham.

Photo Credit: Claire Folger © 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Handlung

Der liebevolle, junge Familienvater Justin Kemp (Nicholas Hoult) wird als Geschworener geladen. Er hofft aufgrund der frischen Familiensituation und dank des kleinstädtischen Verständnisses als Juror nicht in Frage zu kommen und aussortiert zu werden. Jedoch haben Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette) und Verteidiger Eric Resnick (Chris Messina) keine Bedenken in Bezug auf Befangenheit zum Mordfall und die Richterin verspricht familienfreundliche Arbeitszeiten. Der Prozess verhandelt die Schuld von James Michael Sythe (Gabriel Basso) seine Freundin nach einem Streit ermordet zu haben. Als die Anwälte ihr Auftaktplädoyer halten, wird Justin klar, dass er vor ein paar Monaten zum Zeitpunkt des Mordes in der Bar war, in der das Opfer und der Mordverdächtige zuletzt gesehen wurden. Justin ist Alkoholiker und scheint an diesem Abend einen Rückfall gehabt zu haben und fährt in jener verregneten Nacht auf dem Weg nach Hause etwas auf der Straße an, das später nicht auffindbar war. Vielleicht war es kein Wildunfall, sondern könnte es das Opfer Kendall Carter (Francesca Eastwood) gewesen sein?

Photo Credit: Claire Folger © 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Schlechtes Gewissen

Das Drehbuch von Jonathan Abrams wurde 15 Jahren in Hollywood herumgereicht. Clint Eastwood wollte seiner Karriere nach CRY MATCHO (2021) einen Schlusspunkt setzen und gelangte in seine Hände. Warum er sich für JUROR #2 entschieden hat, lässt sich nicht so schnell klären, aber Eastwood weiß, wie es ist, schnell von der öffentlichen Meinung ein gewisses Bild anerzählt zu bekommen. Gegen und mit diesem hat Eastwood über seine ganze Karriere hinweg gespielt und es immer wieder in seinen Filmen ausdiskutiert. Mal war es ein eiskalter Revolverschütze, mal war es ein amerikanischer Held, der fallengelassen wurde. Dennoch muss ihn etwas an der Geschichte gereizt haben.

Photo Credit: Claire Folger © 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

JUROR #2 zeigt, wie schwer es sein kann, das Richtige zu tun, Fehler einzugestehen und vielleicht sogar dadurch seine Familie mit ins Unglück zu stürzen. Fast jeder würde versuchen eine Abkürzung zu nehmen oder Milde zu erhalten, aber je länger die Schuld an einem nagt, umso schwieriger wird es sie loszuwerden. Diese Filmvariation von einem „schlechten Gewissen“ funktioniert nicht immer in der Realität und ist schon gar nicht für jeden Menschen geeignet. Gewissen setzt Empathie für Mitmenschen voraus, und darüber verfügt nicht jeder. Als Filmstoff jedoch taugt diese Art von schlechtem Gewissen durchaus.

Photo Credit: Claire Folger © 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Simple, aber gut

Man kann den Anfang als etwas zu konstruiert ansehen. Warum ausgerechnet alle in der Jury davon überzeugt sind, dass der Angeklagte der Mörder ist und ausgerechnet derjenige, der vielleicht wirklich für den Tod verantwortlich ist, in die Opposition geht, klingt eher wie ein gutes Romanexposé als ein realitätsnaher Fall. Neben dem Prozess und der Verunsicherung, des offensichtlich überperfekten Vaters, ist die Zusammenstellung der Jury spannend. Aus Unbekannten werden Bekannte. Schnell wird klar, was jede und jeder in eine solche Urteilsbildung mit hineinbringt. Vielleicht ein fast zu perfekter demografischer Querschnitt der amerikanischen Bewohnerinnen und Bewohner des Bundesstaates Georgia. Ex-Cops, Opfer von Bandenkriminalität und schlechte Bildung bringen ausreichend Zündstoff in die Diskussion. Aus dem verantwortungslosen „Lasst uns ihn schuldig sprechen und dann nach Hause gehen“ wird eine durchaus investigative Untersuchung, die die Polizei oder Justiz nicht zu leisten vermochte. Jedoch wird ebenfalls klar: Vorurteile und medial erzeugte Meinungen finden hier enormen Einfluss in der Rechtsprechung durch eine Jury.

Photo Credit: Claire Folger © 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Hin und wieder finden auch kritische Anmerkungen auf den Nebenwegen statt. Inwiefern sollte eine Staatsanwältin im Wahlkampf noch einen Prozess führen dürfen? Vielleicht beeinflusst sie das Urteil in eine Richtung, die medial am besten aufgenommen wird? Toni Collette spielt neben dem unerwartet artigen J.K. Simmons den Hauptdarsteller Nicholas Hoult regelrecht an die Wand. Das wirkt sich aber nicht schädlich auf die Hauptfigur aus, denn die ist nun einmal naiv und etwas unbedarft mit ihrer Situation. Was toll ist, ist, dass bis zum Ende nicht geklärt wird, ob Justin an dem entscheidenden Abend Alkohol getrunken hat oder nicht. Mit dieser Andeutung gegenüber einem Alkoholiker bekommt das Publikum zum Thema Vorurteile den Spiegel vorgehalten. Jedoch muss man hier auch anmerken, dass die Alkoholsucht ein sehr konstruiertes Vehikel des Drehbuchs ist. Man erfährt weder, warum Justin Alkoholiker geworden ist, noch wie es seine Persönlichkeit veränderte. Alkohol scheint hier die etwas zu leichte Entschuldigung für ein moralisch fragwürdiges Verhalten darzustellen.

Photo Credit: Claire Folger © 2024 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.

Fazit

Durch die für Eastwood typische minimalistische Inszenierung treten in JUROR #2 auch jede Menge Schwächen in der Konstruktion der Handlung zutage. Dennoch kann man sich durch das ruhige Erzähltempo zurücklehnen und der Frage nachgehen, ob dieses juristische System überhaupt demokratisch ist und welche Schwächen es durch unsere meinungsintensive Medienwelt erhält. „Ein solider Schlusspunkt in der herausragenden Karriere eines Künstlers, der nie zu eitel war, sich selbst infrage zu stellen.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewJuror #2 (2024)
Poster
ReleaseKinostart: 16.01.2025
RegieClint Eastwood
Trailer
BesetzungNicholas Hoult (Justin Kemp)
Toni Collette (Faith Killebrew)
Zoey Deutch (Allison „Ally“ Crewson)
Kiefer Sutherland (Larry Lasker)
Gabriel Basso (James Michael Sythe)
Francesca Eastwood (Kendall Carter)
Leslie Bibb (Denice Aldworth)
Chris Messina (Eric Resnick)
J. K. Simmons (Harold)
Amy Aquino (Richterin Thelma Hollub)
Adrienne C. Moore (Yolanda)
DrehbuchJonathan Abrams
KameraYves Bélanger
MusikMark Mancina
SchnittJoel Cox
David Cox
Filmlänge114 Minuten
FSKab 12 Jahren

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