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Julias unheimliche Wiederkehr (1977) – Filmkritik

JULIAS UNHEIMLICHE WIEDERKEHR (Full Circle, 1977) ist eine werkgetreue Adaption des Romans JULIA von Peter Straub (1975).[1] Wie die Vorlage ist auch die Verfilmung deutlich inspiriert von Henry James’ klassischer Schauergeschichte THE TURN OF THE SCREW (1898): Gibt es wirklich übernatürliche Phänomene oder finden diese ausschließlich in der Einbildung der Hauptprotagonistin statt?

Handlung

Nach dem tragischen Tod der gemeinsamen Tochter Kate (Sophie Ward) trennt sich Julia Lofting (Mia Farrow) von ihrem beruflich erfolgreichen, aber in der Beziehung dominanten Ehemann Magnus (Keir Dullea). Sie bezieht ein einsames Haus und isoliert sich immer mehr. Bei einem Spaziergang in einem herbstlichen Park beobachtet sie von hinten ein blondes Mädchen, das sie für Kate hält. Auch in ihrem Haus kommt es zu merkwürdigen Vorfällen. Auf Initiative ihrer Schwägerin (Jill Bennett) findet dort eine Séance statt. Eine Frau verletzt sich dabei schwer, und das Medium (Anna Wing) verfällt in einen apathischen Zustand. Später berichtet die ältere Frau von einem Jungen, der in einem Park ermordet wurde. Julia stellt in einem Archiv Nachforschungen an und stößt tatsächlich auf einen Jahrzehnte zurückliegenden Fall, der zu der Beschreibung passt. Die Mutter des Jungen, Greta Braden (Mary Morris), erzählt, es habe damals eine Verurteilung gegeben, in Wahrheit aber hätten Kinder ihren Sohn getötet. Die meisten Beteiligten außer zwei Männer, Paul Winter (Edward Hardwicke) und David Swift (Robin Gammell), seien zwischenzeitlich aber selbst verstorben. Von dem verwahrlost wirkenden Swift erfährt Julia, die Haupttäterin sei Olivia Rudge gewesen, die damals in dem Haus lebte, das Julia heute bewohnt. Olivia hätte einen unheimlichen Einfluss auf die weiteren Kinder gehabt und sie gezwungen, Tiere zu töten. An der Leiche des Jungen habe sich Olivia auch sexuell vergangen. Ein wohnsitzloser Mann wurde damals unschuldig hingerichtet. In Julias Umfeld kommt es zwischenzeitlich zu mehreren merkwürdigen Todesfällen. Sie sucht Olivias Mutter Heather Rudge (Cathleen Nesbitt) in einer psychiatrischen Anstalt auf. Diese sagt zu ihr, Julia hätte Kate getötet, so wie sie einst die eigene Tochter getötet habe.

Interpretation

JULIAS UNHEIMLICHE WIEDERKEHR ist das Erstlingswerk von relativ jungen Künstlern – der Regisseur Richard Loncraine, der Drehbuchautor Harry Bromley Davenport (der später durch die X-Tro-Trilogie bekannt wurde) oder der Komponist des melancholisch-unheimlichen Soundtracks, Colin Towns, waren zum Entstehungszeitpunkt knapp 30 Jahre alt. Dennoch ist der Film in den Hauptrollen hochkarätig besetzt. Mia Farrow war bekannt aus ROSEMARY’S BABY (1968, Regie: Roman Polanski), in dem ebenfalls ein unheimliches Gebäude eine wichtige Rolle spielt und Keir Dullea verkörperte den Astronauten Dave Bowman in 2001 – ODYSSEE IM WELTRAUM (1968, Regie: Stanley Kubrick) und die Titelrolle in DAS AUSSCHWEIFENDE LEBEN DES MARQUIS DE SADE (De Sade, 1969, Regie: Cy Endfield). De Sades Philosophie wird auch oberflächlich betrachtet in JULIAS UNHEIMLICHE WIEDERKEHR zitiert. Heather Rudge beschreibt ihre Tochter als „das Böse, das man nicht loswerden könne“. Deren Taten sind vermutlich aus purer Grausamkeit und der Freude daran, andere zu quälen und zu demütigen begangen worden.

Die Handlung selbst hat einerseits Ähnlichkeiten mit Horror-Klassikern wie WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN (Don’t Look Now, 1973, Regie: Nicolas Roeg) und AUDREY ROSE – DAS MÄDCHEN AUS DEM JENSEITS (Audrey Rose, 1977, Regie: Robert Wise), während einzelne Elemente – bei einer Séance wird versucht, zum Geist eines ermordeten Kindes Kontakt aufzunehmen – bereits auf spätere Geisterhaus-Filme wie den heute wesentlich bekannteren DAS GRAUEN (The Changeling, 1980, Regie: Peter Medak) hindeuten. Nicht nur das Gebäude wirkt bedrohlich, sondern auch Gegenstände wie ein mit Schellen schlagender Clown, den Kate als Spielzeug besaß.

Wie der Roman bietet der Film zunächst drei mögliche Erklärungsansätze:

1. Julia ist psychisch krank. So wird sie auch von verschiedenen Personen wahrgenommen, etwa als sie auf einem Spielplatz glaubt, Kate zu sehen und im nächsten Moment von einer erschrockenen Mutter aufgefordert wird, zu verschwinden, weil sie ein Messer und eine verstümmelte Schildkröte in der Hand hält. Die Schulkinder im Park wirken wie aus einer anderen Zeit und scheinen Julia nicht wahrzunehmen, während die Geisterbeschwörung und die Teilnehmenden deutlich skurril gezeichnet werden.

2. Reale Personen sind für die Vorgänge verantwortlich. Gerade Magnus wird selbst mit sadistischen Zügen gezeigt, der seine Ehefrau einem Nachbarn gegenüber als sein Eigentum bezeichnet und ihm gegenüber gewalttätig wird, bevor er in Julias Haus einbricht.[2] Könnte Greta die Urheberin sein oder sogar Julia selbst? Am Ende des Films spricht Julia mit Olivias Geist, sie habe alles erledigt. Zumindest Marks (Tom Conti) Tod könnte von Julia verschuldet worden sein.

3. Tatsächlich wirken übernatürliche Kräfte. Anders als der Roman ist der Film aber nicht eindeutig. Er endet mit einer unheimlichen Szene, das Schlussbild scheint wie bei einem Gemälde zu versteinern, bevor der Abspann läuft.

Fazit

Der heute zu Unrecht fast völlig vergessene Film ist atmosphärisch dicht gehalten, was nicht zuletzt durch den düsteren Soundtrack gelingt. Themen wie grausames Verhalten von Kindern, problematische Beziehungen und soziale Ungleichheit sind eingebettet in eine mysteriöse, zum Nachdenken anregende Geschichte, die nicht alle Fragen abschließend beantwortet.

© Stefan Preis

Verwendete Literatur:

  • Joshi, S. T. (2001): Moderne Horrorautoren. Essays. Band 2. Almersbach: Festa Verlag.
  • Straub, Peter (1986): Julia. Ein unheimlicher Roman. München: Heyne Verlag.

Quellen:

[1] Straub (1943-2022) war damals noch ein relativ unbekannter Autor. Erst sein Buch GHOST STORY (1979, von John Irving verfilmt unter dem gleichen Titel 1981) erlangte Bestellerstatus.

[2] Keir Dullea verkörperte bereits in BUNNY LAKE IST VERSCHWUNDEN (Bunny Lake is Missing, 1965, Regie: Otto Preminger) einen psychisch labilen Straftäter, der nach außen völlig unauffällig wirkt.

 

Titel, Cast und CrewJulias unheimliche Wiederkehr (1977)
OT: Full Circle
Poster
ReleasePremiere: 11.09.1977
RegieRichard Loncraine
Trailer
Imprint Trailer Blu-ray-Edition
BesetzungMia Farrow (Julia Lofting)
Keir Dullea (Magnus Lofting)
Tom Conti (Mark Berkeley)
Jill Bennett (Lily Lofting)
Robin Gammell (David Swift)
Cathleen Nesbitt (Heather Rudge)
Anna Wing (Rosa Flood)
Edward Hardwicke (Captain Paul Winter)
Mary Morris (Greta Braden)
Pauline Jameson (Claudia Branscombe)
Arthur Howard (Piggott)
Peter Sallis (Jeffrey Branscombe)
Sophie Ward (Kate Lofting)
DrehbuchHarry Bromley Davenport
MusikColin Towns
KameraPeter Hannan
SchnittRon Wisman
Filmlänge98 Minuten
FSKab 16 Jahren

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