„Vom Maler zum Regisseur“
Kino ist immer schon eine Spielwiese für viele Kunstformen gewesen: Musik in Form von Filmmusik, der Filmschnitt als eine Art Rhythmuskunst wie beim Tanz, die Schauspieler als Akteure aus dem Theater oder die Kamera mit ihren Ursprüngen in der Fotografie. Julian Schnabel ist in der Kunstszene als Workaholic bekannt, der viele Kunstarten benutzt und mit ihnen arbeitet. Es war nur eine Frage der Zeit bis er das Kino für sich entdeckte. Seine bisher besten Filme sind SCHMETTERLING UND TAUCHERGLOCKE (2007) und BEVOR ES NACHT WIRD (2000). Durch diese beiden, vor allem visuell beeindruckenden Arbeiten, ist der Name Julian Schnabel in meinen Aufmerksamkeitsbereich gerückt. Richtig interessant wird das kreative Allroundtalent aber erst durch seine Persönlichkeit, wie die Dokumentation JULIAN SCHNABEL: A PRIVAT PORTRAIT von Pappi Corsicato zeigt.

Julian Schnabel ist ein Künstler, wie man ihn sich vorstellt, ein Lebemann mit vielen Frauen, einer großen Familie und vielen Wohnungen rund um die Welt verteilt. Freunde und Familie beschreiben ihn in ihren Gesprächen als jemanden, der nicht anders kann als kreativ zu arbeiten. Schnabel hatte das Glück und traf mit seinen großformatigen Werken in der New Yorker Kunstszene der 80er-Jahre genau den Zahn der Zeit. Er traf den richtigen Galleristen, der seine Arbeiten ausstellte und konnte Andy Warhol seinen Freund nennen. So begann für ihn ein aufregendes Leben mit allen Exzessen und Annehmlichkeiten.

Eine Nacherzählung von skandalträchtigen Geschichten aus dieser Zeit ist JULIAN SCHNABEL: A PRIVAT PORTRAIT aber nicht. Die Dokumentation ist in dieser Hinsicht auch viel zu brav und hält sich an die üblichen Strukturen, die eine Film-Biografie kennzeichnen. Dadurch hat man die Möglichkeit genauer hinzusehen, die vielen alten Fotografien zu deuten und die Gespräche mit den Ex-Frauen und Kindern Schnabels zu ergründen. Das Ergebnis dieser Betrachtung ist das Bild eines Mannes, der sich vor allem auf die eigenen kreativen Produkte fokussiert und dessen Beziehungen dadurch auf der Strecke bleiben. Vielleicht konnte er sich deswegen auch so gut in die oberflächliche Welt der Prominenz einfügen.

Die medialen Bilder von Julian Schnabel
Julian Schnabel wirkt ein bisschen wie Jack Nicholson in den 90er Jahren. Gut genährt mit getönter Brille grübelt er im Schlafanzug über die Welt nach. Selbst musste er auch schon als Parodie herhalten wie zuletzt von Dominic West in THE SQUARE (2017) verkörpert. Worin die Dokumentation sich dann doch von den üblichen Künstlerportraits absetzt, ist die Ehrlichkeit mit der Schnabel über seine Kunst redet, was sie für ihn bedeutet und woraus sie entstanden ist. Viele bildende Künstler dagegen verraten ihre Zaubertricks nicht so gern. Die Erläuterungen zu seinen Gemälden führen den Zuschauer direkt zu seinen Filmen und erklären die Wechselwirkung mit der malerischen Arbeit. Viele berühmte Regisseure sind ebenfalls in anderen Kunstformen unterwegs: Clint Eastwood und Woody Allen sind dem Jazz verfallen; Takeshi Kitano und Akira Kurosawa malen farbenfrohe Gemälde und Dennis Hopper, Stanley Kubrick und Wim Wenders hat es immer wieder zur Fotografie getrieben.

Julian Schnabel drehte nach sieben Jahren Pause wieder einen Film: AT ETERNITY’S GATE ist ein Blick in die Zeit von Vincent van Gogh im französischen Arles. Oscar Issac spielt Paul Gaugin und Willem Dafoe gibt Vincent van Gogh. Ob es so beeindruckend ist wie LOVING VINCENT (2017) ist Geschmackssache. Wenn man jemanden mit visuellem Gespür und kreativem Können im Kino Vertrauen schenken darf, dann Julian Schnabel.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter