„La Rédemption“
Es war doch eine Überraschung, dass nach JOKER (2019) eine Fortsetzung angekündigt wurde. Klar wollte man Geld an den Kinokassen verdienen, aber inhaltlich war es schwer vorstellbar, wie es mit Arthur Fleck weitergehen sollte. Umso unerwarteter war die Ankündigung, dass es sich bei JOKER: FOLIE À DEUX um ein Musical handelt. Der Plot soll sich auf das Zusammentreffen von Joker mit seiner irrsinnigen Liebsten Harley Quinn konzentrieren. Beim Thema Musik traf die Besetzungsentscheidung auf die erfolgreiche Musikerin, die selbst das Wort „verrückt“ im Namen trägt und seit ein paar Jahren auch eine erfolgreiche Schauspielerin ist: Lady Gaga. Jetzt stellt sich aber die Frage, was kann eine Fortsetzung, des wohl am meisten interpretierten Comic-Bösewichts an neuen Facetten darstellen. Musik ist schon immer die direkteste Art Gefühle auszudrücken, aber wie verhält es sich bei geisteskranken Mördern? Hier setzt JOKER: FOLIE À DEUX an und führt uns vor Augen, dass auch gefährliche Psychopathen ein Recht auf Liebe, Trauer und Hoffnung haben.
Handlung
Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) sitzt seit zwei Jahren im Gothams Hochsicherheitstrakt für Geisteskranke: Arkham Asylum. Seine Gerichtverhandlung beginnt in wenigen Tagen. Anklage: Fünffacher Mord, davon einer im Live-TV. Seine Anwältin Maryanne Stewart (Catherine Keener) versucht auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren, weil Fleck sich seinen Körper mit einer anderen Persönlichkeit namens Joker teilen soll. Doch außerhalb der Gefängnismauern ist Arthur als Joker bereits ein mediales Phänomen, Idol, Buch-Bestseller und eine erfolgreiche TV-Verfilmung. Die Wärter von Arkham Asylum, angeführt von Jackie Sullivan (Brendan Gleeson), sorgen aber dafür, dass Arthur weiterhin klein gehalten wird. Doch dann trifft er auf die Pyromanin Harleen „Lee“ Quinzel (Lady Gaga), in die er sich sofort verliebt. Ist sie auch in ihn verliebt oder begehrt sie nur den Joker?
Die Kräfte
Keine Minute vergeht ohne Joaquin Phoenix und seine Rolle des Arthur Fleck. In jeder Mimik und Gestik versuchen wir zu erkennen, was in ihm vorgeht. Zu Beginn herrscht jedoch nur Depression. Zigaretten scheinen ihn gerade noch am Leben zu halten und seine brutale Umgebung zeigt keinerlei Zukunft. Doch schon früh spielt die Inszenierung mit der Wahrnehmung. Aus schwarzen Regenschirmen werden bunte. Was ist real und was ist Illusion? Bei Lee ist man sich auch nie sicher, ob sie wirklich existiert oder nicht. Doch dann beginnt sie mit der Umgebung zu interagieren, setzt Arthur unter Druck, taucht aber an Orten auf, an denen es eigentlich unmöglich scheint.
Regisseur Todd Phillips und Phoenix gelingt es eine Charakterstudie zu inszenieren, die sich nie lang fassen und bestimmen lässt. Da ist ein kleines Lächeln im Mundwinkel. Ist das der Joker? Aber auch die gestörte einsame Person durch das lebenslange Mobbing ist nuanciert zu erkennen, aber nie offensichtlich. Schnell wird klar, dass Arthur keinerlei Kontrolle über sein Leben hat, nicht einmal, als er sich beginnt selber zu verteidigen. Die Medien triggern das, was für Einschaltquoten sorgt, Lee will den Joker für sich und die Justiz will ein emotionsloses Verfahren mit Todesstrafe als Urteil. Das Gericht ist schließlich kein Zirkus! Aber belohnt nicht schon immer das amerikanische Rechtssystem die besten und reichsten Showmaster?
Dieses Ringen um eine Figur ist eine interessante Weiterführung zur Entstehung eines Bösewichts, aber dem Publikum werden auch die Handschellen angelegt. Wenn der Protagonist wenig Freiheiten hat, gelingt die Immersion kaum und im Mittelteil ist JOKER: FOLIE À DEUX, trotz starker Songs und broadwayesker Darbietungen, oberflächlich und langatmig. Im Nachhinein muss gezielt überlegt oder diskutiert werden, wer jetzt eigentlich den Joker am meisten wollte. Lee? Seine „Fans“? Die Medien? Das Gericht mit Staatsanwalt Harvey Dent, gespielt von Harry Lawtey? Und gerade bei der bekannten Comicfigur Harvey Dent (der spätere Two Face in Filmen und Comic) wird deutlich, wie wenig sich das Drehbuch um seine Nebenfiguren kümmert. Eindimensional, vorhersehbar und handlungsorientiert agieren sie durch dieses düstere Musical. Einzig Leigh Gill als Gary Puddles stielt dem Star kurz die Show.
Musik und die Filmreihe
Musikerin Hildur Guðnadóttir ist wieder für den Filmmusik verantwortlich. Ihre schwermütigen Cellokompositionen verleihen JOKER: FOLIE À DEUX die Tiefe, welche das Drehbuch nicht zu vermitteln weiß. Der Film bringt 15 Musical-Nummern, die meisten existieren bereits und werden lediglich neuinterpretiert. Lady Gaga ließ es sich nicht nehmen zeitgleich mit dem Kinostart ein „Companion Album“ zu veröffentlichen, nämlich „Harlequin“.
Dank der teilweise im IMAX-Format gefilmten Szenen muss man unweigerlich an die Batman-Trilogie von Christopher Nolan denken. Kameramann Lawrence Sher nutzte nach JOKER erneut die digitale ARRI ALEXA 65 mit Bildverhältnissen von 1,43:1 und 1,90:1. Also nicht wundern, wenn je nach Kinoleinwand schwarze Balken oben und unten bzw. links und rechts auftauchen. Die Details sind wunderbar herausgearbeitet und jedes Bild lebt förmlich, auch dank der dunklen Szenen, die cineastische Ästhetik. Da kann Apple noch so viel Kinomodus in ihre iPhones programmieren, das hier ist die Oberliga. Wenn sich ein IMAX-Kinosaal in der Nähe befindet, sollte man nicht zögern und hingehen.
Auch wenn sich JOKER: FOLIE À DEUX permanent dem Batman-Franchise entzieht, muss es sich am Ende dennoch der Option auf Weiterführung beugen. Der Joker war bereits vieles: manischer Komiker, blasser Prolet und genialer Systemsprenger. Aber dieser Arthur Fleck ist sicherlich der menschlichste von allen und gerade deswegen ist dieses Ende unausweichlich.
Fazit
Auch JOKER: FOLIE À DEUX ist kein Film über den Joker, sondern ein Drama über Arthur Fleck. Die Fortsetzung als Musical ist eine gewagte Idee, verliert aber ihre Kraft durch die machtlose Hauptfigur. Dennoch ist es ein Abschluss und das ist heutzutage etwas, was bei Comicverfilmungen mehr Mut erfordert als man vermuten mag.
Titel, Cast und Crew | Joker: Folie à Deux (2024) |
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Poster | |
Release | Kinostart: 03.10.2024 |
Regie | Todd Phillips |
Trailer | |
Besetzung | Joaquin Phoenix (Arthur Fleck / Joker) Lady Gaga (Harleen „Lee“ Quinzel / Harley Quinn) Brendan Gleeson (Jackie Sullivan) Catherine Keener (Maryanne Stewart) Zazie Beetz (Sophie Dumond) Harry Lawtey (Harvey Dent) Leigh Gill (Gary Puddles) Sharon Washington (Sozialarbeiterin Debra Kane) Steve Coogan (Paddy Meyers) Jacob Lofland (Ricky Meline) Bill Smitrovich (Judge Herman Rothwax) Ken Leung (Dr. Victor Liu) |
Drehbuch | Todd Phillips Scott Silver |
Kamera | Lawrence Sher |
Musik | Hildur Guðnadóttir |
Schnitt | Jeff Groth |
Filmlänge | 138 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter