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JOJO RABBIT (2019)

Jojo Rabbit (2019) – Filmkritik

„Faschismus, jetzt in Lustig“

Taika Waititi boomt: Wurde der Neuseeländer vormals als Geheimtipp gehandelt (seine herrlich idiosynkratische RomCom EAGLE VS. SHARK ist immer noch viel zu unbekannt), schaffte er, wie so viele Indie-Regisseure durch seine Kollaboration am MCU den großen Durchbruch. THOR: RAGNAROK wurde von Comic-Fans zur Heilandsniederkunft des Superheldengenres hochstilisiert, 5 ZIMMER KÜCHE SARG (WHAT WE DO IN THE SHADOWS) versammelte eine Kultanhängerschafft um sich und seit neuestem spricht er einen Druiden im STAR WARS im Spin-off THE MANDELORIAN. Nun erscheint sein neuester Film: JOJO RABBIT, eine Komödie über die finalen Monate des Zweiten Weltkrieges in Deutschland. Und die ist äußert gefährlich.

JOJO RABBIT (2019)
© 2019 Twentieth Century Fox

Der kleine Johannes „Jojo“ Betzler (Roman Griffin Davis) ist der wohl glühendste Jung-Nazi des doch nicht ganz 1000 Jahre andauernden Reiches. Sein mangelndes Selbstvertrauen kompensiert er durch seinen besten (leider imaginären) Freund: Adolf Hitlers (Taika Waititi) höchstpersönlich, bzw. höchstpersönlichimaginiert. Mit Begeisterung geht es ins HJ Camp, bei der ihm seine Weigerung, einen Hasen zu töten, den despektierlichen Spitznamen „Rabbit“ einbringt. Eine unglückliche Begegnung mit einer Splittergranate lässt den Traum von der Karriere als Frontsoldat zerplatzen und zu Hause muss er feststellen, dass seine doch eigentlich so linientreue Mutter Rosie (Scarlett Johansson) seit längerem eine Jüdin namens Elsa (Thomasin McKenzie) versteckt hält. Wird der blinde Konformist, und vor Allem sein bestes Hirngespinst, dies aushalten?

© 2019 Twentieth Century Fox

Über Humor zu streiten ist in etwa so sinnvoll, wie mit einem Messer in den See zu stechen. Zu subjektiv ist die ganze Angelegenheit. Der eine lacht bei Harald Schmidt, der andere bei Oliver Pocher, das ist ebenso und der Versuch einer Klassifizierung von ebensolchem ist in etwa so nützlich wie das Erklären eines Witzes (wir denken kurz an Mark Twain).

Das Problem mit JOJO RABBIT liegt mitnichten in dem Fakt, dass hier eine Komödie über Adolf Hitler inszeniert wurde, bitte, Satire darf grundsätzlich alles. Es ist die Frage, was genau diese Satire bewirken möchte und wie sie dies tut.

JOJO RABBIT (2019)
© 2019 Twentieth Century Fox

Das Witzschema von JOJO RABBIT ist arg begrenzt. Im Endeffekt legt Waititi seinen Schauspielern ungefilterte NS-Propaganda in den Mund, die diese dann mit möglichst dämlichem deutschem Akzent aufsagen. Da muss die Frage erlaubt sein: Wo ist der Witz? Fraulein Rahm (Rebel Wilson) animiert die Kinder im HJ-Camp lautstark dazu, ein paar Bücher zu verbrennen. In SloMo und zu cartoonesker Musik geschieht dies. Der Kinosaal johlt. Aber worüber? Die Buchverbrennung zählt zu den größten intellektuellen Zensurverbrechen, die man begehen kann.

Waitit packt den Zuschauer mit JOJO RABBIT in eine sehr eklige Überlegenheitswatte, getreu dem Motto: Du darfst da jetzt drüber lachen, denn Du weißt, dass Faschismus schlecht ist und die NS-Propaganda auf hanebüchenen Spinnereien aufgebaut ist. Das kann nicht nochmal passieren, wie auch, wenn alle Beteiligten solche Idioten waren? Timur Vermes räumte bereits 2011 mit dieser Mentalität in seinem Bestseller ER IST WIEDER DA auf. JOJO RABBIT rüttelt nicht auf, er beruhigt eher und tätschelt den Zuschauer in eine merkwürdige moralische Überlegenheit hinein.

© 2019 Twentieth Century Fox

Waititi entlarvt seine Propaganda aber nicht, er überlässt diesen finalen Schritt dem Zuschauer. Ein doppelter Boden existiert nicht. Seine Nazis sind, wie bereits erwähnt, laut brüllende Deppen mit lustigen Akzenten. Und dies scheint auch das Fazit des Filmes zu sein. Das ist nicht nur nicht lustig, das ist vor allem im heutigen politischen Klima bedenklich, wenn nicht sogar gefährlich.

Wenn Hannah Arendt im Eichmann-Prozess die Banalität des Bösen erkannte, dann zeigt Waitit die Blödheit von ein paar schrullige Charakteren, die so auch perfekt in jeden Wes-Anderson-Film gepasst hätten. Seine Nazis sind nämlich keine Gefahr, sondern ein paar Spinner der Marke Hauptbahnhofspropheten, an denen man ganz eilig vorbeigeht, wenn man sie erspäht.

© 2019 Twentieth Century Fox

Hier und da streut der Film offensichtlich schockierend gemeinte Szenen ein. So erblickt Jojo beim Propaganda-Pamphlet-Verteilen eine Gruppe gehängter „Volksverräter“. Das Ganze in der bereits erwähnten, deplatzierten Wes-Anderson-Optik. Der Effekt: Skurrilität statt Schock.

Die gelungenen NS-Satiren der letzten Jahrzehnte verdeutlichten: Ihre Beschränktheit und sturer Obrigkeitsglaube machen die Nazis nicht niedlich, sondern höchst gefährlich. Dem Theatertrupp aus Ernst Lubitschs unumfochtenen Meisterwerk TO BE OR NOT TO BE (1942) gelingt der Ausweg aus zahlreichen, brenzlichen Situationen nur, weil sie den Hierachiekult der Gestapo Offiziere erkennen und geschickt gegen diese verwenden, nur um am Ende dann wieder ihrem eigenen Ego zu unterliegen („Joseph Tura did to Shakespeare, what we did to Warsaw“). Was JOJO RABBIT dazu einfällt? Ein Gestapo Offizier erkennt eine Jüdin nicht, auch nicht, wenn sie vor ihm steht. Wie Hynkel im THE GREAT DICTATOR (1940) wird auch in JOJO RABBIT Hitler als meist bockiges Kleinkind porträtiert, aber eben eines, dessen Launen Genozide auslösen. DICTATOR und TO BE … funktionieren, weil das Lachen eben immer wieder im Halse stecken bleibt. Und um nicht nur die zu Recht immer herangezogenen Klassiker zu bedienen: Robert Schwenkes DER HAUPTMANN nutze 2017 einen ähnlichen Ansatz wie Lubitsch, als er erzählte, wie ein Deserteur an eine Hauptmannsuniform gelangt und zunächst aus Notwehr, dann aus schierem Genuss, zum menschenverachtenden Killer aufsteigt. Gestützt durch den unter den Nazis kreisenden, panischen Wunsch nach einem starken Anführer. Drei Filme, die zunächst amüsieren und dann schockieren.

JOJO RABBIT (2019)
© 2019 Twentieth Century Fox

JOJO RABBIT ist hingegen „hillarious“ und wie gemacht für die sich stets überlegen fühlende Generation BuzzFeed. Der Film ist von ähnlichem Taktgefühl und Tiefsinn wie das in THE PRODUCERS als intendiertem Trash produziertem Musical SPRINGTIME FOR HITLER.

Ein weiteres Wort sollte verloren werden über die Musikauswahl. Den mit historischem Bildmaterial versehenen Vorspann unterlegt Waititi mit der deutschen Version von I WANNA HOLD YOUR HAND. Hitler gleich Massenphänomen wie die Beatles suggeriert die Montage und das wirkt nur auf den ersten, oberflächlichen Blick clever. Nein und historisch stark relativierend, möchte man nach kurzer Überlegzeit also schon in den ersten zwei Filmminuten schreien. Hitler als Popstar, das ist schon im Ansatz grundlegend falsch. Im Finale darf dann der deutschen Version von Bowies HEROES gelauscht werden. HEROES ist in seiner deutschen Version untrennbar mit Westberlin und Christiane F. verbunden, bei dem der Song einer Kapitulation der Protagonisten gleichkommt. Wir könnten Helden sein, aber wir sind süchtig. Realitätsflucht und Aufgabe. Wir sind süchtig, wir erkennen keinen Ausweg. Das wäre auch eine interessante melodische Zusammenfassung für die NS-Zeit, hätte JOJO RABBIT den tatsächlich so etwas wie die liebgekommene Verführung des Mittelstandes durch die Nazis behandelt. Aber nein, er hat uns ein paar Deppen mit lustigen Akzenten gezeigt.

© 2019 Twentieth Century Fox
© 2019 Twentieth Century Fox

Der große Genozid und ein menschenverachtendes Regime: Jetzt als Feel-Good-Komödie für die ganze Familie.

© Fynn

Titel, Cast und CrewJojo Rabbit (2019)
Poster
ReleaseKinostart: 23.01.2020
ab dem 30.06. 2020 auf Blu-ray und DVD

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RegisseurTaika Waititi
Trailer
BesetzungRoman Griffin Davis (Jojo)
Thomasin McKenzie (Elsa)
Scarlett Johansson (Rosie)
Taika Waititi (Adolf)
Sam Rockwell (Klenzendorf)
Rebel Wilson (Fräulein Rahm)
Alfie Allen (Finkel)
Stephen Merchant (Deertz)
Archie Yates (Yorki)
DrehbuchTaika Waititi
KameraMichael Giacchino
KameraMihai Malaimare Jr.
SchnittTom Eagles
Filmlänge108 Minuten
FSKab 12 Jahren

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