„Stumpfer Kämpfer“
Es gibt schlechte Filme und dann gibt es richtig schlechte Filme. Einige cineastische Katastrophen haben sich jedoch einen kleinen Kultstatus erarbeitet. Allen voran die Filme von Ed Wood oder andere Gurken wie zum Beispiel RIKI-OH: THE STORY OF RICKY (1991) oder ZARDOZ (1974) geben Futter für den nächstem Trashfilm-Abend. Vor allem ältere Filme kann man sich mit der Nostalgiebrille schönreden oder es auf eine drogengeschwängerte Kreativitätsschmiede hinter der Produktion schieben. Man ahnt es bei diesen einleitenden Worten, dass JIU JITSU (2020) nicht zu den guten Filmen gehört. Aber auf seine ganz spezielle Art, ist dieser Kampfsportfilm auf so geradlinige Weise gegen die Wand gefahren, dass man sich nur noch staunend den Kopf kratzen kann. Aber zunächst zum fragilen Handlungsgerüst.
Handlung
Alle sechs Jahre donnert ein Asteroid an der Erde vorbei. Zu dieser Zeit öffnet sich ein Portal in einem jahrtausendealten Tempel aus dem ein außerirdischer Kämpfer namens Brax (Ryan Tarran) tritt. Die Sage verlangt, dass er gegen die neun besten Fighter der Erde antritt. Falls er aber an seinem Kampf keinen Gefallen findet, bleibt er auf der Erde und bringt Mord und Zerstörung über den Planeten.
Davon weiß Jake (Alain Moussi) aber nichts mehr, denn er hat sich bei einem Sprung von der Klippe den Schädel bis zur Amnesie verbeult. Nachdem er von einer alten Fischersfrau wieder zusammengeflickt wurde, wird er von einem geheimen Militärtrupp verhört. Aber selbst ein Wahrheitsserum hilft bei Gedächtnisverslust nicht weiter. Ein paar mysteriöse Kapuzenträger befreien Jake aus seiner Gefangenschaft. Mit dabei: Kueng (Tony Jaa), Harrigan (Frank Grillo), Forbes (Marrese Crump) und Carmen (JuJu Chan). Dann gibt es noch den verrückten Wylie (Nicolas Cage), aber der ist einen Absatz für sich wert.
„Lasst uns einen Film drehen!“
Dieser Satz ertönte wohl beim Stunt-Team nach Feierabend in der nächstgelegenen Kneipe. Alle einigten sich auf die größte Schnittmenge in ihrem Kampfsport-Repertoire, dem Jiu-Jitsu. Ein Kampfsport, der von vielen Kampfkünsten etwas zu bieten hat: Schläge, Würfe und Bodenkämpfe. Mit Dimitri Logothetis wurde auch gleich Drehbuchautor, Regisseur und Produzent in Personalunion verpflichtet und die handfesten Akrobaten sahen das Projekt langsam aufkeimen. Als Showrunner konnte der drehwillige Nicolas „Irgendwann müssen die Steuerschulden doch mal zurückgezahlt sein“ Cage gewonnen werden und Tony Jaa (ONG-BAK) wie auch Frank Grillo (CAPTAIN AMERICA, THE PURGE) schienen gerade eine Lücke im Terminkalender freizuhaben.
Nun feilten alle mühsam an ihren einzelnen Charakteren wie auch coolsten Fight Moves und Dinge wie Schauspielunterricht oder ein sinniges Handlungskonzept rückten in weite Ferne. Man mag sich vorstellen, dass der Hauptdarsteller in einem mehrtägigen Turnier erkoren wurde. Der Sieg ging an den Stuntman, Pardon Action Star, Alain Moussi: Profi im Jiu-Jitsu und Kickboxen. Seine schauspielerischen Fähigkeiten können mit seinem charmanten, muskulösen Äußeren leider nicht mithalten. Die Amnesie seines Protagonisten hilft ihm mit fragendem Gesichtsausdruck über zwei Drittel der hauchdünnen Drehbuchseiten hinweg. Den Schauspielunterricht ließ man ausfallen, aber dafür durfte sich jeder Kämpfer eine Spezialwaffe in Aluminium veredeln lassen, lässige Kapuzen tragen, 30 Liegestütze vor jedem Take machen und los geht es. Ach ja, die fehlende Geschichte: Kennt jemand PREDATOR? Okay alle, dann kann es losgehen!
Stunt vs. Langeweile
Es ist kein Geheimnis, dass viele Actionfilme, vor allem die aus der B-Waren-Abteilung, selten über eine gute Geschichte wie auch Schauspieler verfügen. In JIU JITSU sind die Kämpfe gut choreographiert, die meisten Darsteller sind ihr eigenes Stunt-Double und selbst bei den Kameratechniken wollte man nicht zu langweilig sein. Jeder Kampf bekommt seine eigene kleine „Dreh“-idee, was selten gut ausgeht bzw. aussieht: Entweder lahme Long-Shoot-Ego-Shooter-Perspektiven wie bei HARDCORE (HARDCORE HENRY, 2015), die magenumdrehenden Waschmaschinen-Fahrten oder müde Slow-Motion-Flüge. Die Spezialeffekte beschränken sich leider auf ein paar digitale Blutspritzer und unscheinbaren Computerstaub. Schon Jackie Chan wusste, dass etwas Mehl auf der Kleidung nicht schadet und vor allem echter aussieht als CGI. Aber auch über solch günstige digitale Effekte und zarte Spritzer aus der Ketchup-Flasche in JIU JITSU kann man hinwegsehen, die es mittlerweile so häufig gibt wie einen Nicolas-Cage-Film in der 1,99-Euro-Grabbelbox. Apropos!
Nicolas Cage
Die Boulevard-Legende spricht von einem riesigen Haufen Kredit- und Steuerschulden, wegen denen Nicolas Cage so gut wie jedes Rollenangebot blind unterschreibt. Die 100 Schauspiel-Einträge auf IMDb hat er nun längst geknackt und immer noch kommen pro Jahr mindestens drei neue Filme mit seinem Konterfei heraus. Ein paar mittlere bis sehr gute Auftritte waren schon dabei, DIE FARBE AUS DEM ALL (2019) und MANDY (2018), aber das meiste läuft unter der Kategorie „Nie davon gehört“. Seine Rollen werden durch seine Freakout-Szenen, in denen Cage möglichst brachial durchdreht, in Film-Nerd-Kreisen schon zum Meme-Marathon verarbeitet und legendär. Leider spart sich JIU JITSU auch diese Freakout-Chance auf eine Sichtungsempfehlung. Cage mutiert vor allem durch sein kampftechnisches Unvermögen in einem Film voller handfester Martial-Arts-Künstler zur vollendeten Karikatur, von seiner Verkleidung als Dennis Hopper in APOCALYPSE NOW (1979) mal abgesehen. Genau bedeutet das, alle zeigen Kämpfe, in denen ihre Gesichter zu sehen sind, Cage wird hingegen von einem Perücken tragenden Hinterkopf, der die Beine heben kann, vertreten.
Schlechter Remix
Neben der offensichtlichen PREDATOR-Vorlage sieht man noch etwas MORTAL KOMBAT (1995), Pseudo-Military-Drill und seltsames Comic-Adaptions-Gehabe. Über diese ganzen Kritikpunkte kann man hinwegsehen, selbst über brachiale, unverständliche Szenenwechsel kurz vorm Finale, in denen selbst Tony Jaa auf einmal verschwindet, nur um am Ende reumütig mit schmerzender Schulter zum Happy End zu schlurfen. Was aber wirklich schmerzt ist, dass JIU JITSU seinem actioninteressierten Zuschauer eiskalt den Mittelfinger zeigt, wenn es ums Tempo zwischen den Kämpfen geht. Die 100 Minuten Laufzeit sind so langatmig wie die neusten Verordnungen im Schrebergartenverein „Zum hohlen Apfel“ e.V. Immer wieder passiert einfach nichts. Selbst die im Comic startenden Kapitelintros ziehen sich wie Kaugummi im Ethikunterricht, die Dialoge sind gebetmühlenartig nichtssagend und das immer wiederkehrende Fragen nach dem wahren Geheimnis, was keins ist, treibt einem die Pupillen in die Augenhöhlen.
Fazit
Um möglichst fair gegenüber der Arbeit an einem Filmprojekt zu sein, versucht man bei einem verrissenen Film zumindest im Fazit einem kleinen Zuschauerkreis doch noch eine Empfehlung auszusprechen. Für JIU JITSU bedeutet das: Für alle optimistischen Actionfans, die unbedingt wollen, dass der nächste Film besser ist.
Titel, Cast und Crew | Jiu Jitsu (2020) |
Poster | |
Regisseur | Dimitri Logothetis |
Release | ab dem 12.03.2021 auf Blu-ray und DVD Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: Direkt beim Label bestellen >>> |
Trailer | |
Besetzung | Alain Moussi (Jake) Nicolas Cage (Wylie) Tony Jaa (Kueng) Frank Grillo (Harrigan) Marrese Crump (Forbes) JuJu Chan Szeto (Carmen) Ryan Tarran (Brax) June Sasitorn (June) Dan Rizzuto (Franz) Rigan Machado (Victor) Jack Kingsley (Hector) John D. Hickman (Hickman) Eddie Steeples (Tex) Rick Yune (Captain Sand) Marie Avgeropoulos (Myra) |
Drehbuch | Dimitri Logothetis Jim McGrath |
Kamera | Gerardo Madrazo |
Schnitt | Daniel McDonald |
Filmlänge | 102 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter