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Jesus Shows You the Way to the Highway (2019) – Filmkritik

Was passiert, wenn wir Themen wie Religion, Drogen, James Bond, Batman, Außerirdische, ein wenig Ost-West-Konflikt, Kung-Fu, MATRIX (1999) und Fassbinders WELT AM DRAHT (1973) in einen Topf werfen? Das Ganze ist garniert mit der Retro-Optik der 1970er und 1980er. Es kommt JESUS SHOWS YOU THE WAY TO THE HIGHWAY dabei heraus. Ein absurder Genre-Mix, eine afrofuturistische Techno-Fantasie, die jeden Filmfreund mit großen Augen ungläubig staunen lässt. Doch spätestens, wenn der Name „Palmer Eldritch“ fällt, geht dem ein oder anderen ein Licht auf. Und dieses Licht, eher ein Leuchtturm, trägt den Namen Philip K. Dick. Im Jahre 1965 verfasste selbiger den Roman „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ (The Three Stigmata of Palmer Eldritch)[1], der das Gerüst für JESUS SHOWS YOU THE WAY TO THE HIGHWAY bildet. Ob sich Regisseur und Drehbuchautor Miguel Llansó bewusst oder unbewusst an Philip K. Dicks Ideen orientierte, ist mir nicht bekannt. Zumindest im Abspann sehen wir für einige Augenblicke ein Foto von Dick, was für diese These spricht.

© Rapid Eye Movies

Handlung

Die beiden CIA-Agenten Palmer (Augustin Mateo) und Gagano (Daniel Tadesse) sind abgestellt zum Schutz eines Computerprogramms, das die Großstadt Tallinn steuert. Während Gagano davon träumt, die CIA zu verlassen und ein Geschäft mit seiner Frau Malin (Gerda-Annette Allikas) zu eröffnen, betrügt ihn sein Partner mit seiner Frau. Gerade als Gagano seinen Rücktritt einreichen will, greift ein Virus das System der Stadt an. Palmer und Gagano werden in die Software eingespeist und nehmen den Kampf gegen dieses Virus namens „Sowjetunion“ auf. Doch die Operation verläuft nicht wie geplant, denn das Virus ist mächtiger als alle vermuten und breitet sich immer weiter aus.

© Rapid Eye Movies

Jesus zeigt uns den Weg zur Autobahn

So absurd wie sich das Ganze anhört, so verrückt ist es auch. Wie unter einem Mikroskop gebündelt, präsentiert uns der in Madrid geborene Miguel Llansó so ziemlich jedes Thema aus Dicks Gedankenwelt, vereint zu einer skurrilen, ja fast schon wahnsinnigen Idee. Und „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ bilden die Basis für diesen Wahnsinn. Wer allerdings eine Hochglanzproduktion im Stile von Ridley Scotts BLADE RUNNER (1982) erwartet, den muss ich enttäuschen. JESUS SHOWS YOU THE WAY TO THE HIGHWAY ist eine Amateurproduktion sowohl vor wie auch hinter der Kamera, jedoch mit sehr viel Herzblut umgesetzt. Die unbekannten wie auch ungewöhnlichen Darsteller entsprechen nicht dem gewohnten Hollywood-Look, wie auch, wenn der Film schlichtweg die bekannten Sehgewohnheiten sprengt. Doch mit ihrer Begeisterung für das ungewöhnliche Projekt punkten alle Darsteller mit einer zwar sehr eigenwilligen, aber durchaus überzeugenden Performance. Ganz besonders trifft das auf den behinderten äthiopischen Schauspieler Daniel Tadesse zu, der den Agenten D.T. Gagano spielt und lieber ein Pizza-Restaurant eröffnen würde, als pausenlos die Welt zu retten.

© Rapid Eye Movies

Nichts Vergleichbares

Hier jagt ein kurioser Einfall den nächsten: Immer, wenn die Protagonisten in die virtuelle Welt eintauchen, tragen sie Papiermasken, um ihre wahre Identität zu verbergen. Unsere beiden Agenten benutzen dafür die Gesichter von Robert Redford und Richard Pryor, ihr Gegenspieler hat eine Stalin-Maske, dazu sind die Bewegungen sehr ruckartig, wie bei der veralteten Stop-Motion-Technik. Dazu kommen noch Vintage-Kung-Fu-Kämpfer, Batman, Jesus, zwei Außerirdische oder übergroße Fliegen und noch vieles mehr. Besonders auffällig ist die Ausstattung mit veralteter Technologie aus den 1970ern und 1980ern. Aber auch der Rest von JESUS SHOWS YOU THE WAY TO THE HIGHWAY ist in diesem Retro-Look gehalten, vor allem die Garderobe und die Sets. Wechselnde Aufnahmetechniken wie Zoomobjektive und Filter sorgen für einen noch größeren Retro-Look und unterscheiden gleichzeitig die virtuellen Ebenen. Dazu beschallt uns ein roher Soundtrack aus Free Jazz und Elektroklängen. Übrigens, die deutsche „Synchro“ lieferte die Berliner Punk-Pop-Band „Stereo Total“ mit den Stimmen von Francoise Cactus und ihrem Partner Brezel Göring (Geboren als Hartmut Richard Friedrich Ziegler). Wobei Synchro etwas übertrieben ist, den die beiden sind die einzigen Stimmen. Alle weiblichen Stimmen werden von Cactus übernommen, die männlichen von Göring. Ein weiterer absurder Punkt, der überraschend gut zum Gesamtkonzept des Films passt und einige Lacher parat hält. Leider verstarb Francoise Cactus (Geborene Francoise van Hove) im Februar dieses Jahres.

© Rapid Eye Movies

Philip K. Dick

Wer sich ernsthaft mit Science-Fiction beschäftigt, trifft eher früher als später, auf den US-amerikanischen Autor Philip Kindred Dick. Geboren im Dezember 1928 in Chicago, Illinois, viel zu früh verstorben im März 1982 in Santa Ana, Kalifornien. Zahlreiche Romane und Kurzgeschichten verfasste er zeit seines Lebens, darunter Vorlagen für einige unvergessliche Filme wie BLADE RUNNER (1982), TOTAL RECALL – DIE TOTALE ERINNERUNG (1990), MINORITY REPORT (2002), PAYCHECK – DIE ABRECHNUNG (2003), DER PLAN (THE ADJUSTMENT BUREAU, 2011) oder auch dem Animationsfilm A SCANNER DARKLY – DER DUNKLE SCHIRM (2006). Seine unglaublichen Storys stehen heute vor allem für die Frage nach dem Wesen und der Realität des Menschseins. Vier wichtige Hauptthemen tauchen in Dicks Werken fortwährend auf: Drogen, Religion sowie die verzweifelte Suche nach der Realität. Der vierte Punkt fokussiert sich auf den immerwährenden Konflikt zwischen Ost und West. Doch auch der Überwachungsstaat ist ein immer wiederkehrendes Thema. Mit nur einem Satz zerreißt Dick fortwährend unsere Wirklichkeit und präsentiert uns stattdessen eine parallele Realität, in der nichts unmöglich ist.

© Rapid Eye Movies

Eines haben jedoch alle Storys gemein: Sie sind in einer leicht verständlichen Sprache geschrieben, aber niemals leicht zu verstehen und fordern sehr viel beim Leser ein. Zu Lebzeiten wurde Dick verkannt und heute gefeiert als der wohl größte Visionär des digitalen Zeitalters. In insgesamt 45 Romanen und 120 Kurzgeschichten tauchen immer wieder aktuelle Themen wie virtuelle Welten, totalitäre Gesellschaften, technologische Versklavung und Umweltverschmutzung auf. Doch nicht nur Dicks Geschichten sind eine genauere Untersuchung wert, auch sein Leben ist spannend und so absurd wie viele seiner grandiosen Einfälle. Pausenlos im Kampf mit dem Leben und seinem Glauben, immer mit der Angst im Nacken von einer geheimdienstähnlichen Organisation oder gar Aliens belauscht zu werden. Trotz seiner ununterbrochenen Geldnot waren ihm auch Drogen nicht fremd. Ob er letztendlich krank war oder die Welt mit uns unbekannten Augen sah, wird sich wohl nie ganz erschließen. Ein gelungener Einstieg in die Thematik ist Lawrence Sutins faszinierende Biografie „Philip K. Dick – Göttliche Überfälle“[2].

© Rapid Eye Movies

Fazit

Das Mediabook-Cover

Nach CRUMBS (2015) präsentiert uns der Spanier Miguel Llansó seinen zweiten Spielfilm. Jenseits vom Mainstream, abseits aller Science-Fiction-Konventionen auf dem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Genialität wandelt JESUS SHOWS YOU THE WAY TO THE HIGHWAY, beileibe kein Film für die Masse. Bevor der Eindruck entsteht, dass ich JESUS SHOWS YOU THE WAY TO THE HIGHWAY zu einem Meisterwerk stilisiere, erhebe ich umgehend Einspruch. Es gibt einige Momente, in denen sich der Zuschauer die Augen herausreißen möchte, so wie einst Ray Milland in DER MANN MIT DEN RÖNTGENAUGEN (X, 1963) aufgrund des sinnbefreiten Schwachsinns auf dem Bildschirm. Auf der anderen Seite haben wir einiges an positivem, was überrascht und zum Weiterschauen animiert. Ich verbeuge mich vor Miguel Llansó für seinen Mut, diesen „What the Fuck-Thriller“ zu drehen, mit allem, was dazu gehört. Denn auch unser heutiges (virtuelles) Leben findet in all seinen Facetten einen bösartigen Wiederklang in Llansós neustem Film. Ob sich der Filmfreund mit dem ungewöhnlichen Geschmack für dieses absurde Schauspiel begeistern kann, steht in den Sternen. Als abschließendes Urteil möchte ich noch sagen, dass Llansós neuster Film nicht gut ist, aber auch nicht schlecht. Nein, ganz im Gegenteil, er ist einfach anders.

© Stefan F.

Quellen:

[1] Dick, Philip K.; „Die drei Stigma des Palmer Eldrich“, 1965, Heyne Verlag, Bei Amazon bestellen

[2] Frankfurter Verlagsanstalt: Lawrence Sutin „Philip K. Dick – Göttliche Überfälle“, 1994.

 

Titel, Cast und CrewJesus Shows You the Way to the Highway (2019)
Poster
RegisseurMiguel Llansó
Releaseab dem 05.03.2021 auf Blu-ray im Mediabook

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Trailer
BesetzungDaniel Tadesse (D.T. Gagano)
Augustin Mateo (Palmer Eldritch)
Guillermo Llansó (Stalin / Roy Mascarone / Stalin‘s Assistent)
Solomon Tashe (Batfro)
Gerda-Annette Allikas (Malin)
Rene Köster (Captain Lagucci)
Lauri Lagle (Alfons Rebane)
DrehbuchMiguel Llansó
FilmmusikTarô Iwashiro
KameraMichal Babinec
Erik Pollumaa
Israel Seoane
Filmlänge79 Minuten
FSKab 16 Jahren

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