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James Bond 007 – Man lebt nur zweimal (1967) – Filmkritik

„Kapitän Nemo auf der Zyklopeninsel“

Die Bösewichte der James-Bond-Reihe sind manchmal interessanter und vor allem tragischer inszeniert als der ethisch durchaus ambivalente Held. Teilweise geht dies bereits auf die Vorlagen von Ian Fleming zurück. Das Vorbild für Le Chiffre aus CASINO ROYALE war der Okkultist Aleister Crowley und Umberto Eco verglich den an einer seltenen Augenkrankheit leidenden Le Chiffre mit einem Zyklopen. Der Name von DR. NO verweist genauso in die griechische Mythologie wie auch auf Kapitän Nemo aus den Romanen 20.000 MEILEN UNTER DEM MEER und DIE GEHEIMNISVOLLE INSEL von Jules Verne. Eine spannende Synthese hieraus findet sich bei der Figur des Blofeld in MAN LEBT NUR ZWEIMAL (YOU ONLY LIVE TWICE), dem 5. Beitrag der James-Bond-Reihe. Das Drehbuch stammte erstmals nicht von Richard Maibaum, sondern von Roald Dahl, dem wir auch die Vorlagen für HEXEN HEXEN (THE WITCHES, 1990) und CHARLIE UND DIE SCHOKOLADENFABRIK (2005) verdanken.

James Bond 007 – MAN LEBT NUR ZWEIMAL (1967)
© Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc.

Nach der Entführung eines amerikanischen Raumschiffes wird James Bond (Sean Connery) tätig – und in Hong Kong in einem Bett erschossen. „Ein schöner Tod, so mitten im Dienst,“ lautet der zynische Kommentar. Nach dem Vorspann und dem titelgebenden „You Only Live Twice“, gesungen von Nancy Sinatra, wird aufgelöst, dass Bonds Tod nur vorgetäuscht wurde. Der britische Geheimdienst ist überzeugt, dass die Entführung des Raumschiffes von Japan aus erfolgte. Bond ermittelt gemeinsam mit dem Chef des japanischen Geheimdienstes „Tiger“ Tanaka (Tetsurō Tamba) – dessen Identität in Japan „ein strenggehütetes Geheimnis“ ist – gegen Osata (Teru Shimadu), den Vorsitzenden eines großen Chemiekonzerns. Dieser wiederum handelt im Auftrag der Organisation SPECTRE. Zwischenzeitlich wird auch ein sowjetisches Raumschiff entführt, ein Atomkrieg zwischen Ost und West steht unmittelbar bevor. Das Ziel von SPECTRE ist, in den Worten von dessen Anführers Blofeld (Donald Pleasence), dass wenn „Russland und die Vereinigten Staaten sich gegenseitig ausradiert haben, eine andere Macht die Welt beherrscht.“

James Bond 007 – MAN LEBT NUR ZWEIMAL (1967)
© Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc.

Für das Production Design war wie für viele Beiträge der Bond-Reihe der Filmarchitekt Ken Adam zuständig. Für MAN LEBT NUR ZWEIMAL entwarf er den kleinen Kampfhubschrauber Little Nellie, Raumschiffe, das Hauptquartier des japanischen Geheimdienstes und vor allem Blofelds Raketenbasis in einem erloschenen Vulkan, die wie eine Insel wirkt. Ähnlichkeiten zur griechischen Sagenwelt mit der Zyklopeninsel, auf der Odysseus den Riesen Polyphem überlistet, indem er sich „Niemand“ nennt, sind vorhanden. Horkheimer und Adorno, die den griechischen Mythos mit dem Beginn der kapitalistischen Moderne assoziieren, schreiben: „Odysseus lebt nach dem Urprinzip, das einmal die bürgerliche Gesellschaft konstituierte. Man hatte die Wahl, zu betrügen oder unterzugehen.“ Nur ist MAN LEBT NUR ZWEIMAL auch eine Parodie auf die Odysseus-Sage: der Tod Bonds wird vorgetäuscht und bei Osata gibt er sich als Mr. Fischer aus.

James Bond 007 – MAN LEBT NUR ZWEIMAL (1967)
© Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc.

Blofeld ist der Einzige, der diesen Trick durchschaut. Auf den entrüsteten Einwand von Osata und Helga Brandt (Karin Dor), Bond sei doch tot, darüber hätten alle Zeitungen berichtet, antwortet Blofeld nur lapidar, dass dies „Blödsinn“ sei. „Denken heißt identifizieren,“ schreibt Adorno und Blofeld ist es auch, der Bond erkennt, weil dieser seinen Raumanzug schon vor Betreten der Kapsel angelegt hatte. Als Bonds Gesicht zu sehen ist, nennt Blofeld ihn auch beim Namen und stellt sich höflich selbst mit seinem vollständigen Namen „Ernest Stavro Blofeld“ vor. „Angeblich sollen sie in Hong Kong ermordet worden sein.“ Aus Bonds Antwort ergibt sich der Sinn des Filmtitels: „Ja, dies ist mein zweites Leben.“ Blofeld: „Sie leben auch nur zweimal!“ Erstmals in einem Film der James-Bond-Reihe ist Blofeld jetzt auch für den Zuschauer sichtbar; bisher wie in LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU (FROM RUSSIA WITH LOVE, 1963) wurden lediglich Arme, die eine Katze streicheln oder Schuhe gezeigt. Dieser Moment ist auch ein kleiner Schock. Blofeld hat eine schwere Schnittverletzung im Gesicht. Ursprünglich sollte Blofeld sogar einäugig dargestellt werden, womit eine noch deutlichere Ähnlichkeit mit dem Zyklopen Polyphem erkennbar gewesen wäre. Vor allem demonstriert er den Westmächten ebenso wie der Sowjetunion, dass diese ebenso moralisch bankrott sind, wie er selbst. Ein Agent wie James Bond muss sein eigenes Handeln und seine Identität verbergen, er ist berechtigt Menschen zu töten, ohne rechtsstaatliche Konsequenzen erwarten zu müssen.

© Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc.

SPECTRE ist kein staatlicher Akteur, sondern eine terroristische Vereinigung oder eine Verbrecherbande. „Erpressen ist mein Geschäft“ sagt Blofeld und den Zuschauer lässt der Verdacht nicht los, dass er mit seinen Entstellungen Schwierigkeiten im „normalen“ Berufsleben hätte. Die Mitglieder der Organisation SPECTRE haben keine Namen mehr, sondern Nummern, was an russische Anarchisten des 19. Jahrhunderts erinnern lässt oder noch banaler an Personalnummern in einem Unternehmen, in dem Menschen nur noch zu Zahlen herabdegradiert werden. Auch Konsequenzen für geringe Leistungen wie Abmahnungen und Entlassungen haben hier ihre brutale Fortsetzung: so wird Helga Brandt, nachdem sie und Osata sich gegenseitig die „Schuld“ zugewiesen haben, Bond nicht „liquidiert“ zu haben, für ihr „Versagen“ an Piranhas verfüttert. Blofelds einsamer Kampf gegen die Welt erinnert aber auch Kapitän Nemo, der in Vernes Romanen unter Wasser Kriegsschiffe der Großmächte versenkt und einst seine Familie durch das Britische Königreich verloren hat – auch Blofelds Hauptgegner Bond ist Brite. Nemo bedeutet ebenfalls Niemand.

© Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc.

In der DER SPION, DER MICH LIEBTE (THE SPY WHO LOVED ME, 1977), ein Jahrzehnt später, wird nochmals eine ähnliche Geschichte erzählt, aber mit noch stärkerem Fokus auf Jules Verne: diesmal sind es amerikanische und sowjetische Atom-U-Boote, die entführt werden und der reiche Meeresbiologe Stromberg träumt in seiner krakenähnlichen Unterwasser-Station Atlantis – ebenfalls ein Entwurf von Ken Adam – von einer neuen Zivilisation im Meer.

James Bond 007 – MAN LEBT NUR ZWEIMAL (1967)
© Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc.

Die markante Darstellung des Blofeld durch Donald Pleasence hat sicher dazu beigetragen, dass man sich als Zuschauer auch bei anderen Verkörperungen – etwa des Dr. Loomis in HALLOWEEN – besonders an diese Rolle erinnert. Sean Connery wollte sich nach diesem Film langsam vom James-Bond-Image lösen. Bemerkenswert ist seine Darstellung des Sergeant Johnson in SEIN LEBEN IN MEINER GEWALT (THE OFFENCE, 1973), der im Verhör einen Verdächtigen zu Tode prügelt. Sidney Lumet drehte diesen kritischen Polizeifilm 1973 direkt vor SERPICO. Obwohl Connery mindestens genauso gut wie in den Bond-Filmen spielte, wollte ihn so kaum jemand sehen, obwohl die Charaktere Bond und Johnson gar nicht einmal so weit auseinanderliegen.

© Stefan Preis

Weiterführende Literatur:

  • Adorno, Theodor W. (2003): Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt am Main.
  • Buono, Oresto del und Umberte Eco (Hrsg.) (1966): Der Fall James Bond 007 – ein Phänomen unserer Zeit. München.
  • Horkheimer, Max und Theodor W. Adorno (2003): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt am Main.
  • Neumann, Hans-Joachim (1986): Das Böse im Kino. Frankfurt am Main; Berlin.

 

Titel, Cast und CrewJames Bond 007 – Man lebt nur zweimal (1967)
OT: You Only Live Twice
Poster
RegisseurLewis Gilbert
ReleaseKinostart: 14.09.1967
ab dem 15.09.2015 auf Blu-ray

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Trailer
BesetzungSean Connery (James Bond)
Akiko Wakabayashi (Aki)
Mie Hama (Kissy Suzuki)
Tetsurō Tamba (Tiger Tanaka)
Teru Shimada (Mr. Osato)
Karin Dor (Helga Brandt)
Donald Pleasence (Ernst Stavro Blofeld)
Bernard Lee (M)
Lois Maxwell (Miss Moneypenny)
Desmond Llewelyn (Q)
DrehbuchRoald Dahl
FilmmusikJohn Barry,
Titelsong: Nancy Sinatra
KameraFreddie Young
SchnittPeter R. Hunt
Thelma Connell
Filmlänge117 Minuten
FSKab 12 Jahren

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