„In der Gewalt des Jenseits“
Kommt die Sprache auf „Body Horror“, fällt sofort der Name David Cronenberg. Gerade mit PARSITEN-MÖRDER (SHIVERS, 1975), RABID – DER BRÜLLENDE TOD (RABID, 1977) und ganz besonders mit dem Remake DIE FLIEGE (THE FLY, 1986) hat sich der Kanadier einen Namen gemacht. Doch es gibt noch weitere Personen, die in diesem Sub-Genre für Aufsehen sorgten. Einer von ihnen ist Adrian Lyne. Der 1941 in England geborene Lyne sorgte mit seinen Filmen schon immer für große Aufmerksamkeit bei Kritikern wie auch Kinopublikum, man denke nur an 9 ½ WOCHEN (NINE ½ WEEKS, 1986) oder EINE VERHÄNGNISVOLLE AFFÄRE (FATAL ATTRACTION, 1987). Mit JACOB‘S LADDER betrat er 1990 zum ersten und einzigen Mal das Horror-Genre und setzte auch dort Maßstäbe. In der Folgezeit hatte sein Film nicht nur großen Einfluss auf die Filmschaffende Zunft, auch die Schöpfer der bekannten Videospielserie SILENT HILL (1999) orientierten sich an seinem außergewöhnlichen Werk.
Inhalt
Der Postbote und Vietnam-Veteran Jacob Singer (Tim Robbins) lebt in New York. Immer wieder plagen ihn schreckliche Visionen seiner Kampfeinsätze, bei Tag und bei Nacht. Die Erscheinungen dringen mehr und mehr in sein Leben ein, verändern die Umwelt und beeinflussen die Menschen um ihn herum. Selbst seine Freundin Jezebel (Elizabeth Pena) verändert sich mehr und mehr. Zwischen furchtbaren Kriegserinnerungen mischen sich immer öfters Erinnerungen aus dem Leben vor dem Krieg, mit seiner Ex-Frau Sarah (Patricia Kalember) und ihren Kindern. Einer von ihnen, Gabe (Macaulay Culkin), starb damals bei einem Verkehrsunfall, für den sich Jacob immer noch schuldig fühlt. Die Wahnvorstellungen werden aggressiver und trachten Jacob schließlich nach dem Leben. Seine einzige Vertrauensperson ist sein Chiropraktiker Louis (Danny Aiello), der ihm stets zur Seite steht. Nach dem Tod eines Kriegskameraden, der mit den gleichen Problemen zu kämpfen hatte, wird Jacob von einem ehemaligen Chemiker der US-Armee angesprochen. Der will ein illegales Drogenexperiment aufdecken, dass während seiner Dienstzeit in Vietnam an Jacobs Einheit durchgeführt wurde.
Jacob‘s Inferno
Szenen aus Vietnam, aus der Gegenwart mit Jezebel und aus dem Leben vor dem Krieg mit seiner Ex-Frau Sarah wechseln sich stetig ab und perforieren das Verständnis des Zuschauers. Jacob ist ständig von Tod und Verfall umgeben. Eine düstere, unheilvolle Atmosphäre breitet sich bei jedem seiner Schritte weiter und weiter aus. Die verwahrlosten Stadtbilder sind in dunklen, entsättigten Aufnahmen aufgelöst. Hingegen strahlen die Momente mit Sarah und den Kindern farbenfroh und hell, ebenso die Aufnahmen in Vietnam, die ihr sattes Dschungelgrün leuchtend präsentieren. All diese unterschiedlichen Augenblicke werden torpediert von Bildern des Wahnsinns, die nur für Bruchteile sichtbar werden und sich tief in unsere Augen brennen. Gerade lang genug, um zu erkennen, dass etwas Furchtbares vor sich geht, aber niemals so lang, um das Grauen eindeutig zu benennen. Pausenlos stehen zwei Fragen im Raum: was ist Realität und was Einbildung?
JACOB’S LADDER, der Titel des Films bezieht sich auf die biblische Jakobsleiter, auch als Himmelsleiter bekannt, über die es den Engeln möglich ist, zwischen Himmel und Hölle zu wechseln. Regisseur Lyne inszenierte den Film konsequent nach diesem Prinzip und es scheint so, dass Jacob buchstäblich auf dem Weg in die Hölle ist. Mit JACOB‘S LADDER etablierte Lyne eine neue Form des „Boddy-Horror“ im Genre. Alle Effekte sind handgemacht, auf CGI oder andere Computertricks wurde bewusst verzichtet. Die Story wandelt pausenlos zwischen Psycho-Horror, Vietnamtrauma einer großen Nation und den Schicksalsschlägen einer kleinen Familie. Ein bisschen viel mag der geneigte Betrachter denken, doch weit gefehlt. Geschickt verwebt Lyne diese ungewöhnlichen Komponenten zu einer großen, faszinierenden Story. Von Beginn an erhalten wir zahlreiche Hinweise, die uns hektisch zuschreien, was hier wirklich vor sich geht. Bei Erstsichtung wird sich nur ein Bruchteil der Story erschließen oder man wird die Spur gar falsch interpretieren. Zudem führt uns Regisseur Lyne von einer Sackgasse in die nächste. Eine wichtige Rolle bei der Lösung des Rätsels nimmt der Chiropraktiker Louis ein. Er erklärt Jacob, wie auch dem Zuschauer, auf was er sich da eingelassen hat. Ein zweiter oder gar dritter Blick auf JACOBB‘S LADDER lohnt sich und fördert viele Details, die zuvor übersehen wurden, ans Tageslicht.
Die Darsteller
Eigentlich wollte Lyne für die Hauptrolle Tom Hanks besetzen, der hatte zu der Zeit jedoch andere Pläne. Weiterhin wurden Don Johnson und Mickey Rourke die Rolle angeboten, jedoch lehnten beide ab. Angeblich sollen noch weitere bekannte Schauspieler Interesse an der Rolle bekundet haben, darunter Richard Gere, Dustin Hoffman und Al Pacino. Letztendlich muss man konstatieren das Tim Robbins die perfekte Besetzung für diese schwierige Aufgabe ist. Dasselbe trifft auf die kubanisch-amerikanische Schauspielerin Elizabeth Pena zu, die Jacob‘s Freundin Jezzie/Jezebel verkörpert. Für ihre Rolle sollen über 300 Frauen vorgesprochen haben, darunter so prominente wie Jennifer Lopez, Andie MacDowell, Madonna, Demi Moore und Julia Roberts.
Ein Gesicht sticht jedoch ganz besonders hervor, und zwar das von Danny Aiello. Dieses Ausnahmetalent hat uns in so vielen Filmen begeistert, es würde schlichtweg den Rahmen sprengen, nur die wichtigsten davon aufzuzählen. Leider verstarb Aiello im Dezember 2019 im Alter von 86 Jahren. Am Anfang seiner Karriere befand sich dagegen Macaulay Culkin, der in der kleinen Rolle Gabe zu sehen ist. Direkt im Anschluss drehte er seinen bekanntesten Film: KEVIN – ALLEIN ZU HAUS (HOME ALONE, 1990). Ebenfalls am Anfang seiner Karriere befand sich Ving Rhames, der einen von Jacob‘s Kriegskameraden, George, darstellt.
Das Mediabook
Das leicht körnige, nahezu dreckige Bild von JACOB‘S LADDER ist glücklicherweise erhalten geblieben. Dazu packte Koch Films die Schärfe einer Blu-ray, was sich wohltuend für die Augen äußert. Gegenüber der DVD ein gewaltiger Unterschied. Der Kontrast ist perfekt ausbalanciert, die Farbpalette in ihren düster-dunklen Tönen verstärkt den alptraumhaften Charakter jeder einzelnen Szene. Der Ton erklingt in glasklarem DTS-HD Master aus den Boxen. Kurz gesagt; die Restaurierung ist gelungen. Das Titelbild des Mediabooks ist nicht meins, aber wie so vieles im Leben Geschmackssache. Als Extras findet sich ein Audiokommentar von Regisseur Adrian Lyne, eine Bildergalerie sowie der deutsche und englische Trailer auf den Scheiben. Außerdem gibt es die entfallenen Szenen im Originalton wie auch mit Kommentar. Darüber hinaus befindet sich noch das interessante Featurette „Building Jacob‘s Ladder“ an Bord. Dazu muss gesagt werden, dass darin ausführlich über die Bedeutung der Symbole und Bilder des Films gesprochen wird. Selbiges trifft auch auf das umfangreiche Booklet zu. Personen, die den Film nicht kennen – die soll es ja wirklich geben – würde ich deshalb raten, erst nach Sichtung des Filmes sich dem Bonusmaterial zu widmen.
Fazit
JACOB‘S LADDER ist von einer bewegenden, emotionalen Tiefe wie man sie nur selten im Horror-Genre vorfindet, beseelt von Wahnsinn und Tod, der an jeder Ecke in immer neuer Maske lauert. Der Film entwickelt einen gewaltigen Sog der Angst, ist aber auch erfüllt von einer dunklen, sexuellen Spannung, der man sich nur schwer entziehen kann. Mit einer unglaublichen Präzision erschafft Lyne einen Horrortrip der Sonderklasse, der durch mehrere in sich verschachtelte Handlungsebenen besticht. Vor unseren Augen entfaltet sich eine Topografie des Schreckens und der Qualen von ungeahntem Ausmaß. JACOB‘S LADDER ist ein Zersetzungsprozess des Verstandes. Großartig in Szene gesetzt, führte er das Genre in eine neue Richtung, die großen Anklang fand. David M. Rosenthal versuchte sich im Jahr 2019 an einem Remake unter dem gleichen Titel, über dem wir lieber das Tuch des Schweigens hüllen.
Titel, Cast und Crew | Jaccob's Ladder (1990) |
Poster | |
Release | ab dem 29.05.2020 im Mediabook (Blu-ray+DVD) Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: |
Regisseur | Adrian Lyne |
Trailer | |
Besetzung | Tim Robbins (Jacob Singer) Elizabeth Pena (Jezzie/Jezebel) Danny Aiello (Louis) Matt Craven (Michael) Pruitt Taylor Vince (Paul) Ving Rhames (George) Patricia Kalember (Sarah) Macaulay Culkin (Gabe/Gabriel) |
Drehbuch | Bruce Joel Rubin |
Kamera | Jeffrey L. Kimball |
Filmmusik | Maurice Jarre |
Schnitt | Tom Rolf |
Filmlänge | 114 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |
Ohne Kaffee geht hier gar nix / Liebt den Phantastischen Film in Wort und Bild / Vor allem alles was vor 2000 entstanden ist / Lieber ein neues Regal mit Filmen als einen Schrank mit Klamotten