Zwei aufrichtige Sätze vorab: IMMACULATE ist nicht das kleine Meisterwerk, das er gern wäre und vielleicht auch hätte werden können. Doch es wäre unfair, dem Film nicht diese eine Chance zu geben, er hat Potenzial, das durchaus Beachtung verdient – wer bei auf Oldschool getrimmtem Horror und weiblichem Lead schwach wird, sollte sich IMMACULATE also durchaus einmal ansehen.
Die Story – im Interesse des Filmgenusses – lediglich dezent angeteasert. Die junge US-amerikanische Nonne Cecilia (Sydney Sweeney, auch Produzentin) kommt in ein beschauliches italienisches Kloster. Schnell merken sie und wir Zuschauer, dass hier etwas faul ist, ja unheilvolle Machenschaften am Werk sind. Wer nicht völlig blind durchs Horrorgenre navigiert, erahnt noch zu Beginn des ersten Trimesters – so die selbsternannte Dreigliederung der Handlung – das versteckte menschliche Grauen im scheinbar gesegneten Setting. Im Laufe der Erzählung wird Cecilia zunehmend als Heilige verehrt, parallel erleben wir blutige Tode und Folter im Dunkel der Klostermauern.
Sydneys Baby
Dabei punktet IMMACULATE vorrangig durch die Präsenz der Hauptdarstellerin, die als heimliche Macherin des Werks gesehen werden muss, wenn sie bei Projektzeitpunkt, Regisseur und Drehbuchwahl mitentschied und in jeder Szene des fertigen Films mit ganzem Körpereinsatz zu sehen ist. IMMACULATE ist Sydney Sweeneys Baby. Zweite Hauptdarstellerin im Hintergrund ist die Villa Parisi-Borghese, ein barockes Anwesen, etwa 20 Kilometer vor Rom, das in seinem ansehnlichen Garten antike Restarchitektur bewahrt und bis zum Schlussbild den eigentlichen Schauplatz bildet (einzelne Szenen wurden in Rom in der Doria Pamphilj Gallery und den Katakomben gedreht). An Ästhetik mangelt es also nicht in IMMACULATE, sowohl in personeller als auch topografischer Hinsicht. Auch die Bezüge zum Horrorgenre generell dürfte einige Fans erfreuen: Zitate und Anlehnungen von ROSEMARY’S BABY (1968) über MARK OF THE DEVIL / HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT (1969) bis zum Giallo und Slasherfilm der 1970er und 1980er. In der Tat kommen ein paar Szenen recht blutrünstig daher, womit sich die anfänglich vielleicht noch bezweifelte 18er-Freigabe mehr als solide bestätigt. In den besten Szenen des Films schleicht Sweeney in einem dem Thema angemessenen Nachthemd und nur mit einer Kerze bewaffnet durch die stockfinsteren, knarzigen Gänge des Klosters, den Atem anhaltend, sodass man mehrfach eine Stecknadel fallen hören könnte. Atmosphäre zum Zerschneiden dick – so ist es gern gesehen. Leider kann IMMACULATE diese faszinierend-bedrückende Stimmung nur punktuell aufrechterhalten.
Die spannenden Ingredienzen – und auch der konsequente, starke Schluss – reichen am Ende nicht aus, um aus IMMACULATE etwas ganzheitlich Überzeugendes zu machen, das uns durchweg mitreißt und über das Ende hinaus vielleicht noch ein bisschen begleitet. Der Film wirkt eher wie eine sehr gut gemeinte Verbeugung vor den fiesen kleinen und großen Werken „des Genres“, wie Sweeney im insgesamt nur 10-minütigen Interview (Cast & Crew) anmerkt. Es fehlt die Vision, auch wenn diese vielfach heraufbeschworen wird. Stattdessen doch lieber noch eine Handvoll überflüssiger Jump Scares, die mancher Rezensent des Films schon gar nicht mehr gesehen haben will. Gerade im für Horrorfilme so wichtigen Mittelteil (hier: im zweiten Trimester), in dem nur scheinbar wenig passiert, sich aber im Hintergrund die Spannung bis zum Zerreißen aufbaut, kommt IMMACULATE mitunter recht krude und planlos daher, stützt sich vorrangig auf seine Ästhetik und Referenzen, wirkt relativ vorhersehbar. Der bereits erwähnte Schluss, in dem die Hauptdarstellerin eine ihrer bislang intensivsten Szenen spielt, ist auf den Punkt und entschädigt für einiges. Daher, so das Vorfazit, taugt IMMACULATE für einen stimmungsvollen Horrorabend allemal. Über das üppige Mittelmaß ragt er ein wenig hinaus, vielleicht wird er in der einen oder anderen Top 10-Liste der diesjährigen Schauerfilme aufblitzen, zu den aktuell prägenden Horrorwerken ist er aber nicht zu zählen.
Das Mediabook von capelight pictures
… bietet den Hauptfilm auf UHD und Blu-ray mit dem angesprochenen, nur 10-minütigen Interview-Feature mit Sweeney, Regisseur Michael Mohan, mit dem Sweeney bereits mehrfach zusammengearbeitet hat (THE VOYEURS, 2021; die Netflix-Serie EVERYTHING SUCKS!, 2018) und zwei weiteren Darsteller/innen. Das Videofeature bietet keinen tiefgehenden Mehrwert, berichtet oberflächlich über das Projekt und die zu spielenden Figuren. Im 24-seitigen Booklet, das über die Hälfte an seitenfüllenden Bildern enthält, wird das im Interview-Feature nur angekratzte Projekt schriftlich – etwas – gehaltvoller unterfüttert, jedoch handelt es sich hierbei nicht um einen analytischen oder kontextualisierenden Text, der/die Verfasser/in bleibt zudem unbekannt, auch wenn ein Quellenverzeichnis aufgeführt wird. Als weiteres Extra ist eine 13-minütige Featurette (Behind the scenes) vertreten, die ebenso kaum Mehrwert bietet. Das Beste am Bonusmaterial ist noch der Audiokommentar des Regisseurs, der über die Laufzeit des Films eher noch Motive und Hintergründe etwas dichter vermittelt, sich aber immer wieder auch in Anekdoten verliert und keine wirklich beeindruckende Handschrift des Machers erkennbar werden lässt. Am Ende ist die Ausstattung für ein Mediabook etwas spärlich, gerade auch im Hinblick auf das Booklet, eine Amaray-Variante hätte in diesem Fall ausgereicht. Ton- und Bildqualität des Hauptfilms sind, insbesondere bei der 4K-Disc, über alle Zweifel erhaben; da der Film mit 89 Minuten recht kompakt ist, fallen die lediglich 23 Minuten Video-Bonus (plus 2 Minuten Trailer) auch hier nicht ins Gewicht.
Sammler werden sich freuen, dass beim äußeren Design des Mediabooks akribisch auf eine Passung zum bereits 2022 über capelight/Plaion erschienenen Mediabook zu Paul Verhoevens BENEDETTA geachtet wurde. Wer also beide capelight-Editionen nebeneinander ins Regal stellt, hat bis in die Schriftart und -größe am Spine zwei schwesterngleiche Produkte, deren präsentierte Filme man grob unter der Kategorie „Nonnen-Thriller“ einordnen kann, auch wenn beide Filme jeweils anders funktionieren. Der frühere ist eine Verhoeven-typischer Tabubruch, der zwischen okkultem Drama und Nunsploitation mäandert, Mahons/Sweeneys Film begibt sich stärker in Horrorgefilde.
Fazit
Mit IMMACULATE liegt ein grundsätzlich sehenswerter Vertreter des modernen Nonnenfilms vor, der sein Hauptaugenmerk auf Horror legt und die entsprechenden Bilder liefert. Hübsche Referenzen an Genrefilme der 1960er bis 1980er und eine starke Performance von Sydney Sweeney entschädigen für einige Ungereimtheiten in der Story und die fehlende Vision. IMMACULATE ist nicht das kleine Meisterwerk, das er gern wäre, für einen stimmungsvollen Filmabend reicht er allemal. Die Mediabook-Edition ist hübsch aufgemacht, aber inhaltlich nur bedingt zu empfehlen. Mit Gottes Gnaden vergeben wir 3 von 5 Nonnenpunkten.
Titel, Cast und Crew | Immaculate (2024) |
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Poster | |
Release | seit dem 25.07.2024 im Mediabook (Ultra HD Blu-ray + Blu-ray) und auf Blu-ray erhältlich. Direkt beim Label bestellen. |
Regie | Michael Mohan |
Trailer | |
Besetzung | Sydney Sweeney (Cecilia) Álvaro Morte (Pater Sal Tedeschi) Benedetta Porcaroli (Schwester Gwen) Dora Romano (Mutter Oberin) Giorgio Colangeli (Kardinal Franco Merola) Simona Tabasco (Schwester Mary) Niccolò Senni (Zollbeamter) Giampiero Judica (Dr. Gallo) Betty Pedrazzi (Schwester Francesca) Giuseppe Lo Piccolo (Diakon Enzo) Giulia Heathfield Di Renzi (Schwester Isabelle) |
Drehbuch | Andrew Lobel |
Kamera | Elisha Christian |
Musik | Will Bates |
Schnitt | Christian Masini |
Filmlänge | 89 Minuten |
FSK | ab 18 Jahren |
Liebt Filme und die Bücher dazu / Liest, erzählt und schreibt gern / Schaltet oft sein Handy aus, nicht nur im Kino / Träumt vom neuen Wohnzimmer / Und davon, mal am Meer zu wohnen