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Im Zeichen des Bösen (1958) – Filmkritik

„Grenzen ohne Zäune“

Die Aussage „Muss man gesehen haben“ wird zu gern in Filmkreisen benutzt. Meist enttäuscht sie, vor allem dadurch, dass diese Art der Empfehlung auf Klassiker der Filmgeschichte getroffen wird, die für heutige Sehgewohnheiten zu langsam und vorhersehbar sind. Dies gilt aber nicht für IM ZEICHEN DES BÖSEN. Eine agile Kameraführung, groteske Charaktere und eine Welt, die es heute so nicht mehr gibt, sind nur ein paar Elemente, die selbst über 50 Jahre später ein spannendes Erlebnis bereiten. Das ist vor allem der Legende Orson Welles vor wie auch hinter der Kamera zu verdanken, der seiner Zeit weit voraus war und für den Grenzen dazu da waren, ignoriert zu werden.

© Plaion Pictures

Handlung

An der Grenze zwischen Mexiko und den USA lässt sich Vieles konsumieren und erleben, was im amerikanischen Regelwerk verboten ist. In dieser Grauzone floriert die Kleinstadt Los Robles mit Drogenhandel und Prostitution. Als der Geschäftsmann Linnecar mit seiner jüngsten Affäre gerade wieder die Grenze in die USA passiert, explodiert sein Wagen. Beide Insassen sind tot und die Ermittlungen beginnen. Von der amerikanischen Seite wird der unverwechselbare Captain Hank Quinlan (Orson Welles) ins Rennen geschickt. Durch die Bekanntheit des Opfers wird eine schnelle Ergreifung des Bombenlegers gefordert. Das Dynamit wurde jedoch auf mexikanischem Grund und Boden im Kofferraum platziert und deswegen kommt der gesetzestreue, mexikanische Ermittler Miguel Vargas (Charlton Heston) hinzu. Doch seine Stimme der Vernunft zählt wenig im Gefolge des aufbrausenden und rassistischen Quinlan. In den nächsten 24 Stunden wird sich zeigen, wer das Gesetz vertritt und wer denkt, dass es sowieso immer auf seiner Seite steht.

© Plaion Pictures

Film noir mit Ausrufezeichen

In der Kernzeit des Film noir gilt DIE SPUR DES FALKEN (THE MALTESE FALCON, 1941) als erster Vertreter der klassischen Ära und IM ZEICHEN DES BÖSEN (THE TOUCH OF EVIL, 1958) als letzter Film dieser Epoche. Es ging danach stetig weiter – zum Beispiel mit AUGEN DER ANGST (PEEPING TOM, 1960) und im späteren sogenannten Neo-Noir wurden bekannte Merkmale weiterentwickelt oder referenziert. Aber IM ZEICHEN DES BÖSEN ist ein ungewöhnliches Meisterstück aus dieser Film-Noir-Kernepoche, ein Schlussstrich, wenn man so will. Zuallererst fällt die virtuose Kameraführung dirigiert von Regisseurs Orson Welles auf. Die erste Szene mit einer dreiminütigen Plansequenz hat bereits Geschichte geschrieben und ist heute noch beeindruckend. Nach einer Nahaufnahme der tickenden Bombe, die in einem Kofferraum verstaut wird, schwebt die Kamera über der Grenzstadt und fängt das ausgelassene Nachtleben ein. Die Perspektive folgt dem unwissenden Paar mit ihrer explosiven Ladung bis hin zu einem Kuss des Ehepaars Vargas, welcher durch die Detonation harsch unterbrochen wird.

© Plaion Pictures

Zusätzlich wird die ganze Handlung meist von unten gefilmt. Die Akteure wirken bedrohlich und unbeweglich. Damals wurde zum ersten Mal eine handliche 35-mm-Kamera genutzt – das französische Modell Camérette kommt zum Einsatz – so dass sie der investigativen Entourage auf Schritt und Tritt folgen kann. Manchmal zwängt sie sich sogar mit drei Leuten in den Fahrstuhl und der Protagonist muss die Treppe nehmen. Welles ließ die Kamera sogar auf die Motorhaube eines Autos schrauben und sie filmte ohne weiteres Personal die Fahrt von Charlton Heston und Mort Mills, der Al Schwartz spielt, durch die engen Nebenstraßen. Die Lichtsetzung erfolgt ebenfalls meist von unten. Das zeigt diabolische Schatten auf den Gesichtern und den Wänden dahinter. Die Stimmung erhält durch dieses Mittel eine flirrende Spannung der Hitze einer Sommernacht. Der Druck auf den Ermittlungen wird spürbar und dunkle Seiten der Charaktere kommen zum Vorschein.

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Ermittlungen, Mordfall und das Gesicht des organisierten Verbrechens sind Merkmale des Film noir, jedoch bildet IM ZEICHEN DES BÖSEN mit der Figur der Ehefrau Susan Vargas (Janet Leigh) eine besonders selbstständige Frau abseits der verhängnisvollen Femme fatale. Sie trotzt bereits zu Beginn der sie umgebenden Machowelt, lässt sich nicht einschüchtern und steht der Tapferkeit ihres Mannes um nichts nach. Das sind wahrlich ungewöhnliche Flitterwochen für die Vargas – sie ist Amerikanerin und er ist Mexikaner. Der Mordfall hat Priorität und selbst dem Druck im Nebenhandlungsstrang des Syndikats rund um die Familie von Onkel Joe Grandi (Akim Tamiroff), hält die taffe Frau fast bis zum Ende stand. Für die 1950er Jahre wird dieses Paar ungewöhnlich gewesen sein und selbst heute noch, macht es Freude beiden Charakteren zu folgen.

© Plaion Pictures

Der Schurke

Schnell wird klar, dass der Täter gar nicht so wichtig in diesem Kriminalfall zu sein scheint. Der brennende Springbrunnen zu Beginn weist in die Richtung, in der Gesetze nicht mehr gelten. Immer weiter stellt sich heraus, dass es eher Quinlan ist, der zu Fall gebracht werden sollte. Sein umfangreicher Leib schwitzt, verdeckt die Sicht und seine (Vor)Urteile sind bereits gefällt – alles unter dem Schein seines Instinkts, der mit seinem hinkenden Bein Symbolkraft verliehen bekommt. IM ZEICHEN DES BÖSEN gelingt es – auch dank der Darstellung Orson Welles – dem korrupten Cop eine Geschichte und Persönlichkeit zu geben. Seine verstorbene Frau (der letzte ungelöste Fall in seiner Karriere), sein Alkoholkonsum („Ich trinke nicht mehr.“ – mit dem Glas bereits in der Hand), seine Verbindung zum Partner Sgt. Pete Menzies (Joseph Calleia), der ihm sein Leben verdankt, und die alte Liebe in Form der Wahrsagerin Tana (Marlene Dietrich). All diese Elemente und die Veränderungen an der Figurenentwicklung von Quinlan machen ihn zum eigentlichen Protagonisten und Oberschurken des Films und nicht Charlton Heston als Saubermann Miguel Vargas, der sogar das Finale übersteht ohne eine Waffe abzufeuern.

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Die Geschichte hinter dem Director’s Cut

Genauso, wie IM ZEICHEN DES BÖSEN ein Meisterwerk des Film noir darstellt, reiht sich die Produktion in die legendenumwobene Biografie von Orson Welles. Der Film war seine letzte Produktion in Hollywood. Universal feuerte Welles noch vor dem Final Cut aus der Produktion und ließ das Projekt von Ernest Nims mit Zuspruch des damaligen Studioboss Ed Muhl zu Ende bringen. Muhl und Welles verbargen nie ihre offene Feindseligkeit gegeneinander. Dem ausführenden Produzenten Ernest Nims ist zumindest zu verdanken, dass die 95-minütige Kinofassung ein grobes Ganzes entstehen ließ. Universal Studios zeigte Orson Welles noch vor dem Kinostart die Fassung, welche auch neue Szenen beinhaltete, die in Abwesenheit von Welles nachgedreht wurden. Welles machte sich während der ganzen Vorstellung Notizen und diktierte seiner Sekretärin am Tage darauf ein 58-seitiges Memorandum, wie IM ZEICHEN DES BÖSEN seiner Meinung nach noch zu retten war. Universal ignorierte das Pamphlet, Welles kehrte Hollywood den Rücken zu und drehte nie wieder einen Film in den USA. Die kurze Kinofassung lief in den Lichtspielhäusern mit durchschnittlichen Einnahmen und schwachen Kritiken, abgesehen von ein paar positiven aus Europa und wenigen in den USA.

© Plaion Pictures

Mitte der 1990er-Jahre gelangte eine Seite dieses Memorandums in die Hände des noch unbekannten Rick Schmidlin, damals eher als Werbefilmer bekannt. Er liebte den Film und wollte aber die wahre Orson-Welles-Version sehen bzw. zusammenschneiden lassen. Mit etwas Glück nervte er die richtigen Leute bei Universal, die mittlerweile eine Generation später anders über die Ikone Welles dachten. Alle Seiten des Memorandums wurden wiedergefunden und Schmidlin klopfte bei Filmeditor- und Soundeffekt-Koryphäe Walter Murch (DER DIALOG, APOCALYPSE NOW) an die Tür seines kalifornischen Farmhauses – seine Scheune hatte sogar einen eigenen Schnittraum. Murch war dabei, nachdem er die 58 Seiten las, die manchmal ganz pragmatisch waren, wie das Entfernen einer Großaufnahme. Nach ca. 50 Schnitten am Originalnegativ mit Hilfe des digitalen Schnitts, entstand 1998 ein 111-minütiger Director’s Cut. Wohlgemerkt ohne das Hinzufügen von herausgeschnittenen Szenen, den die hatten Murch und Schmidlin nicht. Eine der bedeutendsten Änderungen war gleich der Beginn mit der minutenlangen Plansequenz. Murch entfernte die Titel und die Musik von Henry Mancini. Hinzu kamen Geräusche der Straße, Stimmen und Atmosphäre an der Grenzstadt. Der Effekt auf sein Publikum war ein viel intensiveres Erlebnis, denn die Bombe explodiert exakt nach 3:20 Minuten, wie es in der ersten Nahaufnahme zu lesen ist. Dadurch, dass die Musik keinen Countdown suggerieren konnte, wusste man nicht, wann und ob überhaupt die Bombe hochgehen würde.

© Plaion Pictures

Die Arbeit an dem Director’s Cut wurde von einem 12-seitigen Ton-Memo, das während des Neuschnitts noch entdeckt wurde, noch untermauert. Das Ergebnis ist ein dunkleres, intensiveres Erlebnis von IM ZEICHEN DES BÖSEN, welches noch mehr die Grenzen der Handlung hinterfragt. Somit stellt sich heute gar nicht die Frage, welche Fassung man sehen soll.

Fazit

Eine der längsten Grenzen der damaligen Welt verlief zwischen den USA und Mexiko. Sie kam ganz ohne Zaun aus. Dies ist der Ermittlungsort in einem Sumpf der Korruption und des Verbrechens, der aufzeigt, welche moralischen Grenzen das Gesetz bereits hinter sich gelassen hat. Orson Welles‘ IM ZEICHEN DES BÖSEN entfesselt die Besonderheiten des Film noir und des Mediums Film, auch dank der 1998er-Director’s-Cut-Fassung, noch heute. Muss man gesehen haben.

 

Gesehen im Zuge meiner Filmchallenge #FLUXScorseseMasterclass.

© Christoph Müller

Quellen:

Ondaatje, Michael (2002). Die Kunst des Filmschnitts – Gespräche mit Walter Murch. Carl Hanser Verlag München 2005

Silver, Alain (2022). Film Noir. Duncan, Paul & Müller, Jürgen (Hrsg.). TASCHEN

Westphal, Sascha (2020). IM ZEICHEN DES BÖSEN Mediabook-Booklettext. Koch Films/Plaion Pictures

 

Titel, Cast und CrewIm Zeichen des Bösen (1958)
OT: Touch of Evil
Poster
Releaseseit dem 23.07.2020 im Mediabook (2x Blu-ray) erhältlich.

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RegisseurOrson Welles
Trailer
BesetzungCharlton Heston (Miguel Vargas)
Orson Welles (Capt. Hank Quinlan)
Janet Leigh (Susan Vargas)
Joseph Calleia (Sgt. Pete Menzies)
Akim Tamiroff („Onkel“ Joe Grandi)
Mort Mills (Al Schwartz)
Joanna Moore(Marcia Linnekar)
Valentin de Vargas (Pancho)
Dennis Weaver (Nachtportier des Motels)
Ray Collins (Bezirksstaatsanwalt Adair)
Harry Shannon (Polizeichef Gould)
Marlene Dietrich (Tana)
Victor Millan (Manolo Sanchez)
Lalo Rios (Risto)
Zsa Zsa Gabor (Nachtclubbesitzerin)
Gus Schilling (Eddie Farnham)
DrehbuchOrson Welles
KameraRussell Metty
MusikHenry Mancini
SchnittVirgil W. Vogel
Aaron Stell
Edward Curtiss
Walter Murch (Director's Cut)
Filmlänge96 Minuten
111 Minuten (Director's Cut)
FSKab 16 Jahren

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