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Im Westen nichts Neues (1930) – Filmkritik

Manchmal läuft in der Produktion vom Skript bis zur ersten Kinovorstellung alles ganz schnell. In diesem Fall entstand sogar ein Monument von einem Filmklassiker, der nun fast schon 100 Jahre einen langen Schatten auf weitere Projekte warf und das Kriegsfilmgenre definierte. IM WESTEN NICHTS NEUES ist der erste große Anti-Kriegsfilm aus Hollywood. Er basiert auf dem 1928 erschienenen Roman von Erich Maria Remarque. Kurz darauf wurden von Universal-Filmstudio-Gründer Carl Laemmle Sr. – ein amerikanischer Filmproduzent mit schwäbischen Wurzeln – die Filmrechte erworben und bereits 1929 ging es in die Vorproduktion. 1930 dann der sensationelle Kinoerfolg, in Stummfilm- wie auch ersten Tonfilm-Kinos (es gibt zwei angepasste Filmversionen). Zwei Oscars von der Academy folgten und vor allem im nationalistischen Deutschland regte sich starker Widerstand gegen die ersten Aufführungen, die sogar im Verbot endeten. IM WESTEN NICHTS NEUES hat umfangreich Geschichte geschrieben und sie verändert. Jedem sei die Empfehlung gegeben, sich mit der Historie des Films auseinanderzusetzen. Hier soll es jedoch vor allem über die Stimmung und den filmischen Einfluss gehen, den das Werk von Lewis Milesone hinterlassen hat.

© Capelight Pictures

Handlung

Festtagsstimmung in Deutschland zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Bürger erzählen sich Gerüchte, wie viele tausende Gefangene das Deutsche Kaiserreich im Westen und Osten bereits macht. Militärparaden mit glänzenden Helmen ziehen durch die Städte und das Volk ist siegesgewiss. Selbst der Postbote Himmelstoß (John Wray) wird seine Uniform gegen eine militärische tauschen. Im Klassenzimmer macht Professor Kontorek (Arnold Lucy) Kriegsstimmung bei den jungen Männern, Rekrutierung voller Euphorie, ohne nur ansatzweise die Gefahren zu ahnen. Die gesamte Klasse meldet sich freiwillig für den Fronteinsatz. Nachdem die Schüler die preußische Ausbildung und die Exerzierschule hinter sich gelassen haben, landen sie direkt an der Westfront. Die Ausflugslaune verfliegt schnell, nachdem die ersten Granaten einschlagen und Leben fordern. Einen Platz zum Schlafen gibt es kaum und von täglichen Mahlzeiten fehlt jede Spur. Paul (Lew Ayres), der sympathische Anführer der Gruppe, trifft auf seinen Vorgesetzen Stanislaus „Kat“ Katczinski (Louis Wolheim), der militärischen Gehorsam minimal einfordert und die Grünschnäbel an die Front führt. Aus dem ersten Tag des „Stacheldrahtziehens“ wird ein mehrjähriger Überlebenskampf in den Schützengräben der Hölle: Stellungskrieg, der Gliedmaßen wie auch Leben fordert.

© Capelight Pictures

Naiver Start

Man hat ausreichend Kriegsfilme gesehen, so dass man bereits zu Beginn weiß, dass die freudige Erwartung Heldenmut auf dem „Feld der Ehre“ zu sammeln, nicht in Erfüllung geht. Krieg ist ungerecht, brutal und bezwingt die stärksten Charaktere. Man muss schon etwas schmunzeln, wie naiv die Gruppe in den Kampf startet, aber auch wie humorvoll die Inszenierung noch zu Beginn ist. Die Charaktere sollen schließlich ans Herz wachsen. Sie legen den strengen Spieß der Ausbildung übers Knie, klauen an der Front ein ganzes Schwein vom Zug und tauschen es gegen Zigaretten. Die schönen Lederstiefel eines Kameraden werden bewundert, aber diese werden noch zum grausamen Wanderpokal unter den Überlebenden. Für das damalige Publikum war dieser Wandel vom Unterhaltungsfilm zum Kriegsdrama sicherlich ein Schock, denn ein Happy End gibt es nicht. IM WESTEN NICHTS NEUES zeigt nicht den Krieg als Herausforderung, sondern als zähes Warten auf den Tod. Die Kameraden kauern in den notdürftigen Verschlägen im Schützengraben, müssen angreifen, zurückweichen und wieder angreifen. Eine gute Schlacht ist, wenn hinter der französischen Stellung Essen erbeutet wird, was man in der eigenen Stellung in sich hineinschlingen kann.

© Capelight Pictures

Die Brüche

Krieg allein nimmt die 141 Filmminuten nicht in Beschlag. Es gibt auch Szenen der Hilflosigkeit, wie bei einem sterbenden Freund am Krankenbett, der Kampf um die Gulaschkanonen oder der Versuch zu verstehen, was dieser Konflikt eigentlich bedeutet. Ein kurzes Aufatmen gibt es mit einer Szene am Fluss, in der die deutschen Soldaten Essen gegen die Gesellschaft von ein paar Französinnen tauschen. Sicher wird das Ganze etwas romantisiert vermittelt, aber man ahnt auch die Grausamkeiten, die an der zivilen Bevölkerung begangen wurden.

© Capelight Pictures

Der Einfluss

In aufwändigen Schlachten von hunderten Statisten wird der Krieg simuliert. Erdboden explodiert neben den rennenden Komparsen und die Kamera fliegt schier endlos die Gräben ab. Die Wände erzittern in den Studioaufnahmen, aber auch der noch junge Ton in der Filmgeschichte wird nuanciert und effektvoll eingesetzt. Der aktuellste Erste-Weltkriegsfilm unserer Zeit, 1917 aus dem Jahr 2019, begeistert vor allem durch seine technische Raffinesse als One-Shot-Movie (ein kompletter Film ohne sichtbare Schnitte). Die erzählerische Tiefe aus IM WESTEN NICHTS NEUES kann er jedoch nicht halten. 1917 ist atemloses Spektakel und IM WESTEN NICHTS NEUES ist ganz Offenbarung des grausamen Kriegsalltags. Der Klassiker ebnet auch den Weg für eine der wichtigsten Genreszenen: den Fronturlaub. Paul trifft auf seine kranke Mutter daheim. Sie hofft, dass er ausreichend zu Essen bekommt, da es sich in der Heimat jeder vom Mund absparen muss. Die Herren in der Kneipe geben großspurige Tipps wie der Krieg geführt werden soll und dann begegnet Paul den Schülern, die bald selbst in den Krieg ziehen wollen, wie er es vor Jahren getan hat. Der Fronturlaub ist wohl die bewegendste Szene des Kriegsfilms, so nah wieder zuhause zu sein, dort aber nicht mehr klarzukommen und sogar wieder an die Front zurückzuwollen. Man muss unweigerlich an TÖDLICHES KOMMANDO (THE HURT LOCKER, 2008) denken, wenn Jeremy Renner im Supermarkt vor einer Wand aus Frühstücksflocken steht.

© Capelight Pictures

Zudem legte 1930 IM WESTEN NICHTS NEUES die Basis, Krieg nicht nur als Heldentat in den Kinos darzustellen, sondern als ein Todesroulette. Der Erste Weltkrieg ist auch in der Hinsicht eine Premiere, als erste technisch moderne Kriegsführung mit Waffen wie Langstrecken-Artillerie, Minen und chemischen Gasen. Kraft, Intelligenz und Mut der Männer sind nicht mehr für das Überleben entscheidend. Die Buchvorlage, wie auch dieser Filmklassiker zeigen dies auf gnadenlose Weise. Die amerikanischen Zuschauer waren geschockt, denn sie kannten nur die positiven Nachrichten der Kriegsmaschinerie und schon gar nicht die Seite des deutschen Feindes, der eine Generation junger Männer dem Kaiserreich opferte.

© Capelight Pictures

Klassiker in bester Aufarbeitung

IM WESTEN NICHTS NEUES wurde bereits vielfach von Universal Pictures auf Blu-ray ausgewertet. Jedoch stets in der internationalen Fassung (133 Minuten) und mit mickrigem Bonusmaterial. Das Berliner Filmlabel Capelight Pictures wollte den Hollywood-Meilenstein mit stark deutschem Bezug eine würdige Veröffentlichung verschaffen, die auch den Prozess, den der Film und seine Synchronisationen durchlaufen hat, widerspiegelt. Mission gelungen. Für Filmsammler gibt es eine 6-Disc-Ultimate Edition, welche zwei 3-Disc-Mediabooks bereithält. Das HD-Master der internationalen Fassung legte den Grundstein für das gute Bild und wurde mit fehlenden Szenen der ursprünglichen Langfassung mühevoll zusammengeschnitten. So dass es jetzt möglich ist, IM WESTEN NICHTS NEUES in einer 141:30-minütigen Langfassung zu sehen. Nicht nur in Deutsch, sondern gleich in drei verschiedenen Synchronfassungen (1984, 1995 und 2005). Die englische Tonfassung ist ebenfalls enthalten, leidet jedoch deutlich im akustischen Bereich. Die zusätzlichen Szenen gegenüber der internationalen Fassung sind in ihrer Bildqualität deutlich zu erkennen, jedoch möchte man keine einzige davon missen.

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Wem die auf 2.500 Exemplare limitierte Auflage zu umfangreich ist, sollte zum 3-Disc-Mediabook greifen. Hier sind ebenfalls die drei Synchronfassungen enthalten, wie auch die zwei Filmfassungen (2x BD und 1x DVD). Außerdem stellt ein 46-seitiges Booklet von Prof. Hans Beller mit einem Text zum Erfolg des Buchs wie auch der aufregenden Produktion des Films einen starken Mehrwert dar. Sammler greifen zur großen Box, Filmgeschichtsfans wird das Mediabook ausreichen. In beiden Fällen ist es Top-Qualität.

Fazit

Endlich muss man hierzulande bei einem so wichtigen Vertreter der Filmgeschichte nicht auf den internationalen Markt ausweichen und über mögliche Zollgebühren wie auch Versandkosten in Schweiß ausbrechen. Die Capelight-Pictures-Veröffentlichung von IM WESTEN NICHTS NEUES wird noch lange ein Referenz-Schwergewicht für Filmklassiker darstellen. Bravo!

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewIm Westen nichts Neues (1930)
OT: All Quiet On The Western Front
Poster
Releaseseit dem 04.11.2022 im Mediabook (2x Blu-ray + DVD) und in einer 6-Disc-Ultimate-Edition erhältlich.

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RegisseurLewis Milestone
Trailer
BesetzungLouis Wolheim (Kat)
Lew Ayres (Paul)
John Wray (Himmelstoß)
Arnold Lucy (Kantorek)
Ben Alexander (Kemmerich)
Scott Kolk (Leer)
Owen Davis Jr. (Peter)
Walter Rogers (Behn)
William Bakewell (Albert)
Russell Gleason (Mueller)
Richard Alexander (Westhus)
Harold Goodwin (Detering)
Slim Summerville (Tjaden)
G. Pat Collins (Bertinck)
Beryl Mercer (Pauls Mutter)
Edmund Breese (Herr Meyer)
DrehbuchGeorge Abbott
Del Andrews
C. Gardner Sullivan
VorlageNach dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque
KameraArthur Edeson
Karl Freund
MusikSam Perry (Stummfilmfassung)
Heinz Roemheld (Stummfilmfassung)
SchnittEdgar Adams
Filmlänge133 Minuten (Int. Fassung)
141 Minuten (Langfassung)
FSKab 12 Jahren

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