„Ruhm ohne Glanz“
Ich liebe Sportfilme. Das liegt sicherlich auch an meinen eigenen Hobbys, aber der Begriff Sport ist für mich viel mehr als ein Zeitvertreib für die eigene Gesundheit. Für ein Ziel hart zu trainieren, sich darauf zu fokussieren, das entstehende Selbstvertrauen über die eigenen Grenzen hinausgewachsen zu sein und das Erlernen auch verlieren zu können sind es, welche Sport ausmachen. Dadurch steckt viel Leben und Erkenntnis in den Biografien von Sportlern: Die Arbeit, um der Beste zu werden, der Ruhm als Belohnung und meist der harte Aufprall nach den eigenen Erfolgen. Bei der Eiskunstläuferin Tonya Harding war dieser Kampf um Platz 1 nicht nur ein körperlicher, sondern er war auch bestimmt durch den Willen, ihre Herkunft zu verlassen und vor allem ihrer Mutter zu entgehen.

Inhalt „I, Tonya“
Im zarten Alter von vier Jahren hat Tonya (Margot Robbie) bereits mit dem Eiskunstlaufen begonnen. Sie wies ältere Konkurrenten bereits früh in ihre Schranken und die betuchte Eiskunstlauf-Gemeinschaft musste sich mit dem Gedanken anfreunden, dass ab sofort eine arme Göre aus der White Trash-Unterschicht die Spitze beanspruchte. Tonya passte mit ihrem Verhalten nicht in die Prinzessinnenoptik des elitären Sports, denn sie kam ganz nach ihrer Mutter. LaVona Harding (Allison Janney) ist eine der härtesten Mütter mit einem Mundwerk wie ein Bauarbeiter.
Zu Hause wurden Konflikte zwischen Mutter und Tochter auch körperlich ausgetragen. Kein Mann hielt es lange bei ihr aus und Schnaps mit Kaffee ist ihr tägliches Elixier. Es vergeht kein Tag, an dem sie Tonya nicht runtermacht, alles unter der absurden Erkenntnis, dass ihre Tochter am besten läuft, wenn sie wütend ist. Mehr möchte ich gar nicht verraten, denn der Rest ist bereits Sportgeschichte, denn Tonya Harding gab es wirklich und I, TONYA erzählt die verrückte und tragische Karriere mit viel Humor und jeder Menge Biss.

Nicht ohne Margot Robbie
Die Produktionsfirma LuckyCap Entertainment von Margot Robbie hatte sich die Rechte für die Lebensgeschichte Tonya Hardings gesichert. Der Drehbuchautor Steven Rogers führte mehrere Interviews mit Tonya, ihrer Mutter und dem Ex-Ehemann. Dadurch erhielt er viele unterschiedliche Versionen der Karriere der Eiskunstläuferin und ihrem Leben. Das hatte auch Einfluss auf die Erzählperspektive des Films, denn es werden jene Interviews mit den Darstellern nachgespielt, die immer wieder in die unterschiedlichen Abschnitte des Spielfilms eingebaut werden. Somit gibt es viele Zeitsprünge und die Handlung bleibt abwechslungsreich. Außerdem spricht Tonya immer wieder mit dem Zuschauer und durchbricht die „Vierte Wand“ wie es bei DEADPOOL oder in der Netflix-Serie HOUSE OF CARDS gestalterisch oft genutzt wird.
Die drei schauspielerischen Zugpferde: Robbie, Janney und Sebastian Stan (LOGAN LUCKY, AVENGERS: INFINITY WAR) als ihr Ehemann Jeff verschmelzen perfekt mit ihren Figuren. Dies war es auch, was die Kritiker begeisterte und drei Oscar-Nominierungen für I, TONYA einbrachte. Leider schaffte es der Film mit anderen Aspekten der Filmgestaltung nicht in die positiven Anerkennungen und das hat auch seinen Grund.

Der Fokus fehlt
Die Kameraarbeit ist solide und auch die visuellen Effekte, die zum Beispiel Margot Robbie einen Dreifachen-Axel springen lassen, fügen sich gut in die Produktion von I, TONYA ein. Aber es fehlt die konkrete Aussage oder vielmehr die Essenz ihrer Biografie. Es von der Unterschicht zu medialem und finanziellem Erfolg zu schaffen, ist harte Arbeit und Tonya scheitert daran, weil ihre Herkunft – personifiziert durch ihren gewalttätigen Ehemann Jeff und die eiskalte Mutter – sie wie Schwerkraft immer wieder nach unten ziehen. Sie trainiert hart und mit einfachen Methoden, was leider im Film etwas untergeht und das meist nur, um der nächsten Prügelei des Ehepaars beizuwohnen.
Es fehlt die Verwandlung zur Sportikone und für ein Drama sind leider zu viele Humorelemente im Film.
Klar sind die Figuren nicht gerade mit Intelligenz gesegnet und vollführen die dümmsten Taten, wie zum Beispiel eine Glastür mit dem eigenen Kopf einzuschlagen anstatt den Schlagstock in der Hand zu benutzen, jedoch gelingt die Balance zwischen Drama und Humor nicht. Das hat man zum Beispiel bei den Coens in FARGO viel intensiver erlebt. Hier sind auch dumme Kriminelle am Werk, sie verlieren jedoch nicht ihre gefährliche Aura. Deswegen verpufft leider auch der letzte Wettkampf zum Filmfinale gänzlich, was immer ein wichtiger Bestandteil für einen Sportfilm ist, und die Hinweise zum Ende, was welche Hauptfigur jetzt gerade macht, plätschern leider auch nur noch so dahin.

Fazit
Nichtdestotrotz bleibt I, TONYA eine Filmempfehlung, allein wegen der extrem guten Performance der Schauspieler und dem erlesenen Soundtrack. Es werden leider nicht alle Erwartungen an einen solchen Kritikerliebling des Jahres erfüllt, aber dies hängt auch von den eigenen Ansprüchen an den Film ab. An die Intensität von MONEYBALL oder FOXCATCHER reicht es für mich leider nicht heran.
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter