Die fünfte Fortsetzung der Hellraiser-Reihe zitiert neben dem ersten Teil HELLRAISER – DAS TOR ZUR HÖLLE (1987) am deutlichsten literarische und cineastische Vorbilder: die Hauptfigur ist wie in ANGEL HEART (1987) ein mit seinen eigenen Dämonen konfrontierter Ermittler und die Cenobites ähneln optisch stark den seltsamen Jenseits-Wesen – nur diesmal im SM-Outlook – aus JACOB’S LADDER – IN DER GEWALT DES JENSEITS (1990)[1]. Sicher ist HELLRAISER V nicht mit diesen Klassikern vergleichbar, aber er ist ein atmosphärisch dichter Horrorfilm, der eine der unangenehmsten Fragen der Philosophie aufwirft.
Handlung
Der korrupte und kokainabhängige Detective Joseph Thorne (Craig Sheffer) öffnet eine geheimnisvolle Puzzle-Box, die er einem Toten entwendet hatte. Fortan begegnen ihm immer wieder dämonische Wesen mit bizarren Entstellungen, was zugleich Auftakt einer unheimlichen Mordserie ist: eine Sexarbeiterin (Sasha Barrese) wird kurz nach Thornes Besuch tot in ihrer Badewanne gefunden. Mehrere Personen aus seinem Umfeld – darunter Thornes Partner Tony (Nicholas Turturro), der ihn des Mordes verdächtigt und den Thorne umgekehrt mit gefälschten Beweisen belastet – werden gefoltert und getötet. Eine mystische als „Ingenieur“ bezeichnete Figur soll hierfür verantwortlich zu sein. Schließlich steht Thorne Pinhead (Doug Bradley) gegenüber.
Interpretation
Bereits der Name der Hauptfigur erinnert an Detective Robert Thorn, dargestellt von Charlton Heston aus … JAHR 2022 – DIE ÜBERLEBEN WOLLEN … (SOYLENT GREEN, 1973). Trotz der unterschiedlichen Handlungen gibt es deutliche Parallelen hinsichtlich der jeweiligen Hauptfigur: Beide stehlen an Tatorten, sind ebenso korrumpiert wie die Gesellschaft, in der sie leben und enden schließlich in einer Spirale von Hoffnungslosigkeit. HELLRAISER V bedient sich deutlich der Elemente des Film Noir, der auch bereits den Hellraiser-Erfinder Clive Barker zu seinem Detektiv Harry D’Amour inspirierte: seinen ersten Auftritt hat D’Amour in der Kurzgeschichte DIE LETZTE ILLUSION und in der gleichnamigen Verfilmung (THE LAST ILLUSION, 1995). In Barkers Roman DAS SCHARLACHROTE EVANGELIUM (The Scarlet Gospels, 2015) kämpft er schließlich gegen Pinhead. Auch das Prinzip des Videobands, dessen Aufzeichnung nicht den Erlebnissen der Hauptfigur entsprechen und in der Barker-Verfilmung CANDYMAN’S FLUCH (CANDYMAN, 1992) Anwendung fand, taucht hier wieder auf.
Atmosphärisch schafft der Film eine enge Verbindung von klassischen Geistergeschichten wie THE SIGNAL-MAN (Der Bahnwärter, 1866) von Charles Dickens – dessen Friedhofsgespenst mit der übergroßen Zunge aus dem PICKWICK CLUB (1837) scheint das direkte Vorbild für den mordenden Cenobite gewesen zu sein – und dem modernen Horror eines Stephen King. Wie Lester Billings aus der Nachtschicht-Erzählung DAS SCHRECKGESPENST (The Boogeyman, 1978) wird auch Thorne mit dem Verlust von Familienangehörigen konfrontiert und sucht einen Psychiater (James Remar) auf. Dieser erläutert ihm die Funktion der Lemarchand-Box – und stellt sich schließlich selbst als Cenobite heraus. Eine der zentralen Aussagen aus DER STURM DES JAHRHUNDERTS (Storm of the Century, 1999): „Hölle hat etwas mit Wiederholung zu tun,“ gehört zu den wesentlichen Aspekten der Handlung. Dieses philosophische Konzept der ‚Ewigen Wiederkehr des Immergleichen‘ wurde erstmals 1882 von Friedrich Nietzsche formuliert. Er schreibt in Die fröhliche Wissenschaft:
„wenn dir eines Tages oder Nachts ein Dämon in deine einsamste Einsamkeit nachschliche und dir sagte: »Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Große deines Lebens muss dir wiederkommen, und alles in derselben Reihe und Folge – und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!« – Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete?“
Thorne versucht diesen ewigen Kreislauf auf unterschiedliche Weise zu entkommen – mehrmals als das Publikum schon das Ende des Films erwartet, setzt ein neuer, origineller Handlungsstrang ein. Ein Manko des Films liegt sicher darin, die Ereignisse einzig als Bestrafung Thornes darzustellen. Hier wird die Ambivalenz der Lemarchand-Box ausgeblendet: wer diese öffnet, sucht nach ewiger Lust, was auch in Nietzsches Gedankengang vorkommt. „Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt, wo du ihm antworten würdest: »du bist ein Gott und nie hörte ich Göttlicheres!«“[2] Bei Cenobites scheint alles möglich zu sein.
Quellen:
- [1]Ein VHS-Verleihtitel dieses Films lautete DANTE’S INFERNO.
- [2]Alle Zitate: Nietzsche, Friedrich (2006): Die fröhliche Wissenschaft. Stuttgart. S. 230 f.
„Erste Horror-Begegnung mit der Alptraum-Sequenz aus NEVER CRY WOLF (1983), mag Unheimliches von den Gebrüdern Grimm bis Clive Barker, am liebsten auf der Leinwand, würde gerne einmal Nosferatu in Murnau sehen und Suspiria am Königsplatz, dazu Weißwürste mit süßem Senf, Soziologe und Kriminologe, Abschlussarbeit über SHINING und CANDYMAN (als Buch erschienen unter dem Titel „Zeichen der Gewalt“, Berlin 2015), Studienleiter bei der Interfilm-Akademie München (Projekte u. a. Kriminologische Filmreihe in Hamburg)“