„Als Geld keine Rolle spielte“
Letztens saß ich mit einem Freund vor der deutschen Kino-Startliste für 2018. Je weiter wir durch die zukünftigen Wochen scrollten, umso mehr sahen wir nur Remakes, Fortsetzungen und gähnende Langeweile in Sachen Originalität. Für das Jahr 2019 wurde es noch eintöniger, fast alle Filmtitel hatten Zahlen am Ende. Vielleicht ist jetzt wieder die Zeit angebrochen, sich mit alten Filmen zu beschäftigen. 100 Jahre Filmgeschichte werden doch noch ein paar unbekannte Kracher zu bieten haben. Und da kommt Capelight mit HEAVEN’S GATE um die Ecke. Zugegeben, ich bin auch anfällig für Monumentalwerke, aber dieser, für mich noch unbekannte, aufwendig inszenierte Western mit Einwanderungsthematik, ist in unserer von CGI geprägten Filmwelt so erfrischend wie die ersten warmen Tage nach einem langen dunklen Winter.
Inhalt
James Avrill, gespielt von einem schon immer alt aussehenden Kris Kristofferson, hat 1870 seinen Harvard-Abschluss in der Tasche und zusammen mit seinem Studienfreund (John Hurt) die besten Voraussetzungen für eine glänzende Karriere. Die jungen Absolventen zieht es in den Westen, wo viel Land und rentable Unternehmungen nur so am Wegesrand liegen. 20 Jahre später finden sich beide in einem Konflikt zwischen Rinderbaronen und osteuropäischen Einwanderern im Herzen von Montana wieder. Die reichen Viehzüchter erstellen eine Todesliste mit 125 Siedlernamen, die wegen unbewiesener Anarchie und Diebstahl erschossen werden sollen. Aber eigentlich wollen sie nur deren Land und Avrill als Marshal scheint als Einziger etwas dagegen zu unternehmen. In diesem Kampf um Gerechtigkeit, gibt es auch noch Platz für die Liebe. Nathan Champion, gespielt von Christopher Walken, und Avrill werben um die schöne Ella Watson. Die Bordellbesitzerin Ella wird wunderbar leichtfüßig von der französischen Kino-Ikone Isabelle Huppert gespielt. Dies alles wird in einem monströsen Showdown enden, wie es sich für einen Western gehört. Aber wer wird den höchsten Preis zahlen?
Ein epochales Filmwerk hinterlässt eine tiefe Kerbe in der Filmgeschichte
HEAVEN’S GATE ist nicht nur mit seiner dreieinhalbstündigen Filmlänge ein beeindruckendes Kunstwerk, sondern auch durch seine Produktionsgeschichte. Der Regisseur und Drehbuchautor Michael Cimino (DIE LETZTEN BEISSEN DIE HUNDE) hatte 1978 mit DIE DURCH DIE HÖLLE GEHEN (THE DEER HUNTER) nicht nur die Kinokassen gefüllt, sondern auch jede Menge Auszeichnungen, darunter fünf Oscars, erhalten. Für HEAVEN’S GATE investierte die Produktionsfirma United Artists 7,5 Millionen Dollar Budget. Auf Grund des exzessiven Drehumfangs von mehreren Monaten durch Aufbauten ganzer Straßenzüge und vieler Unfälle, erhöhten sich die Kosten auf 40 Millionen Dollar. Der Film wurde zu einem Risikoinvestment.
Nach einer Woche in den amerikanischen Kinos sowie ersten oberflächlichen und schlechten Kritiken machten MGM und United Artists einen Rückzieher. Sie kürzten den Film um eine gute Stunde und versuchten einen erneuten Kinostart. Dies verwirrte das Publikum umso mehr und die Kartenverkäufe blieben aus. United Artists musste daraufhin von MGM gekauft werden, um das Studio vor dem Bankrott zu bewahren. HEAVEN’S GATE ging nicht nur über diesen Misserfolg mit einhergehendem Ruin eines erfolgreichen Filmstudios in die Kinogeschichte ein, sondern auch weil es den Endpunkt für die New Hollywood-Ära im Jahr 1980 setzte. Von nun an führten zum Beispiel Steven Spielberg und George Lucas mit ihrem Blockbusterkino die Kinocharts an. Als HEAVEN’S GATE in der langen Version im europäischen Kino startete, erfuhr dem Film, wegen seiner kompromisslosen Inszenierung, ein kleines Comeback und viel Anerkennung der Kritiker. Das änderte jedoch nichts daran, dass das Ende von Michael Ciminos Filmkarriere eingeläutet war. Der großartige IM JAHR DES DDRACHEN (1985) brachte leider nicht den ersehnten kommerziellen Erfolg und das Autorenfilmtalent Cimino verschwand spätestens nach einem schwachen 24 STUNDEN IN SEINER GEWALT (1990) traurigerweise von den Listen der Filmstudios.
Das Mediabook in einer 3-Disc Limited Collector’s Edition
Capelight Pictures konnte sich die Lizenz für das gelungene 2012er Criterion-Master von „Heaven’s Gate“ sichern. Die Bilder sind wunderschön restauriert und die gemäldegleichen Aufnahmen von Kameramann Vilmos Zsigmond mit einer von Cimino freigegeben Farbanpassung sind beeindruckend anzusehen. Ich empfehle allen, sich Zeit für den 217-minütigen Director’s Cut zu nehmen. Ich habe mir den Film aufgrund von Zeitmangel in zwei Etappen ansehen müssen und selbst das minderte nicht das Sehvergnügen. Die deutsche Synchronisation stellt eine kleine Herausforderung dar, da die Figuren in manchen Szenen schwer zu verstehen sind. Dafür hatte ich den Eindruck, dass noch nie bei einer 30-jährigen Neuauflage so viel der originalen Umgebungsgeräusche integriert wurden. Ein dickes Dankeschön an die Motivation von capelight, sich die Lizenzen für das über 90-minütige Bonusmaterial zu sichern. Bei so einer Produktionsgeschichte sind Interviews mit dem Filmteam (Cimino, Jeff Bridges und Kameramann Vilmos Zsigmond) und ein Making-of zur Restauration, Gold wert. Dieses Edelmetall hat es dann auch auf das Cover des schönen Mediabooks geschafft. Die Titelprägung in goldenen Lettern und eine Leinwandtextur des Mantels sehen fantastisch aus. Das 24-seitige Booklet von Kinoliebhaber Stefan Jung lässt keine Fragen zur Produktionshistorie offen.
Fazit
Eine bemerkenswerte Neuauflage eines umstrittenen und epochalen Meilensteins des Autorenkinos der New Hollywood-Ära. Für mich und sicherlich alle Filmliebhaber da draußen, eine willkommene Abwechslung im virtuellen Effekte-Alltag unserer Zeit. Ganze Straßenzüge, hunderte Statisten und aufwendige Kamerafahrten wurden selten so schön in einem Mediabook eingefangen. Ausgezeichnete Arbeit für wenig Geld!
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter