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Hausen – Staffel 1 | Serienkritik

Dass der deutsche Genrefilm seit Jahrzehnten mit Schnappatmung am Boden liegt, ist ein offenes Geheimnis. Viel lieber werfen Studios und Produzenten in Dauerschleife langweilige Krimis, „Betroffenheitsdramen“ [1] oder unsinnige Komödien als Massenware auf den gelangweilten Kinomarkt. Ja, gewiss, es gibt immer wieder den ein oder anderen Lichtblick, gerade in den letzten Jahren. Filme wie TEARS OF KALI (2004), ANTIKÖRPER (2005), DIE FARBE (2010), RAMMBOCK (2010), WIR SIND DIE NACHT (2010), EXTINCTION – THE G.M.O. CHRONICLES (2011), MASKS (2011), DER NACHTMAHR (2015), die Anthologie GERMAN ANGST (2015) und WIR SIND DIE FLUT (2016) lassen aufhorchen. Vor einigen Jahren erschien weitestgehend unbeachtet ein faszinierender Serienkiller unter dem Titel SCARS OF XAVIER (2017) der überzeugen konnte oder der spannende Science-Fiction-Film S.U.M. 1 (SUM 1, 2017). Eher unbeachtet erschienen LOCKDOWN – DIE STUNDE NULL (2017) und die kleine Produktion IMMIGRATION GAME (2017). Vergessen wir nicht die neuste deutsche Zombie-Apokalypse ENDZEIT (2018) sowie die aktuelle Weihnachtsanthologie DEATHCEMBER (2019). Bei der scheinbar großen Anzahl an Filmen keimt sofort die Hoffnung auf, dass im neuen Jahrtausend die lang erwartete Wiederauferstehung des deutschen Genrefilms schon im Gange ist. Freuen wir uns jedoch nicht zu früh. Zu wünschen wäre es diesem zu Unrecht verstoßenem Zweig der deutschen Filmkunst allemal. Wer sich ausführlicher mit den desaströsen, zum Teil mafiaähnlichen Zuständen in der deutschen Filmförderung befassen möchte, dem empfehle ich Michael Cholewas Bestandsaufnahme von 2019 [1].

© Sky Deutschland, Lago Film GmbH, Reiner Bajo

Handlung

Nach dem Tod seiner Mutter ziehen der 15-jährige Juri (Tristan Göbel) und sein Vater Jaschek (Charlie Hübner) in einen heruntergekommenen Plattenbau am Rande der Stadt. Während Jaschek versucht, als Hausmeister des maroden Gebäudes eine neue Existenz für sich und seinen Sohn aufzubauen, entdeckt Juri nach und nach, dass das Haus ein bösartiges Eigenleben besitzt. Über viele Jahre hinweg hat sich hier etwas Dunkles eingenistet, das schleichend vom Schmerz und dem Leid seiner Bewohner lebt. Juri muss nicht nur die feindseligen und apathischen Bewohner zur Zusammenarbeit bewegen, sondern sich auch gegen das Regime seines Vaters auflehnen, wenn sie diesen Alptraum überleben wollen.

© Sky Deutschland, Lago Film GmbH, Reiner Bajo

Metaphern und Plattenbau

Das neben Netflix und Amazon-Prime auch der Bezahlsender Sky fantastische Stoffe zu erfolgreichen TV-Serien transformieren kann, haben die Verantwortlichen in den letzten Jahren mehrfach unter Beweis gestellt. Beste Beispiele sind da FORTITUDE (2015-2018) oder DER PASS (2018-2021). Nun legt Sky noch eine Schippe drauf und präsentiert uns die erste deutsche Horror-Serie. Entstanden ist HAUSEN in einem leerstehenden Krankenhaus der ehemaligen DDR in Berlin-Buch. Nach aufwendigen Umbauten entstand diese labyrinthartige Wohnlandschaft, die viel zur bedrückenden Atmosphäre der Story beiträgt. Der Hochhauskomplex wurde am Ende mithilfe von CGI auf das bestehende Krankenhaus gesetzt, plus die finsteren Optik.

HAUSEN – Staffel 1
© Sky Deutschland, Lago Film GmbH, Reiner Bajo

Apropos Geisterhaus: Spukhäuser gab es schon immer im Kino. Ob nun DAS ALTE FINSTERE HAUS (THE OLD DARK HOUSE, 1932), die verfluchten Mauern von AMITYVILLE HORROR (1979), das bösartige Overlook Hotel aus SHINING (THE SHINING, 1980), das alte abbruchreife Gebäude in THE EVIL – DIE MACHT DES BÖSEN (1978) oder das mysteriöse Landhaus in LANDHAUS DER TOTEN SEELEN (BURNT OFFERINGS, 1976). All diese speziellen Häuser gab und gibt es in jeder Epoche. Sie sind einer der Grundpfeiler des Horrorgenres. Nun wird diese illustre Runde durch ein echtes Hochhaus, genauer gesagt einen sozialistischen Plattenbau, um eine interessante Facette erweitert. Dieses menschenfressende Ungetüm ist zudem der heimliche Hauptdarsteller der 8-teiligen Haunted-House-Story. Gespickt mit verwinkelten Fluren und drohenden Abgründen, die als Metapher für seelische Schrecken dienen, denen die Bewohner hilflos ausgesetzt sind.

HAUSEN – Staffel 1
© Sky Deutschland, Lago Film GmbH, Reiner Bajo

Die lange zwischen Horror und Mystery changierende Geschichte bietet eine Vielzahl von Episoden, die einem Adventskalender gleich hinter den einzelnen Türen der Wohnungen auf den Besucher lauern. Der Plattenbau etabliert einen eigenen, kleinen Mikrokosmos, in dem ein jeder in seiner privaten, kleinen Hölle schmort. Dabei schreiten die Verrohung und Entmenschlichung unaufhaltsam voran, bei dem das Soziale miteinander schon vor langer Zeit verloren ging. Wie ein großes Puzzle fügen sich diese Geschichten am Ende zum großen Ganzen. Schon die Vater-Sohn-Beziehung der vermeintlichen Hauptdarsteller Jascheck und Juri hat ihre dunklen Risse und Geheimnisse, die nahtlos vom Gebäude assimiliert werden. Daneben erleben wir Junkies, Dealer, Nazis, Pädophile und andere schräge Gestalten in der „Platte“.

© Sky Deutschland, Lago Film GmbH, Reiner Bajo

Dann wäre da noch die mysteriöse Figur des Obdachlosen Kater (Alexander Scheer), der mal als Hexenmeister, mal als Drogendealer oder gar als Diener des schwarzen Schleims auftritt. Kater ist einer der wichtigsten Charaktere in HAUSEN und auch einer der wandelbarsten. Zusätzlich findet sich eine seltsame Substanz in HAUSEN, die aus diesem unbekannten schwarzen Schleim gewonnen wird und als Droge für die Bewohner dient, mit der sie alle in eine allumfassende Lethargie und Abhängigkeit zum Haus verfallen. Der schwarze Schleim dient außerdem als Metapher für die Angst und Schuld, in der sich jeder einzelne Bewohner suhlt, und Metaphern sind in HAUSEN zahlreich vertreten.

© Sky Deutschland, Lago Film GmbH, Reiner Bajo

Wie bei Serien üblich, tragen alle Protagonisten ihren Teil zum Plot von HAUSEN bei, bis es zur unvermeidlichen Kulmination im Finale kommt. Genau dann bekommen wir einen liebevollen Gruß von Altmeister H.P. Lovecraft ganz im Stile von THE VOID (2016) serviert. Und genau dann, wenn das Feuer der Verdammnis am stärksten brennt, müssen alle Akteure für ihre Sünden den Kopf hinhalten. Und das Höllenfeuer brennt besonders heiß in dem eiskalten Betonblock aus der ehemaligen DDR. Auch wenn sich HAUSEN über weite Strecken als purer Horror präsentiert, kommt gegen Ende, wenn der Schleier gelüftet wird, der kosmische Schrecken eines H.P. Lovecraft hinzu und setzt dem Ganzen die Krone auf. So verwundert es auch nicht weiter das HAUSEN irgendwo zwischen LANDHAUS DER TOTEN SEELEN, SHINING, THE CURSE (1987), SILENT HILL (2006) und THE VOID seinen festen Platz im Genre sicher hat.

HAUSEN – Staffel 1
© Sky Deutschland, Lago Film GmbH, Reiner Bajo

Horror im SED-Krankenhaus

Die Handlung in HAUSEN wird stringent und konsequent erzählt, vereinzelte Rückblicke runden das Ganze ab. Die ein oder andere Episode erscheint etwas aufgebläht und unnötig in die Länge gezogen, aber letztendlich entpuppt sich jeder Abzweig im Gesamtbild als wichtig. Somit entsteht eine teils „tödliche Trägheit“, wie wir sie schon aus LANDHAUS DER TOTEN SEELEN kennen, aber das ist nicht negativ gemeint. Bereits zu Beginn droht die alles umklammernde Kälte in HAUSEN jegliche Aktionen und Regungen einzufrieren, nicht nur im TV, sondern auch auf der heimischen Couch. Es ist wie ein schwerer Mantel des Bösen, der sich nach und nach auf jeden und alles legt. Der heruntergekommene Look ist Ausdruck dieses Unbekannten, das die Kontrolle über das Gebäude und seine Bewohner für sich beansprucht. Andererseits aber auch für das, was der Begriff „hausen“ für uns hergibt: unter schlechten Bedingungen wohnen, abgesondert leben, wüten und verwahrlosen. Gerade hier sticht das umwerfende und sehr aufwendige Set-Design ins Auge. Nicht verschweigen möchte ich, dass der Großteil der Effekte in sehr zeitaufwendigen Prozeduren von Hand hergestellt wurde, was sich besonders positiv auf den Look und die Atmosphäre auswirkt.

© Sky Deutschland, Lago Film GmbH, Reiner Bajo

Der Cast kann bis in die Nebenrollen überzeugen und besticht mit bekannten deutschen Schauspielgrößen. Angeführt von Charlie Hübner (LINDENBERG! MACH DEIN DING, 2019) und Tristan Göbel (DER GOLDENE HANDSCHUH, 2019), Alexander Scheer (GUNDERMANN, 2018) sowie Lilith Stangenberg (DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER, 2015) erleben wir die geballte Qualität des deutschen Kinos. Ruhig miteinander interagierende Protagonisten, die in kalten Kulissen eines verfallenden Gebäudes dem unsichtbaren Schrecken die Stirn bieten. Dann wäre da noch Regisseur Thomas Stuber.

HAUSEN – Staffel 1
© Sky Deutschland, Lago Film GmbH, Reiner Bajo

Der in Leipzig geborene Filmfan arbeitete bisher bei bekannten TV-Serien wie z.B. TATORT, GROSSSTADTREVIER oder POLIZEIRUF 110 mit. Daneben drehte er noch zwei Spielfilme für das Fernsehen wie auch fürs Kino, die allesamt recht gut bei Publikum und Kritikern ankamen. Stubers Vorbild für HAUSEN war der bekannte Horrorfilm POSSESSION (1980), der seiner Zeit ebenfalls in Berlin, nahe der Mauer produziert wurde. Stuber und sein Team erzählen ihre Geschichte mit einer visuellen und erzählerischen Kraft, wie sie nur selten in deutschen Produktionen zu finden ist.

© Sky Deutschland, Lago Film GmbH, Reiner Bajo

Fazit

„Was lange währt, wird endlich gut“ ist der geneigte Rezipient nach Sichtung von HAUSEN versucht zu sagen. Nach der Erfolgsserie DARK (2017 – 2020) folgt nun endlich die erste deutsche Horror-Serie. HAUSEN erscheint auf den ersten Blick ein wenig schwerfällig und langatmig, aber gerade durch ihre bedrohliche, alles umschließende Finsternis und ihre beißende Gesellschaftskritik überzeugt sie auf ganzer Linie. Die Charaktere sind liebevoll bis in die letzte Nebenrolle gezeichnet und nehmen den Betrachter auf ihren unheimlichen Weg durch diesen Fleischwolf aus Stahl und Beton mit. Bleibt zu hoffen, dass HAUSEN nicht zur Eintagsfliege verkommt und in irgendwelchen staubigen Schubladen der Vergessenheit anheimfällt.

© Stefan F.

[1] WUZI, 2019: Kevin Zindler & Florian Wurfbaum: „Regisseure im Kampf um den deutschen Genrefilm“

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