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Hair (1979) – Filmkritik

Mit Musicals gewinnt man als Regisseurin oder Regisseur selten die künstlerische Anerkennung, die angemessen wäre. Dabei fordert das Genre nicht weniger kreatives und handwerkliches Talent ihren Inszenatoren ab als zum Beispiel das Drama oder das Biopic, mit denen man meist gute Chance auf einen der beliebten Filmpreise hat.  Aber spätesten seit MOULIN ROUGE (2001), CHICAGO (2002) oder LA LA LAND (2016) wird der Musicalfilm vollkommen im 21. Jahrhundert von Seiten des Publikums, wie auch den Kritikern geschätzt. Jetzt geht es aber in die 1970er Jahre, genauer gesagt ins Jahr 1979, zum Flower-Power-Musical HAIR von Miloš Forman. Abgesehen vom ungewöhnlichen Hippiekonzept der Handlung ist vor allem Forman als Regisseur interessant, der als einer der Wegbereiter des Tschechoslowakischen Neuen Welle gilt und danach in Hollywood enorme Erfolge mit anspruchsvolleren Stoffen feierte wie EINER FLOG ÜBERS KUCKUCKSNEST (1975), AMADEUS (1984) oder DER MONDMANN (1999). HAIR sticht da etwas aus seiner Filmografie heraus. Jetzt aber erstmal zu ungewaschenen Hosen, langen Haaren und naiver Liebe:

© Capelight Pictures

Handlung

Das neblige Farmland von Oklahoma spiegelt die Zukunft der dortigen Jugend wider. Es gibt wenige Perspektiven. Für Claude Bukowski (John Savage) gibt es nur eine Möglichkeit aus der Einöde raus und die heißt: Ab zur Armee. Die Musterung des zukünftigen Soldaten findet in New York statt. Claude reist ein paar Tage eher mit dem Bus an und will sich noch ein paar Sehenswürdigkeiten im Big Apple ansehen. Im Central Park trifft er auf George Berger (Treat Williams) und seine Hippieclique, die Kleingeld schnorren.  Spontan lässt er die Bootsfahrt auf dem Hudson River sausen und kifft lieber im Central Park mit den Freidenkern durch den Abend. Claude und George haben sich auch in die hübsche und vermögende Sheila Franklin (Beverly D‘Angelo) verguckt, aber unter Freigeistern gibt es keinen Streit. Jeder versucht ihr Herz in einem fairen Liebeswettstreit und dem ein oder andern Lied zu gewinnen. Doch die Party wärt nicht ewig: Claude muss zur Armee und seinem Land dienen oder dafür sterben.

© Capelight Pictures

Musical vs. Gesellschaftskritik

Der Film HAIR basiert auf dem Broadway-Erfolgsmusical HAIR aus den 1960er-Jahren. Das Stück sorgte, neben seinen gesellschaftskritischen Liedern mit manch verruchten Vokabel, nackten Darstellern und dem ersten gleichgeschlechtlichen Kuss auf der Broadwaybühne, für ausreichend Medienskandale und feierte lange Zeit gut verkaufte Vorstellungen. Der Film HAIR kommt zehn Jahre später, die Freiheitsbewegung ist verpuff, der Vietnamkrieg verloren und die USA konnte sich noch nicht aus ihrer Wirtschafts- und Gesellschaftskrise befreien. HAIR veränderte auch viel in seiner Handlung gegenüber dem Theaterstück und man wird in der ganzen Filmzeit, das Gefühl nicht los Karikaturen zu sehen, die untermalen wollen, wie wenig Erfolg die Hippiebewegung gesellschaftlich dann doch vollbrachte. Vor allem im letzten Akt löst sich die Verfilmung gänzlich von der Vorlage und nimmt nicht nur George Berger seinen ungestümen Wuschelkopf, sondern auch das Leben eines unschuldigen jungen Mannes.

HAIR (1979)
© Capelight Pictures

Der Soundtrack

Jeder wird sicher ein paar Songs wiedererkennen, allem voran „Aquarius“, „Hair“ und „The Flesh Failures (Let the Sunshine in)“. Kleiner Tipp für einen etwas unbekannteren Song ist „Easy to Be Hard“ der in HAIR von der zurückgelassenen Mutter (Cheryl Barnes) bewegend vorgetragen wird. Die Musikstücke sind von Galt MacDermot, James Rado und Gerome Ragni. Die Songs werden allein schon durch die tolle Choreographie von Twyla Tharp aufgewertet, wenn der halbe Central Park tanzt oder die Menschenmenge auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit erstarrt und sich synchron bewegt („Where Do I Go?“). Spätestens jetzt weiß man, warum das Musical unbedingt die Bühne verlassen musste, um auf der Leinwand noch größer zu erstrahlen. Hinzukommt der regelmäßige Drogenkonsum, der uns ein paar irre Musiktrips verabreicht, allem voran die LSD-Nummer „Hare Krishna“ mit Hochzeit, Pferd und Religionsmischmasch. Die Kinnlade fällt einem spätestens bei der Musterung runter, wenn über die Vorzüge von „Black Boys“ und „White Boys“ gesungen wird.

HAIR (1979)
© Capelight Pictures

Mediabook

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Das haarige Gesangsfest kann man nun zum ersten Mal in Deutschland auf Blu-ray bestaunen und natürlich bei Bedarf mitsingen. Capelight Pictures verabreichte dem Stück ein bunt glänzendes Mediabook (Blu-ray + DVD + CD). Bild und Ton sind filmgeschichtlich gut angepasst. Beim Bild muss man jedoch mit kleineren Staubflecken und Kratzern leben, was aber ausgezeichnet zum Filmlook passt, der sich jeder glänzenden Oberfläche verwehrt und ruhig etwas schrabbelig sein darf. Endlich hat es wieder einmal lizenzmäßig geklappt und man kann den Original-Filmsoundtrack auf einer extra Audio-CD partytauglich neben der Musikanlage platzieren. Das Booklet mit einem treffsichen analytischen und fröhlichen wortgewandten Text von Kulturwissenschaftlerin Laura Erler sollte man auf jeden Fall gelesen haben.

© Capelight Pictures

Fazit

Kultig und nostalgisch ist HAIR allemal. Auch wenn das Musical etwas in Vergessenheit geraten ist, lohnt sich allein schon ein Blick wegen der irren Songeinlagen. Wenn zum Beispiel Berger das edle Porzellan auf der Festtafel der Upper class mit seinem Tabledance abräumt, bekommt man vor lauter Rebellionsgedanken das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht.

© Christoph Müller

Titel, Cast und CrewHair (1979)
Poster
Releaseab dem 24.09.2021 auf Mediabook (Blu-ray + DVD)

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RegisseurMilos Forman
Trailer

Englisch
BesetzungJohn Savage (Claude)
Treat Williams (Berger)
Beverly D'Angelo (Sheila)
Annie Golden (Jeannie)
Dorsey Wright (Hud)
Don Dacus (Woof)
Cheryl Barnes (Hud's Fiancee)
Richard Bright (Fenton)
Nicholas Ray (Der General)
DrehbuchMichael Weller
KameraMiroslav Ondrícek
MusikGalt MacDermot
SchnittAlan Heim
Lynzee Klingman
Stanley Warnow
Filmlänge121 Minuten
FSKab 6 Jahren

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