„Die Netzanfänge als Popkultur“
Die Jugendkultur rebelliert immer auf ganz andere Art und Weise gegen die Erwachsenwelt und deren Regeln. Stets ist auch eine technologische Entwicklung im Spiel, die sich die wissbegierigen Gehirne der jungen Individuen aneignen und die zu ihren Werkzeugen der Rebellion nutzen. In den 1990er Jahren veränderte der Computer und dessen Netzwerkverbindungen jedes Leben auf diesem Planeten und junge Menschen tauchten vor flimmernden Monitoren in ihren Zimmern ab und entdeckten eine neue Art der Kommunikation: der Cyberspace. Okay, zu dieser Zeit musste man sich unwillkürlich auch noch in der Realität treffen, die Datenmengen reichten noch nicht für hochauflösende Bilder aus, aber der Einfluss, den wenige auf etwas Großes hatten, war deutlich zu spüren. Verdrahtete Chips steuerten bereits Börsenkurse, Atomkraftwerke, Geldtransaktionen und Raketensilos. Wenn die Sicherheitsbarrieren zu solch wichtigen Prozessen der modernen Gesellschaft zu schwach sind, können sie schnell für verbrecherische Zwecke ausgenutzt werden. Keine Sorge, HACKERS kratzt nie am Weltuntergang und am Hinterfragen von politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen. Es ist ein reiner Coming-Of-Age-Film, der für damalige Verhältnisse seine Clique gut diversifiziert, die Hackerkultur porträtiert und vor allem einen Modestil präsentiert, von dem sich die aktuelle Jugendkultur gern den Kleiderschrank voll hängen würde.
Handlung
Der elfjährige Dade Murphy legt 1988 mit einem Computervirus 1.507 Systeme lahm und sorgt für einen schlechten Tag an der Wall Street. Nachdem ihn das FBI in seinem Kinderzimmer verhaftet, wird er vor Gericht zu einer Geldstrafe und dem Nutzungsverbot von Tastentelefonen und Computern bis zu seinem 18. Lebensjahr verurteilt. Als ob ihn das aufhalten könnte! Nachdem der volljährige Dade (Jonny Lee Miller) mit seiner Mutter nach New York zieht und seinen Abschluss an einer anderen Highschool machen muss, hackt er sich erst einmal in das Fernsehprogramm eines politischen rechten Senders ein – es läuft gerade die Sendung „America First“, – und schaltet auf „Outer Limits“ um. Während des Hacks stößt er auf jemand anderen namens Acid Burn und wirft ihn sofort wieder hinaus. Das ist schließlich nicht sein Revier, Dade ist hier der Frischling.
Am Tag darauf landet Dade in seiner neuen Schule mit allen anderen neuen Mitschülern auf dem Schuldach im Regen und wird somit Opfer eines Streichs von Kate Libby (Angelina Jolie). Er rächt sich mit dem Auslösen der Sprinkleranlage am nächsten Tag. Die Computerclique der Schule wird auf ihn und seine Talente aufmerksam, das sind: Ramon Sanchez (Renoly Santiago), Emmanuel Goldstein (Matthew Lillard) und der junge Joey Pardella (Jesse Bradford). Ein bunter Haufen, der alle möglichen Sicherheits-Handbücher aus der IT-Welt kennt und nach dem Hackermanifest von Lloyd Blankenship lebt. Joey hackt sich nichtsahnend eines Nachts in einen Hochsicherheitsrechner und lädt einen Virus herunter, der nicht nur dessen Entwickler Eugene Belford (Fisher Stevens) auf den Plan ruft, sondern auch das FBI mit Agent Gill (Wendell Pierce). Aber viel wichtiger ist, dass Dade ein Auge auf die rebellische Kate geworfen hat und sie hat auch einiges für digitale Sicherheitssysteme übrig.
Ungehorsam
In HACKERS ist die Fähigkeit in fremde Sicherheitssysteme einzudringen eher etwas Verspieltes. Das sieht man auch in den Animationen der Sicherheitsüberschreitung, die eher einem Videospiel gleichen als einer langweiligen Eingabe von Programmierungsbefehlen. Passwörter werden noch geknackt, weil es den Administratoren an Kreativität mangelt. Die Freiheit alles tun zu können, ist eben der Antrieb der Jugend und hier finden sie ihren regelfreien Spielplatz, in dem sie sich bestens auskennen. Vielleicht wird es nicht immer im Namen der Gerechtigkeit genutzt, aber die Hacks sind eher Streiche, anstatt das System zu stürzen. Das macht HACKERS stellenweise etwas zu zahm, aber in heutigen Zeiten ist es locker leicht mitzuerleben. Bemerkenswert ist, dass nicht nur weiße Kids der Oberschicht in den beiden Hauptfiguren zu finden sind, sondern auch ein paar Talente aus einfachen Familienverhältnissen bzw. mit Migrationshintergrund dabei sind – typisch New York. Von komplexen Charakteren sind jedoch alle meilenweit entfernt, aber in der Welle der Pubertät funktioniert es. Dass die Darsteller bereits erwachsene sind, ist offensichtlich – Angelina Jolie und Jonny Lee Miller heirateten mit über 20 Jahren direkt nach dem Dreh.
HACKERS stellt aber auch eine gewisse sexuelle Freiheit dar, nicht nur in der geschlechtlichen Orientierung. Wir sehen hier einen Lebensstil. Jeder darf so schräg sein, wie er mag, die Kleidungswahl dient als erotischer Subtext und nicht nur die männliche Hauptfigur darf aufregende Träume haben. In der Wette zwischen Kate und Dade geht es darum, wer beim Date ein Kleid tragen muss. Beide würden so etwas nie in ihrem Alltag tragen, das unterstreicht wie sehr sich diese Jugendkultur gegen Konventionen wehren. Dagegen wirkt der IT-Bösewicht Belford geradezu altbacken mit seiner Affäre, die ihm überhaupt nicht wichtig ist – außerdem ist die PR-Chefin erschreckend oberflächlich und dumm dargestellt, was die feministischen Aspekte von Kates Charakter etwas schwächt. Die Rechner bleiben vorwiegend in Männerhand. Widersacher Belford ist insgesamt voll auf Karikatur eingestellt. Eitel, selbstbewusst und untreu versucht er am Ende alle zu hintergehen und sich mit einem großen Haufen Geld abzuhauen. Neben der riesigen gläsernen Tastatur, die er im Final-Hacker-Kampf benutzt, muss man unweigerlich lachen, wenn er bei einer geheimen Übergabe auf einem Skateboard aus dem Wasserdampf der Kanalisation auftaucht, sich an einer Stretchlimousine festhält und dann wieder verschwindet. Die coolen Kids fahren alle Inline-Skates und legen keinen Wert auf Statussymbole.
Telefonstreich
Dass HACKERS trotz enormer Sprünge der letzten Jahre in der Informationstechnologie noch gut gealtert ist, ist Regisseur Iain Softley zu verdanken. Er setzt bei den Animationen der Datentransfers teilweise auf Modellbau, über den die Kamera hinweggleitet und eine schöne Verbindung zwischen Chipplatinen und urbanen Strukturen darstellt. Mit einem guten Schnittrhythmus und dem Spiel aus Popkultur und Realität bleibt es visuell spannend. Schön ist vor allem die Montage beim digitalen Kampf um den TV-Sender zu Beginn. Dade sitzt auch nachts vor dem Rechner mit verspiegelter Sonnenbrille und wirkt wie ein Vampir sowie ein kleiner Vorgeschmack auf den Meilenstein MATRIX (1999), ein paar Jahre später.
Die Hackerkultur zeigt nicht nur Sicherheitslücken auf, sondern will auch lebenswichtige Dienstleistungen den Menschen kostenlos zur Verfügung stellen. 1995 war eine der größten Kostenfaktoren noch die Telefonrechnung. Ramon Sanchez alias Phreak kann sich mit einem Diktiergerät kostenfrei zu einem Ferngespräch verbinden lassen. In WARGAMES (1983) hat das Matthew Broderick als David Lightman noch mit einer Lasche von einer Bierbüchse hinbekommen. Das öffentliche Telefon bekommt aber im Finale noch einen besonderen Stellenwert. Die Clique verlässt den Schutz ihrer Kinderzimmer – der aufgrund diverser Razzien im Film ohnehin nicht mehr sicher war – und taucht im Großstadtleben unter. Genauer gesagt wählen sie sich durch ein paar öffentliche Telefone in Grand Central Station ein, wobei sie mit ein paar anderen Apparaten die FBI-Agenten gleichzeitig auf die falsche Fährte locken.
Heimkino

Capelight Pictures lässt den 1990er-Jahre-Streifen in bester Qualität für Filmfans von physischen Medien erscheinen. Im limitierten Mediabook ist der Film auf Ultra HD Blu-ray und Blu-ray Disc enthalten. Das Bild ist exzellent und zeitgemäß restauriert. Die deutsche Tonmischung ist sehr dynamisch ausgefallen, hier kann es sein, dass manche Dialoge mit dem knackigen Soundtrack nicht mithalten können. Beim Bonusmaterial lohnt es sich auf jeden Fall einen Blick darauf zu werfen. Das Booklet ist lesenswert. Das liegt nicht nur daran, dass es von einem Fluxkompensator-Kollegen geschrieben wurde. Franz Indra bringt den Zeitgeist genau zu Papier, kennt sich mit den Anfängen des Internets und der Kultur des Hackens bestens aus. Eine Kaufempfehlung!
Fazit
HACKERS ist mehr als ein Prolog zu MATRIX vier Jahre später. Er bringt direkt die Atmosphäre der 1990er zurück, in der man das Gefühl hatte, vieles ist dank neuer Technik möglich, veraltete Moralvorstellungen können abgeschafft werden und die Technologie macht alle etwas gleicher und freier. Der Traum hat sich nicht erfüllt, und vor allem jetzt steigt der Wunsch umso mehr, ein paar Oligarchen den Stecker der Macht zu ziehen.
Titel, Cast und Crew | Hackers – Im Netz des FBI (1995) OT: Hackers |
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Poster | ![]() |
Release | seit dem 28.08.2025 im Mediabook (Ultra HD Blu-ray + Blu-ray) erhältlich. Direkt beim Label bestellen. |
Regie | Iain Softley |
Trailer | |
Originalstimmen | Jonny Lee Miller: (Dade Murphy alias Zero Cool/Crash Override) Angelina Jolie (Kate Libby alias Acid Burn) Fisher Stevens (Eugene Belford alias The Plague) Jesse Bradford (Joey Pardella) Matthew Lillard (Emmanuel Goldstein alias Cereal Killer) Laurence Mason (Paul Cook alias Lord Nikon) Renoly Santiago (Ramon Sanchez alias Phantom Phreak) Wendell Pierce (Agent Gill) Alberta Watson (Lauren Murphy) Lorraine Bracco (Margo) Michael Gaston (Agent Bob) Marc Anthony (Agent Ray) |
Drehbuch | Rafael Moreu |
Musik | Simon Boswell |
Kamera | Andrzej Sekuła |
Schnitt | Christopher Blunden Martin Walsh |
Filmlänge | 107 Minuten |
FSK | ab 12 Jahren |
Chefredakteur
Kann bei ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT mitsprechen / Liebt das Kino, aber nicht die Gäste / Hat seinen moralischen Kompass von Jean-Luc Picard erhalten / Soundtracks auf Vinyl-Sammler / Stellt sich gern die Regale mit Filmen voll und rahmt nur noch seine Filmposter