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Gretel & Hänsel (2020) – Filmkritik

Viele Fragen sich, warum der Film auf den Namen GRETEL & HÄNSEL hört? Obwohl der Titel des Märchens genau umgedreht ist. Um ehrlich zu sein, Hänsel bekleckert sich in der Geschichte nicht gerade mit Ruhm und die ganze Arbeit macht Gretel. Kein strahlender Held, wie er in vielen Märchen zu finden ist, eher der starken und energischen Schwester ein Klotz am Bein. Folgerichtig ist die Änderung im Filmtitel des neusten Werkes von US-Regisseur Osgood Robert Perkins, Sohn von Anthony „Norman Bates“ Perkins, vonstattengegangen. Seine ersten Schritte absolvierte Robert Perkins als Darsteller. Seinen Einstand feierte er in der Rolle des jungen Norman Bates in PSYCHO II (1983), ehe er im Jahre 2015 mit DIE TOCHTER DES TEUFELS (FEBRUARY) nicht nur sein Regiedebüt gab, sondern auch das Drehbuch verfasste. Vorneweg sei noch gesagt, GRETEL & HÄNSEL hat nichts mit dem Fantasy-Action-Klamauk HÄNSEL UND GRETEL: HEXENJÄGER (HANSEL & GRETEL: WITCH HUNTERS, 2013) mit Jeremy Renner und Gemma Arterton zu schaffen. Im Grunde ist er mit keiner der bisherigen Verfilmungen vergleichbar.

© Capelight Pictures

Handlung

Es war einmal in einem verfluchten Land… Als die Not am größten ist, weder Nahrung noch Arbeit in Sicht, verjagt die Mutter (Fiona O‘Shaughnessy) mit der Axt in der Hand ihre beiden Kinder Gretel (Sophia Lillis) und Hänsel (Samuel J. Leakey) aus dem elterlichen Haus. Hilflos irren die beiden durch einen dunklen Wald, bis sie auf eine einsame Hütte stoßen. Dort treffen sie eine freundliche, ältere Frau (Alice Krige), die sie ohne Zögern an ihrem Tisch mit reichlich Speisen verköstigt. Gretel und Hänsel glauben, eine sichere Zuflucht gefunden zu haben, doch nach und nach mehren sich mysteriöse Vorkommnisse und Erscheinungen. Gretel ist sich sicher, dass hier etwas Böse lauert und jeden Moment zuschlagen könnte.

Symbole und Farben

Das Blu-ray-Mediabook

Wer gern etwas tiefer in die Symboliken und Deutungen rund um den Horrorfilm GRETEL & HÄNSEL eintauchen will, dem sei das Booklet im Mediabook von Marco Heiter ans Herz gelegt. Auf diesen 28 Seiten zeigt er in „Ein schönes Sammelsurium“ auf, in welche Tiefen man hier mit einer Analyse eintauchen kann und es was alles zu entdecken gibt. Das omnipräsente Symbol in GRETEL & HÄNSEL ist das Dreieck und gleichzeitig das erste, das uns echtes Kopfzerbrechen bereitet. Eine der ikonischen Szenen des Films ist das erste Treffen mit einer geheimnisvollen Hexe zu Beginn. Dort, auf einem trostlosen Berg, hat sie es sich in einem großen Dreieck bequem gemacht und erwartet ihre mutigen Besucher. Sofort wird klar, dass hier nicht nur Gefahren für die Protagonisten lauern, sondern auch für den Betrachter. Das Dreieck, das Ursymbol, das teils sexuell, teils magisch gedeutet wird. Schon immer ist es ein Warnsymbol, das uns auch heute tagtäglich umgibt. Im Straßenverkehr als Verkehrsschild zur Warnung vor gefährlichen Situationen mit rotem Rand oder als Warndreieck, das jedes Auto mit sich führen muss. So sehen wir auch mehrere Dreiecke als Gretel das Anwesen von Master Stripp erreicht, wo sie nach Arbeit sucht. Ebenso das Haus der Hexe, es besteht überdeutlich aus eben diesem großen Dreieck. Es dient auch als universelles Symbol des Bösen, das gerade in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen hat, beispielsweise in den Filmen THE VOID (2016), HEREDITARY – DAS VERMÄCHTNIS (2018), MIDSOMMAR (2019), THE NEON DEMON (2016) oder in der Neuverfilmung von SUSPIRIA (2018)[1].

Aber auch das handelsübliche Pentagramm ist präsent. Wenn Hänsel durch den Wald der Hexe stolpert und ein in einem Baum geritztes invertiertes Pentagramm findet, ist selbst dem letzten klar, dass es hier um schwarze Magie geht. Das umgekehrte Pentagramm ist auch als „Zeichen der Ziege des Sabbaths“ bekannt. Heute findet es weite Verbreitung in der Metal-Szene (Black- und Death Metal) als Symbol des Bösen und des Satanismus. Eine weitere Verbindung zu einem bekannten Hexen-Film finden wir spätestens, wenn Hänsel im Keller des Hexenhauses mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke steht, fällt dem geschultem Horrorfilmauge sofort BLAIR WITCH PROJECT (1999) ein, in dem es ähnliche Szenen gibt.

GRETEL & HÄNSEL (2020)
© Patrick Redmond

Mit der Farbe Schwarz verbinden viele Menschen Trauer und Tod. Doch Schwarz steht auch für Macht, ein Richter oder ein Priester trägt diese Farbe und ebenso für Glück oder das Böse. Schwarz ist, wie Rot, eine äußerst ambivalente Farbe. In GRETEL & HÄNSEL steht schwarz für den Tod, die böse Hexe sowie ihrer großen Macht.

Während Gretel kurz davor steht, zur Frau zu reifen, ist der sehr junge Hänsel noch ein Kind und nicht in der Lage auf sich selbst aufzupassen. Doch auch Gretel entspricht nicht dem blonden, langhaarigen Mädchen aus Dutzenden Märchen. Perkins Version mit den roten, kurzen Haaren gibt uns visuell erste Hinweise über ihr wahres Gesicht. Frauen mit roten Haaren galten lange Zeit als Hexen und mit dem Teufel im Bunde. Zusätzlich gibt Gretels kleiner schwarzer Hut einen weiteren Hinweis, der eine Verbindung zur Hexe und ihrer Magie herstellt. Denn von Beginn an ist auch klar, dass Gretel dieselbe Macht in sich trägt, spätestens wenn sie sagt: „Ich muss nicht Dinge sehen, um zu wissen, dass sie da sind. Ihr gegenüber steht die Hexe mit ihrem großen Hut und ganz in Schwarz gekleidet, selbst ihre Finger präsentieren die Farben ihrer Macht.

GRETEL & HÄNSEL (2020)
© Patrick Redmond

Der Stummfilm und seine Farben

Sehr interessant ist Perkins Ansatz, einen Teil seines Farbenspiels an die Konventionen der frühen Stummfilmära zu orientieren. Erste Experimente, wie man am einfachsten Farbe in den Film bekommt, wurden erforscht. Einzelne Bilder wurden eingefärbt, um ihnen einen zusätzlichen Effekt zum Geschehen im Film zu verleihen. Diese nachträgliche Tonung (Viragierung) war eine preisgünstige, aber sehr mühsame Alternative zur aufwendigeren Nachkolorierung. Beispielsweise simulierte die Farbe Blau das schwache Licht der Nacht. Orange hingegen stand für Lampen und Kerzenschein, während Rot sowohl Liebe und Leben als auch für Gewalt und Tod steht. Wer sich ein Bild dieser frühen Technik machen will, dem empfehle ich Paul Wegeners DER STUDENT VON PRAG (1913) oder F.W. Murnaus NOSFERATU, EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1922). Gerade das Tag und Nachtlicht in GRETEL & HÄNSEL, das durch die Fenster ins Innere der Häuser fällt oder auch aus ihnen heraus, orientiert sich daran. Doch auch hier ist nicht alles, wie es scheint. Als Gretel und Hänsel in das leere Haus zu Beginn gelangen und ein Nachtlager suchen, ist von außen durch die Fenster orangefarbenes, warmes Licht zu sehen. Im Inneren finden sie ein Bett, dahinter ein auf dem kopfstehenden Kreuz, das drohendes Unheil ankündigt. Als sich diese Einladung als Falle herausstellt, verlassen sie fluchtartig das Haus und wir sehen plötzlich in den Fenstern ein hellblaues, kaltes Licht, das unter anderem für das Höllenfeuer steht.

© Patrick Redmond

Alles hat einen Preis

Die Erstsichtung von GRETEL & HÄNSEL ist wie eine gewaltige Welle an Informationen, Mustern, Farben, Symbolen, Allegorien und Metaphern, die auf den Rezipienten niedergehen. Es gilt sie zu entschlüsseln und schlüssig in Verbindung mit der Story zu setzen. Regisseur Perkins und seine Filmteam entfesseln ein Feuerwerk, in der jede Farbe ihre feste Bedeutung im Kontext der Geschichte besitzt. Das sieht nicht nur gut aus, es ist auch durchweg schlüssig. Jede Szene, jeder Satz ist tiefgründig und bedeutungsschwer. Wie einst zu Zeiten von Großmeister Stanley Kubrick ist die leidenschaftliche Präzision in jedem Atemzug spürbar. Jedem interessierten, der alle Details und Hinweise entdecken möchte, ist dringend anzuraten, mehrere Sichtungen dieses außergewöhnlichen Films vorzunehmen.

© Patrick Redmond

GRETEL & HÄNSEL ist ein äußerst unblutiger, stringent erzählter Horrorfilm. Osgood Perkins gelingt ein gewaltiger Spagat zwischen Horrorfilm und Märchen, der jedoch Sinn macht und was er uns eindrucksvoll präsentiert. Er erschafft eine bedrückende, zum Teil verstörende Atmosphäre, die noch sehr lange nachwirkt. Bildgewaltig und in fantastischen Farben getaucht, entdecken wir dabei eine Seite von Hänsel und Gretel, die bisher verschwiegen wurde. Selbst die Hexe erscheint in einem ganz neuen Licht. Die teilweise verzerrte Architektur von Häusern, Türen und Fenster erinnert an die Zeit des deutschen Expressionismus und den legendären DAS CABINET DES DR. CALIGARI (1920) von Robert Wiene. So ist auch das Hexenhaus innen viel größer, als es von außen erscheint. Die Kamera von Galo Olivares ist sehr nahe an den Darstellern, was dem Ganzen eine bedrohliche Unmittelbarkeit verleiht, die wunderbar zu den präzisen Bildkompositionen passt. Trotz des Einsatzes von CGI ist nichts davon im Film zu spüren. Die beste Art, wie sich CGI in einen Film integriert: unsichtbar, natürlich und nicht wie in vielen anderen Produktionen zum heimlichen Hauptdarsteller mutiert. Sehr düster präsentiert sich dagegen Robin Couderts (ALEXANDRE AJAS MANIAC, 2012) Score, der sich wie ein schwerer Mantel um die Handlung legt.

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Aber auch der Cast ist beeindruckend und mit überwiegend bekannten Gesichtern besetzt. Dabei ragen vor allem die weiblichen Künstler heraus, während die Männer nur in kleinen Nebenrollen agieren. Allen voran überzeugt die US-Amerikanerin Sophia Lillis, bekannt aus den beiden Remakes von Stephen Kings ES (IT, 2017) und ES KAPITEL 2 (IT CHAPTER TWO, 2019). Daneben brilliert Alice Krige als böse Hexe. Ihre Filmografie hat schon einige sehr hochkarätige Werke verzeichnet wie etwa STAR TREK: DER ERSTE KONTAKT (STAR TREK: FIRST CONTACT, 1996), SILENT HILL (2006) oder THOR: THE DARK KINGDOM (THOR: THE DARK WORLD, 2013). Leider nur in einer kleinen Rolle ist die talentierte Australierin Jessica De Gouw zu sehen, doch das umso beeindruckender als junge Hexe. Vor allem ist De Gouw bekannt durch den grandiosen Weltuntergang in THESE FINAL HOURS (2013) oder auch in THE REZORT (2015). Den nervigen Hänsel spielt Samuel Leakey der bisher nur in der TV-Miniserie MOTHER FATHER SON (2019) aufgetreten ist.

Regisseur Osgood „Oz“ Perkins mit Hauptdarstellerin Sophia Lillis // © Patrick Redmond

Interessant wäre zu sehen, wie Perkins weitere bekannte Märchen in Szene setzen würde. Ob es gar eine Fortsetzung für Gretel gibt, ließ er bisher offen. Möglich wäre es, denn sein Drehbuchautor Peter Hayes und er haben einige Hinweise auf weitere Märchen in ihrem Film versteckt, die möglicherweise sogar irgendwie miteinander verwoben sind.[2] Der deutlichste Aufhänger ist ganz sicher der Jäger, der Gretel von den heimtückischen Wölfen im Wald erzählt. Lassen wir uns überraschen.

Fazit

Von der Atmosphäre und vom Aufbau erinnert GRETEL & HÄNSEL in Teilen an Robert Eggers THE WITCH (THE VVITCH: A NEW-ENGLAND FOLKTALE, 2015). Wenn überhaupt könnte er am ehesten noch mit Neil Jordans DIE ZEIT DER WÖLFE (THE COMPANY OF WOLVES, 1984) verglichen werden, der ebenfalls intensiv über seine Symbolik mit dem Betrachter kommuniziert. Aber auch Ari Asters HEREDITARY – DAS VERMÄCHTNIS hat in Osgood Perkins neustem Werk seine Spuren hinterlassen. So richtig lässt sich GRETEL & HÄNSEL allerdings mit nichts vergleichen. Wer abseits der eingefahrenen, immer gleichen Hollywoodproduktionen nach Neuem und Ungewöhnlichem sucht, der ist hier genau richtig. Seid mutig und offen für alles, ihr werdet garantiert nicht enttäuscht werden.

© Stefan F.

Quellen:

[1] Vgl. Heiter (2020), „Ein schönes Sammelsurium“ Booklettext im Mediabook, Capelight Pictures

[2] The Boo Crew Podcast: Ep#99 – Oz Perkins (The Blackcoat’s Daughter / Gretel & Hansel), https://podcasts.apple.com/us/podcast/the-boo-crew/id1318465262 28.01.2020

Titel, Cast und CrewGretel & Hänsel (2020)
OT: Gretel & Hansel
Poster
RegisseurOsgood „Oz“ Perkins
Releaseab dem 13.11.2020 im UHD- und Blu-ray-Mediabook, sowie auf Blu-ray und DVD erhältlich

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Trailer
BesetzungSophia Lillis (Gretel)
Samuel J. Leakey (Hänsel)
Alice Krige (Hexe)
Jessica De Gouw (Junge Hexe)
Donncha Crowley (Master Stripp)
Charles Babalola (Jäger)
Fiona O‘Shaughnessy (Mutter)
DrehbuchRob Hayes
FilmmusikSteven Price
KameraGalo Olivares
SchnittJosh Ethier
Julia Wong
Filmlänge87 Minuten
FSKab 16 Jahren

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