„Georg Heym, Franz Kafka und die Geisterwelt“
Der Toten Geister seid ihr, die zum Flusse
Zum überladnen Kahn der Wesenlosen
Der Bote führt; euer Rufen hallt im Tosen
Des Sturms und in des Regens wildem Gusse.– aus dem Gedicht „Den Wolken“ von Georg Heym –
GHOST SHIP war bereits der dritte Beitrag der von Joel Silver, Robert Zemeckis und Gilbert Adler gegründeten Filmproduktionsgesellschaft Dark Castle Entertainment, die ab 1999 begann, Neuverfilmungen bekannter Horrorfilme mit modernem Anstrich zu inszenieren. Mehr noch als sein Vorgänger 13 GEISTER (Thir13en Ghosts, 2001) steht GHOST SHIP in Tradition unheimlich-phantastischer – besonders deutschsprachiger – Literatur und zitiert ausgiebig Klassiker des Genres.
Handlung
Im Mai 1962 feiern die – weitgehend aus Angehörigen der oberen Gesellschaftsschicht bestehenden – Passagiere eines italienischen Ozeandampfers, bevor sie in einem schockierenden Moment von einem riesigen Drahtseil zerteilt werden. In der Gegenwart unterrichtet ein Pilot (Gabriel Byrne) die von Sean Murphy (Desmond Harrington) geleitete Bergungsmannschaft darüber, dass er ein vor der Küste Alaskas treibendes Schiff entdeckt habe. Tatsächlich findet die Crew im strömenden Regen ein verlassenes Schiff vor, bei dem es sich um die vermisste Antonia Graza handelt, die vierzig Jahre zuvor spurlos verschwand und das Schicksal der Besatzung sowie der Gäste völlig unbekannt ist. Murphy zieht immer wieder Parallelen zu dem historischen Frachter Mary Celeste.[1] Außerdem befinden sich an Bord neun mit Gold beladene Kisten. Unheimliche Dinge geschehen, schließlich detoniert der Schlepper Arctic Warrior, mit dem die Crew gekommen ist. Eines der Besatzungsmitglieder, Santos (Alex Dimitriades), kommt dabei ums Leben. Schließlich erscheint Murphy der Geist des früheren Kapitäns (Bob Ruggiero), von dem er mittels Bilder und Dokumenten erfährt, dass das Gold von dem gesunkenen Kreuzfahrtschiff Loreley stammt, dessen einziger Überlebende an Bord der Antonio Grazia aufgenommen wurde. Auf einer Fotografie erkennt Murphy diese Person. Bei dem Versuch die Anderen zu warnen, wird er mit Spukerscheinungen des toten Santos konfrontiert und attackiert die einzige Frau seiner Crew, Maureen Epps (Julianna Margulies).
Murphy wird in einem geleerten Wassertank eingeschlossen. Maureen erscheint immer wieder der Geist eines kleinen Mädchens, Kathie (Emily Jane Browning), das sich ebenfalls an Bord der Antonia Graza befand und dort ermordet wurde. Durch Berühren des Geistwesens erfährt Maureen, was damals geschehen ist: Die Sängerin Francesca (Francesca Rettondin) stiftete ihren Geliebten und mehrere Besatzungsmitglieder zum Mord an den Passagieren und der Mannschaft an, um das Gold an sich zu bringen. Nach dem Massaker töteten die Täter sich gegenseitig, bis nur noch Francesca überblieb, die ihrerseits von dem Schiffbrüchigen der Loreley, der sie zu den Taten verführte, an einem Haken aufgespießt und mit einem tentakelähnlichen Mal[2] gezeichnet wurde. Es handelt sich bei ihm um einen verfluchten Menschen, der für die Hölle die Seelen Verstorbener sammelt. Maureen steht schließlich diesem unheimlichen Wesen allein gegenüber.
Interpretation
Die Geschichte ähnelt anderen filmischen Expeditionen ins Ungewisse mit lovecraftschen Elementen wie DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT (THE THING, 1982) und noch mehr an ALIEN – DAS UNHEIMLICHE WESEN AUS EINER ANDEREN WELT (ALIEN, 1979). Der Moment, als die Antonia Graza urplötzlich für den Radar eigentlich unsichtbar auftaucht, erinnert an die erste Begegnung des Schiffbrüchigen Humphrey Van Weyden mit dem Robbenschoner Ghost aus Jack Londons DER SEEWOLF (THE SEA-WOLF), während der Ort und einzelne Aspekte der Handlung auf Londons Goldgräbergeschichten verweisen. Auch an den Gold Room und die gespenstische Ballgesellschaft aus SHINING (THE SHINING 1980) denken wir, vor allem da in beiden Filmen eine mörderische Vergangenheit des jeweiligen Schauplatzes eine große Rolle spielt. Allerdings wird in GHOST SHIP überausführlich erklärt, während Stanley Kubrick dem Publikum weiten Raum für Interpretationen lässt.[3] Es finden sich auch weitere Parallelen, etwa die Verführung durch einen Geist: Greer (Isaiah Washington) findet sich plötzlich in einer Ball-Szene wieder, in der er auf Francesca trifft. Sie küssen sich, er verfolgt sie und stürzt schließlich in einen Fahrstuhlschacht. Francesca steht in der Tradition singender Nixen, die Seeleute ins Verderben locken und eben auch der Loreley.
Außerdem erinnert ein dämonisches Wesen, dass auf dem Meer nach Seelen jagt und ruhelos in der Welt umherirrt, an den Mythos des Fliegenden Holländers. Diese Thematik kommt auch in dem romantischen Märchen DIE GESCHICHTE VON DEM GESPENSTERSCHIFF (1827) von Wilhelm Hauff vor. Die Geschichte handelt von Piraten, die aufgrund eines Mordes verflucht sind, für immer auf dem Meer zu segeln und nur Erlösung finden können, wenn ihre Körper an Land gebracht würden. Der schiffbrüchige Ich-Erzähler, der sich auf das Geisterschiff retten konnte, nimmt in seinen Beschreibungen die Bildsprache des Splatter-Films vorweg: an Bord liegen „zwanzig bis dreißig Leichname“, der Boden ist von Blut gerötet und der Kapitän ist mit einem großen Nagel am mittleren Mastbaum befestigt.[4]
Jack Ferriman nennt sich das verfluchte Wesen in seiner menschlichen Gestalt, womit GHOST SHIP einerseits wieder auf SHINING verweist – der Name von Jack Torrance, der am 01. November seinen Dienst im Overlook Hotel antritt, ähnelt dem Halloween-Mythos von Jack O’Latern, dessen ruhelose Seele durch die Dunkelheit irrt – und mit dem Nachnamen auf die griechische Mythologie und den Fährmann Charon, der die Toten in den Hades bringt. In dem Fragment DER JÄGER GRACCHUS von Franz Kafka stürzt die titelgebende Figur bei der Verfolgung einer Gämse – teilweise wird dies in der Literaturwissenschaft deutlich sexuell interpretiert – zu Tode. Offenbar aufgrund der Unachtsamkeit des Bootsmannes wird er jedoch nicht ins Jenseits gebracht („Mein Todeskahn verfehlte die Fahrt.“), sondern reist in einem eigenartigen Zustand zwischen Leben und Tod über die Meere: „Mein Kahn ist ohne Steuer, er fährt mit dem Wind, der in den untersten Regionen des Todes bläst.“[5]
In Georg Heyms expressionistischer Erzählung DAS SCHIFF wird die Mannschaft von einem dämonischen Wesen verfolgt, dass die Pest bringt („Die beginnende Verwesung hatte ihre Lippen auseinandergezogen und die Backen in ein wahnsinniges Lächeln gekräuselt.“) und auch seine Gestalt wechseln kann: „Und da glaubte er hinter einem großen Baumstamm etwas zu sehen, eine kleine schwarze Gestalt wie eine Frau in einem Trauerkleid.“ Beklemmend schildert Heym Momente von Angst und Hilflosigkeit, wie es in der bildlichen Darstellung nur wenigen Filmen gelingt: „Hinter dem Mastbaum stand etwas. Ein schwarzer Schatten. Jetzt kam es mit seinen schlürfenden Schritten über Deck. Jetzt stand es hinter dem Kajütendache, jetzt kam es hervor. Eine alte Frau in einem schwarzen altmodischen Kleid, lange weiße Locken fielen ihr zu beiden Seiten in das blasse alte Gesicht. Darin steckten ein paar Augen von unbestimmter Farbe wie ein paar Knöpfe, die ihn unverwandt ansahen. Und überall war ihr Gesicht mit den blauen und roten Pusteln übersät, und wie ein Diadem standen auf ihrer Stirn zwei rote Beulen, über die ihr weißes Großmutterhäubchen gezogen war.“
Ferriman ähnelt auch dem Tall Man aus der PHANTASM-Reihe, der Verstorbene auf einen fernen Planeten zur Sklavenarbeit verschleppt, hierbei verschiedene Gestalten wie die einer attraktiven Frau annimmt[6] und am Schluss von DAS BÖSE III (Phantasm III: Lord of the Dead, 1992) verkündet, dass es niemals vorbei sein wird. GHOST SHIP endet ähnlich pessimistisch wie Heyms Geschichte: „Aber an ihnen vorbei fuhr das Schiff riesengroß wie der fliegende Schatten eines Dämons. Auf dem Deck stand eine schwarze Gestalt. Und in dem Feuerschein schien sie zu wachsen, und ihr Haupt erhob sich langsam über die Masten, während sie ihre gewaltigen Arme im Kreise herumschwang gleich einem Kranich gegen den Wind. Ein fahles Loch tat sich auf in den Wolken. Und das Schiff fuhr geradenwegs hinein in die schreckliche Helle.“[7]
Quellen:
- [1] Im Jahr 1872 wurde die amerikanische Schonerbrigg Mary Celeste im Atlantik treibend vorgefunden. Das geheimnisvolle Verschwinden des Kapitäns, seiner Familie und der Mannschaft ist bis zur Gegenwart ungeklärt und wird thematisch immer wieder von Literatur und Film aufgriffen, so in einer frühen Erzählung von Arthur Conan Doyle oder in THE MYSTERY OF MARY CELESTE (1935), einer der ersten Filme der Hammer-Studios.
- [2] H. P. Lovecraft und vor allem Robert W. Chambers erwähnen in ihren Erzählungen uralte, außerirdische Wesen wie einen König in Gelb, dessen Zeichen sich stark an Tentakel-Symbolik anlehnt.
- [3] In Stephen Kings Roman und in der mehrteiligen Verfilmung aus dem Jahr 1997 wird erzählt, dass sich im Overlook Hotel zahlreiche Morde ereigneten, deren Motive weitgehend im Bereich der organisierten Kriminalität zu finden sind.
- [4] Hauff, Wilhelm (1980): Die Geschichte von dem Gespensterschiff. In: Kluge, Manfred (Hrsg.): Gespenstergeschichten aus Deutschland. München. S. 178 – 187.
- [5] Kafka, Franz (1994): Gesammelte Werke. Band 6. Beim Bau der Chinesischen Mauer und andere Schriften aus dem Nachlass. Frankfurt am Main. S. 43 f.
- [6] Zu Beginn von DAS BÖSE (Phantasm, 1979) ersticht er in dieser Maskierung mit einem riesigen Dolch einen jungen Mann, den er mit der Aussicht auf ein sexuelles Erlebnis auf einen Friedhof gelockt hatte.
- [7] Heym, Georg (1960): Dichtungen und Schriften. Band 2. Hamburg, München. S. 52 – 65.
Titel, Cast und Crew | Ghost Ship (2002) |
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Poster | |
Release | Kinostart: 23.01.2003 Ihr wollt den Film bei Amazon kaufen? Dann geht über unseren Treibstoff-Link: |
Regisseur | Steve Beck |
Trailer | |
Besetzung | Gabriel Byrne (Murphy) Julianna Margulies (Epps) Ron Eldard (Dodge) Desmond Harrington (Ferriman) Isaiah Washington (Greer) Alex Dimitriades (Santos) Karl Urban (Munder) Emily Browning (Katie Harwood) Francesca Rettondini (Francesca) Boris Brkic (Chief Steward) |
Drehbuch | Mark Hanlon John Pogue |
Kamera | Gale Tattersall |
Musik | John Frizzell |
Schnitt | Roger Barton |
Filmlänge | 91 Minuten |
FSK | ab 18 Jahren |
„Erste Horror-Begegnung mit der Alptraum-Sequenz aus NEVER CRY WOLF (1983), mag Unheimliches von den Gebrüdern Grimm bis Clive Barker, am liebsten auf der Leinwand, würde gerne einmal Nosferatu in Murnau sehen und Suspiria am Königsplatz, dazu Weißwürste mit süßem Senf, Soziologe und Kriminologe, Abschlussarbeit über SHINING und CANDYMAN (als Buch erschienen unter dem Titel „Zeichen der Gewalt“, Berlin 2015), Studienleiter bei der Interfilm-Akademie München (Projekte u. a. Kriminologische Filmreihe in Hamburg)“